tanne schrieb:
Ich sitze hier und überlege gerade, was passieren wird, wenn ein Flugzeug von Terroristen in ein mit Menschen überfülltes Fußballstadion zum Absturz gebracht wird.
Wie werden die Verfassungsrichter dann mit ihren Gefühlen umgehen und wie mit ihrem Gewissen... ?
tanne
Sehr gute, aber unlösbare Frage. Auch das Gericht hat darauf keine Antwort gefunden, wenngleich solche Extremmöglichkeiten gesehen. Das muss ad hoc entschieden werden. Das BVerfG hat "nur" und konnte nur dekretieren, dass der Gesetzgeber nicht das Recht hat, im voraus festzulegen, dass es rechtens ist, Leben unschuldiger Menschen auzulöschen, um das anderer Unschuldiger zu retten.
suche schrieb:
Ich teile die philosophische Grundlage dieses Urteils. Es lässt sich nämlich auch, wie du sagst, schwer feststellen, ob die Terroristen ihre selbstmörderische Absicht tatsächlich ausführen werden. Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe, die dieses Urteil rechtfertigen?
Auch mit diesen Fragen hat sich das Gericht am Rande beschäftigt, nachdem die Pilotenvereinigung Cockpit z.B. darauf hingewiesen hat, dass es schwierig sein könnte, Sichtkontakt herzustellen. Doch ändert das nichts an der Grundsatzentscheidung, es darf im Staatsauftrag kein Tatunbeteiligter getöten werden.
Fusselhirn schrieb:
Ist das Leben der Menschen am Boden weniger Wert? Da der Abschuss verboten wurde, ist dort implizit eine Wertung erfolgt. Da beide Leben(Boden, Flugzeug) gleichgestellt sind, sollte es eine situationsabhängige Entscheidung bleiben.
Das vermag ich leider nicht so zu sehen. Unschuldiges Leben ist gleichwertig, unabhängig von
*erwarteter Lebensdauer
*Alter
* Ort
*Umstände.
Daraus folgert: Man darf Unschuldige nicht töten, um andere Unschuldige zu retten.
Fusselhirn schrieb:
Ein Nicht-Abschiessen kann genauso Menschen töten, wie das Abschiessen, nur das man nicht aktiv sondern passiv war. Unterlassene Hilfeleistung, nennt man das glaube ich. Ich bin nicht dafür das man jedes Flugzeug abschiesst, nur das man sich die Möglichkeit offen lässt flexibel auf Bedrohungen zu reagieren. Mit diesem Beschluss fesselt man sich selbst. Ja, ich gebe dir recht, es wäre ein verdammte schwere Entscheidung für den Verantwortlichen. Töten gehört zum Leben dazu.
ICH denke es ist eine Scheinmaxime. Leben ist das höchste Gut, aber das Leben darf nicht zu einem unantastbarem Gut werden. Der Staat versucht sich aus seiner Verantwortung zu ziehen, empfinde ich.
Auch das vermag ich leider nicht so zu sehen und kann Dir darum nicht folgen. Der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung liegt nur vor, wenn diese Hilfeleistung möglich war,
ohne dass andere Personen dadurch an Leib und Leben ernstlich gefährdet werden konnten.
Du bist z.B. nicht verpflichtet, einen im Fluss Ertrinkenden zu retten, wenn Du Nichtschwimmer bist.
"Töten gehört zum Leben"? - Sterben ja, aber nicht töten. Im Übrigen darf ich auf die Antwort von Louiz30 verweisen, der ich mich gern anschließen möchte.
Louiz30 schrieb:
Ich weiß, daß diese rechtsphilosophische Überlegung sehr schwer ist und mit vielen Argumenten belegt werden kann.... Es geht in erster Linie nicht um den Einzelfall, sondern um den Erhalt des Wertesystems und die Weigerung sich von Terroristen dazu erpressen zu lassen, die Werte aufzugeben, für die unsere Gesellschaft so lange gekämpft hat.
Volle Zustimmung. - Man muss die Grundsatzentscheidung versuchen als das zu sehen, was sie ist: Eine grundsätzliche Wertentscheidung. Man kann sich viele Szenarien vorstellen, z.B. es ist gar keine Bombe an Bord oder - das Gegenteil - es war eine A-Bombe, die vielleicht, wenn das Flugzeug in großer Höhe abgeschossen würde, weniger Verheerung auslöst, als wenn sie erst am Boden detoniert. Erörterungen von denkbaren Einzelfällen dürfen nicht das Wertesystem in Frage stellen: Der Staat hat die uneingeschränkte Pflicht,
jedes unschuldige Leben unter allen denkbaren Umständen zu schützen. - Ob er dieser immer nachzukommen vermag, ist eine andere Frage. -
Auf Deinen langen Beitrag (#16), Louiz30, gehe ich gesondert ein.
Ich danke allen Genannten für ihre Stellungnahmen, eine kontroverse, sich auf die Sache und nicht die Person konzentrierte Diskussion ist stets fruchtbar. Ich hatte Befürchtungen, das würde wieder nicht gelingen.
Ziesemann