Wenn jemand Bruckner mag und von Debussy genervt ist, dann hat sich diese Person das nicht bewusst ausgesucht und kann es auch nicht bewusst ändern. Was das bewusste Gehirn dagegen kann, ist die Vorliebe für einen Komponisten (eine Person, einen Beruf) wortreich (und scheinbar rational) zu begründen.
Das glaube ich nicht, weil Geschmäcker sich ja auch ändern. Man kann mögen, was man früher nicht mochte und manches, was man liebte kann einem irgendwie fade erscheinen. Bei Musik, Essen, Trinken, Lesen, Filmen ich habe das schon öfter erlebt und ich werde nicht der einzige sein.
Unser bewusstes Gehirn ist nämlich eine Erklärungs- und Rechtfertigungsmaschine, die keine Mühe hat, Argumente und Begründungen für unsere Präferenzen zu erfinden. Das ist bei Musikkritikern nicht anders als beim Rest der Bevölkerung: zuerst kommt die Präferenz/Aversion und erst danach die Erklärung bzw. die Begründung, die je nach Ausbildung mehr oder weniger gelehrt ausgeschmückt wird.
Das wäre hochgradig unprofessionell. Es gibt ja bestimmte Gütekriterien, ob das in der Kunst letztlich ausschlaggebend ist, darüber mag man streite. aber auch Künstler machen ja in guten Fällen eine Entwicklung durch, die über technische Beherrschung und schön/lecker oder solche Kriterien hinaus geht.
Anscheinend war sich Marcel Reich-Ranicki dieser Tatsache bewusst, denn ich erinnere mich an folgendes Bonmot von ihm: "Ich wurde einmal gefragt, warum man Joseph Roth und nicht lieber ein Buch, das Spaß macht lesen soll?" Seine Antwort: "Aber wieso - Joseph Roth macht doch Spaß!" Er kannte also den eigentlichen Grund seiner Vorliebe und redete nicht um den heißen Brei herum. Angesichts so viel Mut zur Ehrlichkeit kann ich nur sagen: Chapeau!
Quatsch. Reich-Ranicki war niemand, der primär davon geredet hat, dass ein Buch Spaß machen soll, sondern er hat bestimmte Kriterien abgegrast. Sicherlich interpretiert die auch der Kritiker eigenwillig, aber wenn er nicht weiß, wovon er redet, hat er seinen Beruf verfehlt.
Reich-Ranicki wurde populär, weil er sich nicht in exzessiven akademischen Details verheddert hat, sondern insofern klare Kante zeigte, als am Ende klar werden sollte, ob es sich lohnt ein Buch zu lesen, oder nicht.
Das wurde nämlich bei der old style Kritik nicht klar und weil er so ein emotionaler Zeisig war, wurde er gerne geguckt. Aber mit Spaß im vordergründigen Sinn, konnte man ihn jagen.