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Warum Misstrauen?

  • Ersteller Ersteller Minnie
  • Erstellt am Erstellt am
Vertrauen und Kontrolle

Gerade vor 10 Minuten hörte ich in 3sat in einer an und für sich glaubwürdigen Sendung (quer) den anscheinend nicht auszurottenden Spruch: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Nicht nur, das Vertrauen ein Gefühl ist und die Kontrolle eine logistische Tätigkeit - also nicht unmittelbar miteinander zu vergleichen - möchte ich bemerken, dass man Kontrolle und Vertrauen sehr in einen positiven Zusammenhang bringen kann. Ich behaupte:
Kontrolle kann zu Vertrauen führen.
Beispiel: Eine Firma hat einen neuen Mitarbeiter. Natürlich gibt es da am Anfang noch keine Vertrauensbasis. Wenn man aber diesen Mitarbeiter 10 Mal oder öfters kontrolliert und dabei keine Fehler entdeckt hat, dann ist Vertrauen schon angebracht und Kontrolle hat zu Vertrauen geführt. Es ist (war hoffentlich bald) ein großer Irrtum des Kommunismus, dass man alles kontrollieren kann. Leider wurde diese Philosphie auch von (einer)Versicherungsgesellschaft(en) in ihrer Werbetätigkeit übernommen.

Der ärgste Feind des Vertrauens ist die (bewusste) Lüge.

Das wollte ich zu diesem Thema beitragen.

Viele Grüße

Zeili
 
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lüge, vertrauen und misstrauen kann man auch von der seite der sozialen evolution betrachten

nehmen wir einmal an, es gäbe eine welt nahezu ohne täuschung, ohne lüge und daher ohne misstrauen
manche stellen sich diese welt als eine art paradies vor
so ein system wäre aber äußerst instabil
warum ?
in einem solchen umfeld hat einer, der lügt und täuscht einen immensen vorteil gegenüber dem rest des systems, weil seine lügen und täuschungen vorbehaltlos geglaubt würden
also würde sich die lüge und die täuschung in einem solchen system verbreiten wie bakterien in der petrischale

das gegenteil, also eine welt voller lügen und täschungen, bräche aber zusammen, weil kein soziales gefüge darin platz hätte

also ist der stabile zustand ein system zwischen den beiden extremen, das zwar zumeist wahrheiten, vertrauen und offenheit enthält, aber gerade so ein maß an lügen, täuschungen und misstrauen, sodass der einzelne wachsam genug ist, um nicht blindlings in eine falle zu tappen

das selbe gilt natürlich auch für gewalt
gewalt an sich wird zwar abgelehnt, aber eine gewaltlose welt wäre instabil, da ein einzelner gewalttätiger in einer welt ohne jeglichen widerstand (ohne armeen, ohne polizeit, ohne gegenwehr einzelner menschen) sich zum weltherrscher machen könnte
eine welt wo ausschließlich gewalt herrschen würde, bräche aber auch zusammen (der 'last man standing' überlebt, kann sich nicht fortpflanzen und aus isses)
also ist der stabilste zustand der, wo der alltag wenig bis keine gewalt aufweist, aber gewalt gegenwärtig genug ist, um darauf zumindest vorbereitet zu sein

also zurück zur anfangs gestellten frage nach dem warum:
-weil das soziale gefüge auf diese art stabil ist-

lg,
Muzmuz
 
Misstrauen scheint etwas mit Angst vor dem ( dauernden) Belogenwerden zu tun zu haben.

Ich lese gerade ein Buch: Maria Bettetini:“ Eine kleine Geschichte der Lüge“von Odysseus bis Pinocchio , Wagenbach, WAT 461, Berlin 2003

Die bekannte italienische Professorin stellt in ihrem Buch auch einen Zusammenhang von Lüge und dem permanenten Gefühl, dass der heutige Mensch hat, nämlich so wie so nur von Unwahrheiten, die sich als Wahrheiten tarnen, umgeben zu sein. (Beispiel Medien – Fakten, die ausgewählte „Wahrheiten“ sind, also in die Definitionsnähe zur Lüge kommen)

Ihr scheint dieses Grundgefühl, in Lüge zu leben, sich in ihr arrangieren zu müssen, ein wesentliches Kennzeichen des postmodernen Menschen zu sein.
„ ... Menschen der Postmoderne, der daran gewöhnt ist, sich auf unterschiedlichen Ebenen der Realität zu und mit seinem Urteil unbeeindruckt zurückzuhalten. Wir sind äußerst geschickt darin geworden,“ die Leichtgläubigkeit zu suspendieren“, denn eine solche Suspension wird beständig von uns verlangt“. ( aao, S 8)


Ich denke, sie meint das auch so, dass wir in unseren verschiedenen Rollen verschiedene Wahrheiten haben, wenn man unter Wahrheitserlebnis die Übereinstimmung seines Handelns mit seiner ( heute eben nur noch partiell erlebten) Identität versteht.

