Konnte ich mich doch wieder mal erfolgreich um eine seitenlange Abhandlung herummogeln, hehe...
Robin schrieb:
Ich sage nur: audience friendly contemporary music
Wobei man von Deinen Sachen nun auch nicht gerade behaupten kann, daß sie Bürgerschreckqualitäten hätten, Robin.
Mit dem Begriff der Publikumsfreundlichkeit kommen wir der Sache schon näher. Im deutschen Sprachraum hat die audience friendly contemporary music immer noch etwas Anrüchiges, schnell bekommt ein gefälliger schreibender Komponist den Vorwurf zu hören, er "leiste keinen Beitrag zur Neuen Musik." Dafür werden aber britische Komponisten, deren Arbeiten selten über das von Alban Berg oder Igor Stravinsky Erreichte hinausgehen, hierzulande hofiert, als wenn sie die einzige Errettung der Tonkunst wären. Wehe aber, ein deutscher Komponist versuchte einmal etwas derartiges wie der von mir hoch geschätze Olly Knussen mit "Wo die wilden Kerle wohnen"! Da stünde die Kritik zur öffentlichen Steinigung bereit!
Céline, auf den Barrikaden möchte ich Dich dann gern einmal besuchen. Liegen die nicht auch irgendwo in der Südsee?
Das Publikum klassischer Konzerte ist wenigstens hier in HH hoffnungslos überaltert, in der Oper ist es etwas besser. Dafür haben die Konzerte Neuer Musik ein wesentlich jüngeres Publikum (manchmal trifft man dort aber auch auf enthusiastische alte Damen, die noch von der Wozzeck-Uraufführung berichten können.) Vielleicht ist es Zeit, sich einzugestehen, daß die klassische und die Neue Musik sich zu zwei grundverschiedenen Genres entwickelt haben.
Robin schrieb:
Schönbergs These, irgendwann würden die Leute in den Straßen atonale Melodien pfeifen, ist von erstaunlicher Naivität. Sie widerspricht einfach den physiologischen Voraussetzungen (Gedächntisleistung und Gehör sind nicht beliebig trainierbar).
Einspruch, Euer Ehren. Schönberg selbst hat sich zu Recht gegen den Begriff "Atonalität" gewandt - und an jeder Komposition, die im Rahmen des temperierten 12-Tonsystems sich bewegt, sind ja grundlegend tonale, auf die traditionelle Diatonik rückbeziehbare Aspekte nachweisbar.
Was die Trainierbarkeit angeht: ich staune immer wieder, was die Musiker von spezialisierten Spitzenensembles wie dem Ensemble Intercontemporain (Paris), Ensemble Modern (Frankfurt) oder dem Asko-Ensemble (Amsterdam) drauf haben. Innerhalb kürzester Zeit werden da die ultrakomplexesten Partituren erarbeitet und perfekt realisiert. Für spezialisierte Chöre gilt das gleiche, selbst im Bereich der Vokalmusik scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Oft sind es innovative Interpreten, die Neuland entdecken und die Komponisten dadurch herausfordern. Und letzere müssen schon auch einmal über die Grenzen ihres Vorstellungsvermögens hinausgehen, sonst kommen sie in ihrer Entwicklung nicht weiter. Man kann nicht immer nur hinterm Ofen im liebgewordenen vertrauten Staub kleben.
Unabhängig davon scheinen die Liebhaber des Free Jazz, wie auch die Heavy-Metal- und Industrial-Fans, mit "Atonalität" ja keine weiteren Schwierigkeiten zu haben. Oder will uns jemand erzählen, da ginge es noch mit der liebgewonnenen klassischen Harmonielehre zu?
Grüße von eurem KLO
(Frechheit! Ich glaube, hier muß mal jemand aufräumen?)