Benjamin
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Eine Zwangseinweisung verletzt die Würde des Patienten
Grüße Sunnyboy
Du sagst, nun in Hinblick auf das Beispiel des Eremiten, dass du wissen würdest, dass der Berg gefährlich ist. In diesem Beispiel wird sich dieses so genannte Wissen wohl entweder auf selbstgemachte Erfahrung beziehen, oder auf Hörensagen anderer Menschen.
Hier die Aussage zu treffen, du würdest wissen, dass... halte ich für unproblematisch.
Doch was ist, wenn ein Mensch sagt (und ich bezeichne ihn nun ganz bewusst als keinen Schwerdepressiven), er möchte nicht mehr Leben, weil das Leben für ihn nichts zu bieten hätte?
Wenn du nun in diesem Beispiel argumentierst, du wüsstest, dass sein Leben noch etwas zu bieten hat, dann halte ich das für problematisch. Problematisch vor allem dann, wenn du dir das Recht nimmst, ihm sein Recht auf Entscheidung abzusprechen.
Ich behaupte ganz unverfroren, dass du nämlich gar nicht wissen kannst, ob sein Leben noch etwas zu bieten hat.
Du ziehst hier eine scharfe Grenze zwischen Vernunft und Unvernunft. Du sprichst, dem Menschen, der nicht mehr Leben will, die Vernunft ab, ohne einen weiteren Grund. So weit, so gut.
Ich halte Selbstmord auch für unvernünftig, wie ich unzähliges auf dieser Welt für unvernünftig halte. Aber ich nehme mir trotzdem nicht das Recht, einen Menschen aufgrund seiner Unvernunft die Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Zumal ich erstens keine scharfe Grenze sehe, die Vernunft von Unvernunft trennt. Nicht weil es solch eine Grenze nicht geben wird, nein, sondern deshalb, weil ich nicht klug genug, nicht weitsichtig genug bin, als dass ich so klar unterscheiden könnte.
Du nimmst dir dieses Recht, oder sprichst zumindest Ärzten diese Weitsicht zu, zu unterscheiden, was vernünftig und unvernünftig ist. Zu Unrecht, meine ich.
[QUOTE)Sunnyboy]Wenn man den Ärzten aber die Möglichkeit nimmt, Zwangseinweisungen anzuordnen, wenn ihre Einschätzung nach Lebensgefahr für einen Kranken besteht (das gilt sowohl für physisch wie auch für psychisch kranke Menschen), bindet man ihnen die Hände und macht es ihnen schwerer, wenn nicht gar unmöglich, diesem Menschen das Leben zu retten.
In diesem Fall hat man einem Menschen nicht zu seinem Recht zu sterben verholfen. Man hat ihm einer Möglichkeit Hilfe zu erhalten beraubt und ihm somit sein Recht auf eine Chance, wieder gesund zu werden, genommen.[/QUOTE]
Du argumentierst, dass eine Zwangseinweisung für viele Menschen der erste Schritt zur Heilung wäre. Das denke ich nicht. Eine Zwangseinweisung hat, und davon bin ich überzeugt, so gut wie keinen Nutzen für den Patienten.
Erstens darfst du dir eine Zwangseinweisung nicht wie etwas vorstellen, wo man den Patienten gerade von der Brücke holt, von der er springen wollte, und dann in eine Klink bringt. Zwangseinweisungen geschehen meistens von Zuhause oder von einer Arztpraxis aus. (Von den Menschen abgesehen, die eine Gefährdung für andere darstellen oder Suchtkranke sind.)
Zweitens kann man, da bin ich mir ziemlich sicher, in den seltensten Fällen einer Zwangseinweisung den wirklichen Wendepunkt im Heilungsprozess zuschreiben. Und wenn sich der Wundepunkt doch irgendwie in Zusammenhang mit der Einweisung bringen lässt, dann wohl auch nur mit viel Vorstellungskraft.
Die Zwangseinweisung dient der Heilung nicht. Sie dient oft nur verzweifelten Angehörigen und Ärzten, die sich nicht mehr zu helfen wissen. Es wird immer wieder argumentiert, der Kranke braucht Hilfe, lässt sich aber nicht helfen, somit müssen wir sie zur Behandlung zwingen.