Wenn man von der bewussten. Zweck gebundenen Lüge sich zwar moralisch auch noch verabschieden will, muss, kann, - muss, kann oder kann man wollen, dass auch sie im zweckgebundenen Handeln richtig – also wahr sein kann.
Das ist wieder ein Paradox – und ein Kennzeichen der Postmoderne ist es auch, anzuerkennen, dass wir in Paradoxa leben.


Und Misstrauen ist das – meiner Meinung nach – völlig legitime Abwehrmittel gegen eine Welt, in der die Lüge, das moralische Aburteilen von Unwahrheiten als " normal", als Handlungstrategie, gilt.

Marianne
 
ich denke, so "voll von lüge" ist unsere welt nicht
ich meine jetzt lüge als bewusst behauptete unwahrheit in betrugsabsicht

sind wir auf eine solche lüge reingefallen, bleibt uns das lange, vielleicht permanent im gedächtnis
eine begebenheit, in der uns die wahrheit erzählt wurde, verschwindet schneller aus dem bewusstsein, da dieser zustand ja als "normal" erkannt wird und diese begebenheit uns nicht zur weiteren vorsicht mahnen muss

verständlich ist es dann, wenn uns am tag 990 wahrheiten und 10 lügen erzählt wurden, dass es vorwiegend diese 10 lügen sind, die uns im gedächtnis bleiben und subjektiv der eindruck entsteht, wir wären von lauter lügen umgeben

so wie beim zahnweh....man spürt nur den einen schmerzenden zahn, nicht aber die 31 anderen

lg,
Muzmuz
 
Muzmuz schrieb:
lüge, vertrauen und misstrauen kann man auch von der seite der sozialen evolution betrachten

Guter Gedanke.

Wir müssen davon ausgehen, dass früheste soziale Gefüge, also einfache Gesellschaften, in Stammeszusammenhängen entstanden, also in Gruppen, die größer als eine Familie waren (so dass nicht jeder jeden lieben kann), aber klein genug, dass jeder jeden kannte.
In diesen frühen Gesellschaften übernahm Kommunikation - neben der Funktion, sich Dinge mitzuteilen - die Aufgabe, Vertrauen zu schaffen. Berichte über heute noch existierende Stammesgesellschaften sagen, dass sich derjenige ausschließt, der nicht an Kommunikation teilnimmt, sei es an ritualisierter (Feste) oder alltäglicher. Ein Hinzukommender, der nicht redet, oder auch nur die Sprache nicht sprach, wird als Bedrohung empfunden. DIe Kommunikation könnte das Misstrauen beseitigen, geht das nicht, ist man der Feind.
Es reicht also schon, dass jemand einfach nicht redet, um Misstrauen zu erzeugen. Eventuell erzeugt sogar derjenige mehr Misstrauen, der nicht redet, als der, der lügt.
Solche Phänomene kann man auch heute noch in stammesähnlichen Zusammenhängen beobachten, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Selbst wenn man sich keine Verfehlungen erlaubt, wird man zum Außenseiter, wenn man sich der Kommunikation entzieht. Wer intregiert, wird zwar vereinzelt Hass auf sich ziehen, aber auf Dauer mehr sozialen Erfolg haben, als der, der sich ganz entzieht.
Diese Beobachtungen zeigen, dass die Menschen sowohl gesellschaftlich als auch psychologisch kaum über das Steinzeitniveau hinausgekommen sind.
In heutigen Zeiten, wo man in den wenigsten Zusammenhängen eine Mehrzahl von Personen kennen kann, wo der unpersönliche Kontakt die Regel ist, muss sowohl die Angst vorm Fremden triumphieren, wie auch alle Arten von Misstrauen.
 
Hallo, Muzmuz!


Nun geht es ja in diesem Thread eigentlich nicht um die Lüge, darum habe ich gestern nicht mehr auf Deinen Post geantwortet. Ich habe dieses( und da gebe ich Dir natürlich Recht) – ganz zweifellos gesellschaftliche Phänomen nur als Erklärversuch für die Themenfrage: Warum Misstrauen genutzt.

Ich erlaube mir allerdings zu der – auch für mich spannenden Frage: Was ist eigentlich Lügen lügen? Ein neues Thema zu eröffnen.


Marianne
 
Robins Erwähnung des „Steinzeitniveaus“ hat mich zu folgender These inspiriert:

Misstrauen entsteht, wenn ich das Verhalten des Gegenübers nicht eindeutig dechiffrieren kann. Wenn ich also nicht weiß, ob hinter dem, das offen daliegt, noch etwas anderes und eben dem Offenen Entgegengerichtetes liegt.

Ich denke, dass in alten Gesellschaften die Verlässlichkeit des Gegenübers derart unmittelbar für das Überleben aller Mitglieder notwendig war, die Rolle des Misstrauens eher gering war, schlicht deshalb, weil es das Überleben zu sehr gefährdet hat. Bzw. gibt es ja auch heute noch Überbleibsel, die zeigen, dass es ritualisierte Formen gab, die Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen. Z.B. ist das Handreichen oder die Darbietung der geöffneten Hand, Hinweis, dass man eben keine Waffe trägt, bzw. auch Zeichen, dass man diese sensible Stelle der Handfläche herzeigt, Zeichen der Offenheit. Auch die (heute als Höflichkeit interpretierte) Sache, dass man seine Hand nicht in der Hosentasche hat, wenn man mit jemand anderem spricht, hat ihren Ursprung darin.

