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Mozart!!!

Nachdem auch das einmal gesagt werden mußte, will ich meine kleinen grauen Zellen mal wieder ein bißchen besser anstrengen und doch nochmal etwas zwecks höherem Erkenntnisgewinn zur Fachsimpelei beitragen...

Robin, ich kann Dir in vielen Punkten beipflichten. Zuviel Mozart schafft schnell Überdruß. Es ist auch nicht einzusehen, warum so viel bohey um ausgerechnet diesen Komponisten gemacht wird. Obwohl zu bezweifeln ist, ob all die Stamitz, Cannabich und Wagenseil es kompositorisch so weit gebracht hätten wie er, wenn sie seit frühester Kindheit durch halb Europa geschleift worden wären und dadurch breiteste Kenntnis aller Stile ihrer Zeit gewonnen hätten, kann man doch nicht behaupten, daß Mozart in irgendeiner Hinsicht "besser", "tiefer" oder "genialer" gewesen wäre als andere Großmogule der Musikgeschichte auch. Allenfalls scheint Mozart als Person aufgrund der hohen Zahl an Briefen, die er hinterlassen hat, vertrauter als andere und auch dadurch anfälliger für Mythologisierungen.

Mendelssohn, Chopin, Ravel, Fauré - um mal meine Favoriten zu nennen. Zu Beethoven hege ich eher eine intellektuelle Liebe (falls es so etwas gibt), und mit Brahms bin ich seit meiner Kindheit so gründlich traktiert worden, daß auch da sich bei mir ein gewisser Überdruß eingestellt hat. An besonders schlechtgelaunten Tagen versteige ich mich gar zu der These, daß nach Guillaume de Machaut ohnehin nichts mehr komponiert wurde, was man guten Gewissens an seine Ohren lassen kann...

Robin schrieb:
-jede Note ergibt einen Sinn
Nein, da würde man Musik falsch verstehen. Bei Mozart und allen anderen könnte man massenweise Noten austauschen und nur Experten würden es merken. Der Sinn ergibt sich erst in der ganzen Form oder kleineren Teilen davon, nicht aber in den kleinsten.
Frage: wieviele Komponenten müssen zusammentreten, damit musikalischer Sinn entsteht? Sinngemäß sagte Delacroix: "Eine Linie allein ergibt noch keinen Sinn, es muß eine zweite hinzutreten, damit eine Aussage entsteht." Oder waren es zwei, und es bedarf einer dritten? Musik ist wahrscheinlich komplexer organisiert als Malerei oder Zeichnung; was ist die kleinste sinnvolle und ganz und gar spezifische Einheit? Noch nicht einmal ein einzelnes Motiv kann, für sich genommen, bereits etwas sagen, und doch muß das Motiv charakteristisch genug formuliert sein, um zum Zusammenhalt der Form beitragen zu können. Mozarts Repertoire an Figuren und Formen war vergleichsweise begrenzt. Oft wird ja gerade diese Beschränkung als Zeichen besonderer Meisterschaft gesehen. Dann wiederum wird bei Mozart doch sehr häufig nur die Schablone ausgefüllt; in den Sonatenhauptsätzen kommt es mir eigentlich immer so vor, als wenn mit der Exposition alles gesagt sei; nur fehlte dem Meister hier der Mut, konsequenterweise gegen die Konvention seiner Zeit ganz neue Formkategorien zu schaffen, wie beispielsweise Chopin es getan hat. Auch sind die Haupt- und Seitenthemen von der Zeitgestalt her meist mehrdeutig. Ein Hauptthema könnte genausogut als Seitenthema fungieren. Es ist eher, als wenn Mozarts Melodien frei in der Zeit trieben, anstatt diese schlüssig zu artikulieren. Man kann das als besondere Qualität betrachten, man kann darin aber auch einen kompositorischen Mangel sehen wollen.
Die Benutzung von Floskeln (am Schluss zum Beispiel) war immer nötig und selbst Bach-Liebhaber verdrehen manchmal die Augen ob seiner Sequenzen.
Du meinst die kontrapunktischen Cadenzen. Die waren allerdings eine Wissenschaft für sich; und gerade Bach wendet sie in der Regel nicht in ihrer floskelhaften Grundform an, sondern modifiziert und verfremdet sie zwecks einer sehr differenzierten Abstufung der Geltung verschiedener Schlüsse. Häufig in den Fugen cadenzieren auch nur zwei Stimmen, während die anderen beiden einen anderen Zusammenhang weiterspinnen. Mozart ist im Vergleich dazu in seinen Schlüssen geradezu primitiv gewesen.

