Giacomo_S
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Vielleicht sind alle Religionen, alle Philosophien und sogar alle politischen Ideologien nur eines: Ablenkung vom existentiellen Horror, also Ablenkung von der Tatsache, dass wir nicht wissen, wer oder was dieses Universum erschaffen hat, woher wir kommen, wohin wir gehen, ob es einen Gott gibt oder nicht, ob es die Seele gibt oder nicht, ob das Bewusstsein den Tod überdauert oder nicht, ob das Geistige aus dem Materiellen entsteht oder das Materielle aus dem Geistigen.
In dem SF-Film Blade Runner (Ridley Scott, 1982) sagt der Adroidenjäger Deckard über den Androiden Roy (der kurz darauf "stirbt"), er habe doch nur wissen wollen, was wir alle wissen wollen:
Woher komme ich?
Wohin gehe ich?
Wieviel Zeit bleibt mir noch?
Persönlich halte ich dies für die drei existenziellen Fragen überhaupt. Die Religionen der Welt bemühen sich seit Jahrtausenden darum, sie zu beantworten, oder haben sie aus ihrer eigenen Sicht beantwortet, was nicht bedeutet, ein jeder könne sich mit den Antworten zufrieden geben.
Der Kirchenvater und (Religions-)Philosoph Augustinus von Hippo (354-430) soll auf die Frage, was Gott den getan habe, bevor er die Schöpfung erschaffen habe, geantwortet haben, da habe er die Hölle für diejenigen geschaffen, die so tiefschürfende Fragen stellen.
Der Atomphysiker Wolfgang Pauli (1900-1958) kommentierte die Arbeit eines anderen mit: "Das lässt sich nicht einmal widerlegen."
Zwei völlig unterschiedliche Gelehrten mit völlig unterschiedlichem Background und aus verschiedenen Zeiten kommen mit verschiedenen Aussagen zu demselben Schluss: Es ist müßig, sich mit etwas auseinanderzusetzen, für das man keine Antworten finden kann.
Aber das wussten andere auch schon viel früher.
Im Harfnerlied des Antef, Altägypten, 13. Jh. v. Chr. (wahrscheinlich wesentlich älter) heisst es:
"Geschlechter vergehen, andere kommen seit der Zeit der Vorfahren. Die Götter die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden. Die Edlen und Verklärten desgleichen sind begraben in ihren Pyramiden. Die da Häuser bauten, ihre Stätte ist nicht mehr. Was ist mit ihnen geschehen? Ich habe die Worte des Imhotep und des Hordjedef gehört, deren Sprüche in aller Munde sind. Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind zerfallen, sie haben keinen Ort mehr, als wären sie nie gewesen. Keiner kommt von dort, von ihrem Ergehen zu berichten, ihren Bedürfnissen zu erzählen, unser Herz zu beruhigen, bis auch wir gelangen, wohin sie gegangen sind. Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran. Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. Tu Myrrhen auf dein Haupt, kleide dich in weißes Leinen, salbe dich mit echtem Öl des Gotteskults, vermehre deine Schönheit, lass dein Herz dessen nicht müde werden. Folge deinem Herzen in Gemeinschaft deiner Schönen, tu deine Dinge auf Erden, kränke dein Herz nicht, bis jener Tag der Totenklage zu dir kommt. Der Müdherzige hört ihr Schreien nicht, und ihre Klagen holen das Herz eines Mannes nicht aus der Unterwelt zurück."