Du sprichst auch immer wieder vom physisch Gesunden, der sich ohne wirklichen Grund umbringen will. Nun sage ich dir aber, dass eine schwere Depression ein Grund ist. Eine schwere Depression bedeutet Leid und Elend. Niemand anders als der Leidende selbst möchte am ehesten zur Genesung. Du unterscheidest immer wieder zwischen körperlichen und seelischen Leiden. Für den Leidenden gibt es in Anbetracht der Schmerzen keinen Unterschied. Ab einem gewissen Grad von Schmerzen wächst der Wille zu sterben.
Einem körperlichen Kranken gibt man das Recht eine Behandlung abzulehnen bzw. das Recht sich die Behandlung auszusuchen. Und dem seelisch Kranken will man dieses Recht absprechen???
Es gibt auch viele körperlich Kranke, die eine Behandlung bräuchten, sie aber ablehnen. Spricht man ihnen die Entscheidungsfreiheit ab? Zwingt man sie zur Behandlung? Oder erkennt man ihnen keine Vernunft an?? Nein. Es wäre auch Unrecht.
Bei körperlich Kranken sind die Leiden offensichtlicher. Daher kann die Umgebung diesen Menschen gegenüber mehr Würde aufbringen. So viel Würde, dass man ihnen immer die Entscheidung offen legt. Selbst dann wenn ihre Entscheidung womöglich den Tod mit sich bringt.
Doch den seelisch Kranken verwehrt man dieses Recht. Ich meine deshalb, weil die Menschen ihre Leiden oft nicht verstehen.
Eine Zwangseinweisung verletzt die Würde des Patienten. Darüber hinaus halte ich sie für kein Mittel, dass etwas zur Genesung beiträgt.
mfg
Ben
Grüße Sunnyboy
Sunnyboy schrieb:In dem von dir vorgeschlagenen erweiterten Gedankenexperiment weiß ich (ich habe also die Erfahrung gemacht), dass der Berg gefährlich ist. Aus diesem Wissen/ aus dieser Erfahrung heraus entscheide ich, was ich dem Einsiedler rate.
Ob der Eremit bei klarem Verstand ist erkenne ich dann nicht daran, ob er derselben Meinung ist wie ich, sondern ob er in der Lage ist, meinen Einwand zu begreifen, meine Argumente zu verstehen und diese, falls er anderer Meinung ist durch vernünftige, also mit der Vernunft begründete Argumente zu widerlegen.
Du sagst, nun in Hinblick auf das Beispiel des Eremiten, dass du wissen würdest, dass der Berg gefährlich ist. In diesem Beispiel wird sich dieses so genannte Wissen wohl entweder auf selbstgemachte Erfahrung beziehen, oder auf Hörensagen anderer Menschen.
Hier die Aussage zu treffen, du würdest wissen, dass... halte ich für unproblematisch.
Doch was ist, wenn ein Mensch sagt (und ich bezeichne ihn nun ganz bewusst als keinen Schwerdepressiven), er möchte nicht mehr Leben, weil das Leben für ihn nichts zu bieten hätte?
Wenn du nun in diesem Beispiel argumentierst, du wüsstest, dass sein Leben noch etwas zu bieten hat, dann halte ich das für problematisch. Problematisch vor allem dann, wenn du dir das Recht nimmst, ihm sein Recht auf Entscheidung abzusprechen.
Ich behaupte ganz unverfroren, dass du nämlich gar nicht wissen kannst, ob sein Leben noch etwas zu bieten hat.
Sunnyboy schrieb:Aber in dem Moment, indem ein (physisch) gesunder Mensch sein Leben auslöschen will, ohne dass sein Leben sonst in Gefahr wäre, ist die Vernunft, in meinen Augen unter einem großen Haufen nicht nachvollziehbarer Gründe, die allesamt kein Grund sind, sich selbst zu töten, begraben.
Du ziehst hier eine scharfe Grenze zwischen Vernunft und Unvernunft. Du sprichst, dem Menschen, der nicht mehr Leben will, die Vernunft ab, ohne einen weiteren Grund. So weit, so gut.