-der zeitgenössischen Musik fehlt es an Gefühl
Hm. Kann nicht bestreiten, dass viele zeitgenössiche Musik einfach Schrott ist. Aber gefühllos? Das ist zu schnell geurteilt. "Die" zeitgenössische Musik befindet sich in einem künstlerisch-kommunikativen Dilemma. Teilweise selbstverschuldet, teilweise einfach Folge einer "inneren Konsequenz" der Musikentwicklung.
Gefühllos? Im Gegenteil! 99,9% wenigstens der deutschen Produktion etwa der letzten 30 Jahre trieft und klebt vor larmoyantestem Subjektivismus. Ein appollinischer Kunstbegriff des Musikwerks als in sich geschlossenem, eigenem Formgesetz genügendem Objet d'Art hat sich eher im britischen und amerikanischem Raum erhalten, vielleicht auch noch in Frankreich und Italien - obwohl da natürlich auch viel geistig halb verdautes fabriziert wird.
Ein Dilemma sehe ich nur in den sinkenden Aufführungszahlen. Das Publikum hat dadurch gar keine Chance, sich ein Urteil zu bilden und muß eben fressen, was Redakteure und Programmdirektoren ihnen zufällig gerade mal vorsetzen. Eine "innere Konsequenz" der Musikentwicklung gibt es nicht - das ist lediglich 1) ein Konstrukt des bürgerlichen Historismus, der allen Ernstes einen "Fortschritt" von Bach zu Beethoven zu Brahms, weiter zu Schönberg und dann zu Lachenmann, der sich in diese Position selbst anmaßend hineinsetzte und 2) eine Behauptung von zunächst exact zwei Komponisten des Darmstädter Kreises - Boulez und Stockhausen - die die Führerschaft in dieser "inneren Konsequenz" wie selbstverständlich für sich reklamierten und damit wesentlich interessantere Komponisten wie Stefan Wolpe oder Bernd Alois Zimmermann aus der Diskussion heraushalten wollten. Späterhin hat ein gewisser Ligeti noch das seinige dazu beigetragen. Alles ein riesiger, menschlich sehr fragwürdig abgelaufener Konkurrenzkrampf, dem wir nicht das Wort reden sollten. Heute ist musikalischer Pluralismus angezeigt! Der Blick nach Frankreich lehrt es uns: da standen neben der "Avangarde" des von Boulez geleiteten Ircam immer auch konservativere Komponisten wie Henri Dutilleux oder Jean Françaix. Und mir ist eine perfekte Arbeit eines „Reaktionärs“ hundertmal lieber als etwas vorgeblich Innovatives, bei dem die Mängel der handwerklichen Ausarbeitung einem förmlich ins Gesicht springen.

Zum Schluß: wie würde Mozart sich heute positionieren?
Im Ernst, ich kann nur vermuten. Vielleicht wäre er eine Art Mischung aus Wolfgang Rihm und Prince Rogers Nelson, vielleicht wäre er auch Hollywood-Filmkomponist, der nebenher als Dirigent und Klaviervirtuose aller Stile durch die Welt tingelt. Schwer zu sagen.

Grüße, Gaius
 
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Zeilinger schrieb:
Wie definierst du Klassik ?
In dem kurzen dahingeplauderten Satz betr. planet claire: im landläufigen Sinne.
Aber Du hast die riesige imaginäre Ironietafel dabei doch nicht übersehen :) ???
Uuuuh, das gibt noch ein schlimmes Schattenboxen und Spiegelfechten um die Kategorien E und U und warum Mozart in keine von beiden so recht hineinpaßt...
 
"Klassische Musik" ist die, wo man in ehrwürdigen alten Gebäuden für meist sündhaft teure Eintrittsgelder auf sichtbehinderten Plätzen neben ondulierten, klunkerbehängten und stark duftenden älteren Gemahlinnen sitzt und hinter Pulten versteckten, ernst blickenden Damen und Herren bei einem schwer nachvollziehbaren Tun auf keinem offensichtlich erkennbaren Zweck dienenden Geräten beiwohnt, ohne zwischendurch lachen, austreten oder auch nur mit Bonbonpapier knistern zu dürfen.

Man kann sie inzwischen auch auf kleinen silbernen Scheibchen gepresst erwerben und daheim im Ohrensessel genießen, das verschafft aber nicht so ein authentisches Kulturerlebnis.

