AW: Was ist die Wahrheit?
Auch auf die Gefahr hin, daß es so genau niemand wissen wollte: Ich habe diese Frage vor vielen Jahren einem Philosophieprofessor gestellt. Hier ist, soweit meine Erinnerung trägt, die Antwort.
Die Philosophen der späten 90'er sehen Wahrheit als Kategorie im Kant'schen Sinne.
Das bedeutet einerseits: "Wahrheit" ist eine Eigenschaft, nämlich eine Eigenschaft von Aussagen. Ohne sich mit dem Begriff der "Aussage" auseinanderzusetzen kommt man also nicht weiter.
In diesem Zusammenhang sind Aussagen so charakterisiert: eine Aussage setzt "Sein" mit "Bewusstsein" in Beziehung. Der umgangssprachliche Gebrauch der Formulierung "absolute Wahrheit" bezieht sich also meiner Wahrnehmung nach eher auf den philosophischen Begriff des Seins als auf den philosophischen Begriff der Wahrheit.
Im strengen Sinne kann man also nicht von "Der Wahrheit an sich" oder so sprechen, ohne die dazugehörige Aussage zu nennen.
Andererseits bedeutet "Kategorie", daß es Wahrheit nie "schwarz oder weiß" gibt, sondern immer nur im Vergleich: Aussage A ist wahrer als Aussage B, Aussage B ist weniger wahr als Aussage A. Nachdem ich die Unterscheidung zwischen "Sein" und "absoluter Wahrheit" geschluckt hatte, fand ich das ganz intuitiv.
Also: die Frage "Was ist die Wahrheit" stellt, packt eigentlich ein riesen-Themenfeld an. Wahrheit ist eine Eigenschaft von Aussagen und damit auf diesem Abstraktionslevel unspektakulär. Interessanter finde ich: Aussagen verbinden Sein mit Bewusstsein. Als nächstes sollte man also fragen, was "Sein" und was "Bewusstsein" ist.
Der "einfache" Teil zuerst: Bewusstsein ist ein Thema, mit dem sich Religionen beschäftigen. Also bitte weiter in einem anderen Zweig des Forums.
Zuletzt bleibt die Frage nach der Natur des "Seins". Dazu gab der Herr Professor drei Möglichkeiten an, die experimentell nicht unterscheidbar sind - es gibt keinen Weg um festzustellen, welche der drei Varianten "wirklich" ist. Es gibt dabei eine Riesen-Fußangel: Wir haben alle die erste dieser drei Varianten sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen und können uns kaum vorstellen, daß es anders sein könnte oder wie es wäre, wenn's nicht so wäre.
Variante 1: Materialismus
Die Dinge existieren einfach, unabhängig von einem Bewusstsein. Für mich kristallisieren sich die drei Varianten an der Frage: Wo ist der Mond, wenn niemand hinsieht?. Für einen Materialisten ist die Antwort einfach: Da wo er immer war - er ist unabhängig von Bewusstsein, unabhängig von Beobachtern. Der Mond ist, wo er immer ist, egal ob irgendjemand hinschaut oder nicht.
Variante 2: (Namen vergessen) - es gibt ein objektives, prä-existented Bewusstsein.
"Objektives, prä-existentes Bewusstsein" ist ausländisch für: "Gott". Also: Es gibt einen Gott, ein "besonderes" Bewusstsein, das die Existenz des Seins hervorruft. Die Dinge existieren sozusagen durch seine Vorstellung davon. Wo ist der Mond, wenn niemand hinsieht? - Naja, da wo Gott ihn sich vorstellt. (Wo denn sonst?)
Variante 3: (Namen vergessen) - Kollektiver Traum
Es gibt kein Sein unabhängig von Bewusstsein, sondern nur eine kollektive Vorstellung davon, wie die Dinge sind. Soweit ich mich erinnere, ist das die Weltsicht von Hegel und den Buddhisten. Also: Wo ist der Mond, wenn niemand (wirklich niemand! - auch nicht Hund, Katze, Maus, ...) hinsieht? - Welcher Mond?
Ich würde mich über Meinungen freuen.
Viele Grüße! - ML