Nun ist unsere Gegenwart eine, in der es nicht mehr um Leib und Leben geht (zumindest normalerweise), und es ist eine Gesellschaft, die über kein (ich nenne es mal so) verbindliches Zeichensystem mehr verfügt. Was für den einen bedeutet, ein Zeichen des Vertrauens zu setzen, kann für den anderen völlig bedeutungslos sein. Und auch umgekehrt: Zeichen, bei denen man sich nichts (Schlechtes) denkt, können von jemandem, der aus einer anderen Zugehörigkeit kommt, wo eben ein quasi anderes Dechiffrierungssystem gültig ist, als Bedrohung gelesen werden. Da es nun aber keine zutiefst existenzielle Bedrohung mehr ist, keine, die die gesamte Gruppe betrifft, besteht wenig allgemeines Interesse, diesen Kommunikations-Misslichkeiten tatsächlich Abhilfe zu schaffen.

Zeichen können nicht mehr allgemein-verbindlich interpretiert werden, also entsteht Misstrauen. Das Misstrauen in die 1:1-Aussagekraft des Zeichens verschiebt sich auf die Person, die das Zeichen setzt: Man weiß ja nicht, wie etwas „gemeint“ war.
Dieser Vorgang greift umso stärker, je „isolierter“ die Zeichen übermittelt werden. Je mehr ich an Drumheruminformation über den betreffenden Menschen habe, umso besser werde ich das, das er aussendet, dechiffrieren können.

Wenn ich das Misstrauen wertfrei betrachte und auf seine Funktion hin untersuche, dann komme ich zu dem Schluss, dass es den Menschen davor schützt/schützen kann, „dem Schein“ aufzusitzen, also sein Handeln auf etwas auszurichten, um das es *eigentlich* gar nicht gegangen ist.
Ich halte das Misstrauen dem gegenüber, das an der Oberfläche liegt, weiters auch für einen Bestandteil dieses Zweifels, der da zu Erkenntnis führt oder führen kann.

Mit Grüßen
Katharina
 
huhu majanna !

für mich sind lüge (eine art der täuschung) und misstrauen logisch miteinander verknüpft
es gibt misstrauen, weil es täuschungen gibt; misstrauen ist das
"immunsystem", das sich gegen diese entwickelt hat, so wie es kein körperliches immunsystem gäbe, wären da nicht die krankheitserreger
(bei computern gäbe es keine anti-viren-programme, wenn es keine computerviren gäbe)

ich versuchte zu erklären, -warum es misstrauen gibt-, was ich für das thema dieses threads hielt, worauf meine antwort war -weil es lügen gibt-
weiters versuchte ich zu erklären, warum es lügen gibt bzw logischerweise geben muss :)

lg,
Muzmuz
 
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huhu katharina !

ich denke eher, dass das misstrauen vor dem vertrauen kommt und erst, wenn man ausreichend erkennt, dass das misstrauen nicht weiter notwendig ist, sich das vertrauen einstellt; wobei diese situation in dimensionen von gesamterfahrung gesehen werden muss
das heisst, wenn ich mit menschen generell gute erfahrungen gemacht habe, genießt der mensch, mit dem ich zum ersten mal zu tun habe, und über den ich konkret nichts weiss, einen vertrauensvorschuss
wird dieser von ihm missbraucht, büßen auch die, mit denen ich erst später kontakt habe, etwas von diesem vertrauensvorschuss ein

auch jeder säugling hat instinktive verlustängste, dass er verlassen werden könnte; das heisst, er vertraut instinktiv seiner mutter nicht 100%ig, auch wenn ihn diese zeit seines lebens noch nie enttäuscht hatte
auch nur eine kurze abwesenheit der mutter ist für den säugling oft eine katastrophe
dafür sehe ich 2 gründe:
1. ist für den säugling die zuwendung vor allem der mutter absolut
lebensnotwendig und wovon man 100%ig abhängt, dem vertraut man
wenig bzw kontrolliert öfter
2. wie ich schon oben behauptet hatte, entsteht vertrauen erst dann, wenn
misstrauen nicht weiter benötigt wird

dass ältere kinder weniger probleme mit einer kurzen abwesenheit der mutter haben erklärt sich an der geringeren abhängigkeit und dan der gesammelten erfahrung, dass sie ja wieder zurück kommt

also sehe ich es nicht so wie in der genesis der bibel, wo am anfang das paradies (vertrauen) war und erst durch den sündenfall (die 1. lüge) misstrauen enstand, sondern dass zuerst misstrauen da war; und als soziale zusammenhänge und abhängigkeiten auftraten, zumindest teilweise vertrauen notwendig wurde und folglich auch entstand

lg,
Muzmuz
 
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