Das war jetzt ganz unironisch. :maus:
 
Gaius schrieb:
"Klassische Musik" ist die, wo man in ehrwürdigen alten Gebäuden für meist sündhaft teure Eintrittsgelder auf sichtbehinderten Plätzen neben ondulierten, klunkerbehängten und stark duftenden älteren Gemahlinnen sitzt und hinter Pulten versteckten, ernst blickenden Damen und Herren bei einem schwer nachvollziehbaren Tun auf keinem offensichtlich erkennbaren Zweck dienenden Geräten beiwohnt, ohne zwischendurch lachen, austreten oder auch nur mit Bonbonpapier knistern zu dürfen.

Man kann sie inzwischen auch auf kleinen silbernen Scheibchen gepresst erwerben und daheim im Ohrensessel genießen, das verschafft aber nicht so ein authentisches Kulturerlebnis.

Das war jetzt ganz unironisch. :maus:
Klassisch heißt zeitlos, Gaius, und das nicht nur in der Musik. Immer anwendbar. Das heißt es war gut, es ist heute gut und es wird voraussichtlich auch in Zukunft gut sein. Die (meiste) Musik, die heute geschrieben wird, muss erst einmal ein paar Jahrhunderte überdauern. 80 % oder mehr der neuen Kompositionen verschwinden innerhalb eines Jahres wieder vom Markt.
Aber betrachten wir es einmal philosophisch bis realpolitisch. Wer zwingt Dich, Dir klassische Musik anzuhören, wenn sie Dir nicht gefällt ???
Was stört Dich daran, dass andere Mozart-Fans sind ? Siehst Du ihn als Konkurrenten oder was ist los ?

Leicht irritiert

Zeili
 
Zeilinger schrieb:
Aber betrachten wir es einmal philosophisch bis realpolitisch. Wer zwingt Dich, Dir klassische Musik anzuhören, wenn sie Dir nicht gefällt ???
Was stört Dich daran, dass andere Mozart-Fans sind ? Siehst Du ihn als Konkurrenten oder was ist los ?

Leicht irritiert

Zeili

Zeili, da sieht man doch, wie oberflächlich du liest! Hast du denn nicht Gaius funfierte Abhandlung über klass. Musik gelesen? Hast du nicht gelesen, welche Art von klassische Musik er liebt und warum?
Außerdem stört sich niemand daran, dass jemand Mozart-Fan ist. Wir stören uns höchstens daran, ihn als alleiniges, höchstes Genie zu sehen. Denn dieser Amspruch wäre für jeden Künstler/Komponisten unsinnig.
 
Da ich gerade mal hier bin, werde ich versuchen, noch ein bisschen zur Materie beizutragen, auch wenn ich einen anderen Weg als Gaius gegangen bin. Fing zwar mit Bach auf der Gitarre an, drehte dann aber mehr zu Jazz und Rock, um dann letzendlich "Klassisch" zu komponieren.
(Übrigens: wer zwischen der "Klassik" als Epoche und dem Begriff "Klassik" für Musik nicht unterscheiden kann, sollte vielleicht wirklich nicht mitreden [Fragen sind aber erlaubt])

Gaius schrieb:
Zu Beethoven hege ich eher eine intellektuelle Liebe (falls es so etwas gibt)

Das würde mich allerdings interessieren, wie man so liebt

, und mit Brahms bin ich seit meiner Kindheit so gründlich traktiert worden, daß auch da sich bei mir ein gewisser Überdruß eingestellt hat. An besonders schlechtgelaunten Tagen versteige ich mich gar zu der These, daß nach Guillaume de Machaut ohnehin nichts mehr komponiert wurde, was man guten Gewissens an seine Ohren lassen kann...

Frage: Liebt man Komponisten? Oder liebt man die Musik? Die Frage nach den Lieblingsphilsophen wurde gerade andernorts gestellt. Die Zuschneidung der Vorlieben auf (imaginäre) Personen ist verständlich, doch birgt sie Risiken. Schnell versteigt sich einer in Anbetung und meint, alles von einem Komponisten lieben zu müssen. Wir dürfen aber sagen: das Werk eines jeden Komponisten, auch des größten, ist durchwachsen. Nicht alles ist eben vom "Genie-Blitz" getroffen worden... Auftragswerke, Verirrungen, Jugendwerke, Übergangswerke, schwache Werke...
Mit der Zeit wurde ich immer weniger Fan von Komponisten. Eigentlich müsste ich sagen, dass ich kein Brahms-Fan bin - dass mir aber einige Werke mehr bedeuten sogar als die von Beethoven.

