Methusalem
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- Registriert
- 8. Dezember 2007
- Beiträge
- 157
Verstehen, sich und einander verstehen
Hallo Lilith,
ein Thema greife ich erstmal auf... das Verstehen. Jahrelang habe ich mich an der naturwissenschaftlichen Orientierung der Psychologie gerieben, die als Wissenschaft vom Verhalten des Menschen nach Erklärungen sucht. Es gab und gibt vermutlich immer noch viele Psychologen, die nicht verstehen können, dass und warum es Psychologen gibt, die etwas verstehen wollen - also sagte ich mir, behalte Deine Gedanken für Dich und warte 30 Jahre.
20 Jahre sind jetzt rum...
Hermeneutik als Theorie des Verstehens hat mich eine Zeit lang intensiv beschäftigt. Ein Gedanke von Schleiermacher ist hängen geblieben: (sinngemäss) die strenge Praxis der Hermeneutik geht davon aus, dass sich das Missverstehen von selbst ergibt, und das Verstehen muss an jedem Punkt gesucht und gewollt werden.
Nun - der Vorteil bei einem solchen Forum ist ja, dass ich mehrmals lesen kann, mir Zeit lassen kann und wenn ich überlege, wie eine Aussage wohl gemeint war, dann bleiben oft mehrere Möglichkeiten offen. Im Gespräch ist das schwieriger, denn "Zurückhören" geht ja nicht. Mein Eindruck ist, dass es oft an der Bereitschaft fehlt, nachzufragen und zu überprüfen, ob das Verstandene auch dem entspricht, was wirklich gemeint war. So gesehen könnte man Verstehen definieren als "eine Aussage so verstehen, wie sie gemeint war". Dahinter steht aber manchmal noch das Problem, das "Gemeinte" auch klar genug "zur Sprache zu bringen".
Ein grosses Hindernis scheint mir zu sein, dass Kommunikation immer noch häufig so verstanden wird, dass "ein Sender einem Empfänger eine Nachricht übermittelt". Das Modell wurde 1948 (!) von zwei Nachrichtentechnikern entwickelt und ist für das Verständnis zwischenmenschlicher Kommunikation nur sehr begrenzt tauglich. Ähnlich wie das Gespräch in der Sprechwissenschaft als "wechselseitig intentionale Verständigungshandlung" definiert wird, lässt sich auch die medienvermittelte schriftliche Kommunikation in einem Forum wie hier als wechselseitiger Prozess verstehen, in dem Sinn gemeinsam konstituiert wird und eben nicht "in der Nachricht selbst" irgendwie "drinsteckt".
Missverständnisse sind etwas Alltägliches, davon gehe ich im Anschluss an Schleiermacher aus. Hinter den Gedanken, dass wir in unserer Wirklichkeit gefangen sind, möchte ich aber ein Fragezeichen machen. Zugestanden, aus theoretischen Überlegungen heraus und mit Bezug auf eigene Erfahrungen - das Verstehen, das Sich-und-einander-Verstehen hat Grenzen. Wer es kompliziert mag: Erst im Verstehen des Nichtverstehenkönnens entfaltet sich die wahre Kunst der Hermeneutik. Das zumindest war eine meiner wichtigsten Schlussfolgerungen. Die Hoffnung ist trotzdem geblieben, dass sich das Verstehen entwickeln lässt und es möglich ist, sich selbst und andere im Laufe der Zeit besser verstehen zu können.
Vielleicht ist das auch ein Motiv für die Beteiligung an einem Forum - das Interesse daran, den je eigenen Horizont zu erweitern, die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit ergänzen und bei Bedarf korrigieren zu können.
lg Methusalem
Hallo Lilith,
ein Thema greife ich erstmal auf... das Verstehen. Jahrelang habe ich mich an der naturwissenschaftlichen Orientierung der Psychologie gerieben, die als Wissenschaft vom Verhalten des Menschen nach Erklärungen sucht. Es gab und gibt vermutlich immer noch viele Psychologen, die nicht verstehen können, dass und warum es Psychologen gibt, die etwas verstehen wollen - also sagte ich mir, behalte Deine Gedanken für Dich und warte 30 Jahre.
20 Jahre sind jetzt rum...
Hermeneutik als Theorie des Verstehens hat mich eine Zeit lang intensiv beschäftigt. Ein Gedanke von Schleiermacher ist hängen geblieben: (sinngemäss) die strenge Praxis der Hermeneutik geht davon aus, dass sich das Missverstehen von selbst ergibt, und das Verstehen muss an jedem Punkt gesucht und gewollt werden.
Nun - der Vorteil bei einem solchen Forum ist ja, dass ich mehrmals lesen kann, mir Zeit lassen kann und wenn ich überlege, wie eine Aussage wohl gemeint war, dann bleiben oft mehrere Möglichkeiten offen. Im Gespräch ist das schwieriger, denn "Zurückhören" geht ja nicht. Mein Eindruck ist, dass es oft an der Bereitschaft fehlt, nachzufragen und zu überprüfen, ob das Verstandene auch dem entspricht, was wirklich gemeint war. So gesehen könnte man Verstehen definieren als "eine Aussage so verstehen, wie sie gemeint war". Dahinter steht aber manchmal noch das Problem, das "Gemeinte" auch klar genug "zur Sprache zu bringen".
Ein grosses Hindernis scheint mir zu sein, dass Kommunikation immer noch häufig so verstanden wird, dass "ein Sender einem Empfänger eine Nachricht übermittelt". Das Modell wurde 1948 (!) von zwei Nachrichtentechnikern entwickelt und ist für das Verständnis zwischenmenschlicher Kommunikation nur sehr begrenzt tauglich. Ähnlich wie das Gespräch in der Sprechwissenschaft als "wechselseitig intentionale Verständigungshandlung" definiert wird, lässt sich auch die medienvermittelte schriftliche Kommunikation in einem Forum wie hier als wechselseitiger Prozess verstehen, in dem Sinn gemeinsam konstituiert wird und eben nicht "in der Nachricht selbst" irgendwie "drinsteckt".
Missverständnisse sind etwas Alltägliches, davon gehe ich im Anschluss an Schleiermacher aus. Hinter den Gedanken, dass wir in unserer Wirklichkeit gefangen sind, möchte ich aber ein Fragezeichen machen. Zugestanden, aus theoretischen Überlegungen heraus und mit Bezug auf eigene Erfahrungen - das Verstehen, das Sich-und-einander-Verstehen hat Grenzen. Wer es kompliziert mag: Erst im Verstehen des Nichtverstehenkönnens entfaltet sich die wahre Kunst der Hermeneutik. Das zumindest war eine meiner wichtigsten Schlussfolgerungen. Die Hoffnung ist trotzdem geblieben, dass sich das Verstehen entwickeln lässt und es möglich ist, sich selbst und andere im Laufe der Zeit besser verstehen zu können.
Vielleicht ist das auch ein Motiv für die Beteiligung an einem Forum - das Interesse daran, den je eigenen Horizont zu erweitern, die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit ergänzen und bei Bedarf korrigieren zu können.
lg Methusalem