Ich halte Selbstmord auch für unvernünftig, wie ich unzähliges auf dieser Welt für unvernünftig halte. Aber ich nehme mir trotzdem nicht das Recht, einen Menschen aufgrund seiner Unvernunft die Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Zumal ich erstens keine scharfe Grenze sehe, die Vernunft von Unvernunft trennt. Nicht weil es solch eine Grenze nicht geben wird, nein, sondern deshalb, weil ich nicht klug genug, nicht weitsichtig genug bin, als dass ich so klar unterscheiden könnte.
Du nimmst dir dieses Recht, oder sprichst zumindest Ärzten diese Weitsicht zu, zu unterscheiden, was vernünftig und unvernünftig ist. Zu Unrecht, meine ich.
[QUOTE)Sunnyboy]Wenn man den Ärzten aber die Möglichkeit nimmt, Zwangseinweisungen anzuordnen, wenn ihre Einschätzung nach Lebensgefahr für einen Kranken besteht (das gilt sowohl für physisch wie auch für psychisch kranke Menschen), bindet man ihnen die Hände und macht es ihnen schwerer, wenn nicht gar unmöglich, diesem Menschen das Leben zu retten.
In diesem Fall hat man einem Menschen nicht zu seinem Recht zu sterben verholfen. Man hat ihm einer Möglichkeit Hilfe zu erhalten beraubt und ihm somit sein Recht auf eine Chance, wieder gesund zu werden, genommen.[/QUOTE]
Du argumentierst, dass eine Zwangseinweisung für viele Menschen der erste Schritt zur Heilung wäre. Das denke ich nicht. Eine Zwangseinweisung hat, und davon bin ich überzeugt, so gut wie keinen Nutzen für den Patienten.
Erstens darfst du dir eine Zwangseinweisung nicht wie etwas vorstellen, wo man den Patienten gerade von der Brücke holt, von der er springen wollte, und dann in eine Klink bringt. Zwangseinweisungen geschehen meistens von Zuhause oder von einer Arztpraxis aus. (Von den Menschen abgesehen, die eine Gefährdung für andere darstellen oder Suchtkranke sind.)
Zweitens kann man, da bin ich mir ziemlich sicher, in den seltensten Fällen einer Zwangseinweisung den wirklichen Wendepunkt im Heilungsprozess zuschreiben. Und wenn sich der Wundepunkt doch irgendwie in Zusammenhang mit der Einweisung bringen lässt, dann wohl auch nur mit viel Vorstellungskraft.
Die Zwangseinweisung dient der Heilung nicht. Sie dient oft nur verzweifelten Angehörigen und Ärzten, die sich nicht mehr zu helfen wissen. Es wird immer wieder argumentiert, der Kranke braucht Hilfe, lässt sich aber nicht helfen, somit müssen wir sie zur Behandlung zwingen.
Du sprichst auch immer wieder vom physisch Gesunden, der sich ohne wirklichen Grund umbringen will. Nun sage ich dir aber, dass eine schwere Depression ein Grund ist. Eine schwere Depression bedeutet Leid und Elend. Niemand anders als der Leidende selbst möchte am ehesten zur Genesung. Du unterscheidest immer wieder zwischen körperlichen und seelischen Leiden. Für den Leidenden gibt es in Anbetracht der Schmerzen keinen Unterschied. Ab einem gewissen Grad von Schmerzen wächst der Wille zu sterben.
Einem körperlichen Kranken gibt man das Recht eine Behandlung abzulehnen bzw. das Recht sich die Behandlung auszusuchen. Und dem seelisch Kranken will man dieses Recht absprechen???
Es gibt auch viele körperlich Kranke, die eine Behandlung bräuchten, sie aber ablehnen. Spricht man ihnen die Entscheidungsfreiheit ab? Zwingt man sie zur Behandlung? Oder erkennt man ihnen keine Vernunft an?? Nein. Es wäre auch Unrecht.
Bei körperlich Kranken sind die Leiden offensichtlicher. Daher kann die Umgebung diesen Menschen gegenüber mehr Würde aufbringen. So viel Würde, dass man ihnen immer die Entscheidung offen legt. Selbst dann wenn ihre Entscheidung womöglich den Tod mit sich bringt.
Doch den seelisch Kranken verwehrt man dieses Recht. Ich meine deshalb, weil die Menschen ihre Leiden oft nicht verstehen.
Eine Zwangseinweisung verletzt die Würde des Patienten. Darüber hinaus halte ich sie für kein Mittel, dass etwas zur Genesung beiträgt.
mfg
Ben