Frage: wieviele Komponenten müssen zusammentreten, damit musikalischer Sinn entsteht? Sinngemäß sagte Delacroix: "Eine Linie allein ergibt noch keinen Sinn, es muß eine zweite hinzutreten, damit eine Aussage entsteht." Oder waren es zwei, und es bedarf einer dritten? Musik ist wahrscheinlich komplexer organisiert als Malerei oder Zeichnung; was ist die kleinste sinnvolle und ganz und gar spezifische Einheit?

Die Frage wird noch komplizierter, wenn man über klassische Musik (nicht Musik der Klassik, Zeili) hinausgeht. Delacroix' geht von Noten aus, komponierten Noten. Die nicht-klassische Musik führt aber noch Elemente hinzu, die nicht, oder nur schwer durch Noten zu erfassen sind: Sound, Groove von mir aus auch attitude. Auch Repräsentationselemente der jeweiligen sozialen Subkultur spielen in diese Musik ein (dies allerdings auch in der Klassik - es wird aber verdrängt, weil es so allgegenwärtig ist) Das sind auch Strukturelemente, aber wie sie kathegorisieren? (Mir ist klar, dass auch in der Klassik Klangaspekte eine Rolle spielen, in der Popmusik hat sich dieser Aspekt aber verselbstständigt)
Folgendes kann ich auch nur fragend formulieren: Wie schafft es Pop-Musik, die meist wesentlich simpler "komponiert" ist als klassische, auf mich trotzdem als Kunst zu wirken?
Als große Arroganz zu verdammen ist jedenfalls der Spruch mit dem Bäckermeister: Es komt irgendwie auf das Verweben der Strukturelemente an und dass dann nur bei Klassik Kunst entstehen soll, ist inakzeptabel.

Wenden wir uns dem gefährlich Gebiet der Verschmelzung von Klassik und Rock zu. Zugegeben, dies scheitert praktisch immer entweder am Dilettantismus der Rockmusiker oder am Geschmack der Klassiker. Herausragende Ausnahme: Frank Zappa.

(Schlag mich, Gaius, aber "Greggery Peccary" ist nicht nur ein Meisterwerk, ich plädiere auch dafür, es zu einem der besten Werke des 20 Jhd. zu küren. Bedeutend ist es wohl nicht, weil es nicht viele außer mir bedeutend finden).

Eine "innere Konsequenz" der Musikentwicklung gibt es nicht - das ist lediglich 1) ein Konstrukt des bürgerlichen Historismus, der allen Ernstes einen "Fortschritt" von Bach zu Beethoven zu Brahms, weiter zu Schönberg und dann zu Lachenmann, der sich in diese Position selbst anmaßend hineinsetzte und 2) eine Behauptung von zunächst exact zwei Komponisten des Darmstädter Kreises - Boulez und Stockhausen - die die Führerschaft in dieser "inneren Konsequenz" wie selbstverständlich für sich reklamierten und damit wesentlich interessantere Komponisten wie Stefan Wolpe oder Bernd Alois Zimmermann aus der Diskussion heraushalten wollten. Späterhin hat ein gewisser Ligeti noch das seinige dazu beigetragen.

Habe den Begriff durchaus in Anführungszeichen gesetzt. Aber Pluralimus hin oder her, schwer vermittelbar ist jedem Publikum die Abkehr von der Tonalität. das hat dann nichts mit Schulen oder Stockhausen hin und Ligeti her zu tun (ich finde übrigens Ligeti ganz gut). Das ist eine kommunikative Krise. Und auch und gerade dann, wenn man die Musik selbst als die Kommunikation ansieht.
Wie oft hört man selbt gutwillige Musikliebhaber reden: Also live ist das toll, aber zu hause würde ich mir das nicht anhören. Ja Musik ist kompliziert, atonale Musik ist unverschämt kompliziert (zu hören). Die Hörfähigkeit des Publikums wird generell überschätzt. Ich arbeite bei einem Radio und kann von dieser Schnittstelle aus einiges darüber sagen. Selbst studierte Redakteure tappen bei neuer Musik im Dunkeln. Es ist ein ständiges "So-tun-als-ob-man-es-verstanden-hätte"
Auch studierte Musiker können atonale Musik kaum im Gedächntis behalten. Ohne das Booklet der CD sind sie hilflos. Sie können überhaupt nicht differenzieren zwischen, sagen wir Neuwirth und Boulez, Webern und Schönberg. (Manche hören auch nicht den Unterschied zwischen Schubert und Schumann) Sie hören es einfach nicht, ich weiß nicht, ob du dirs vorstellen kannst, Gaius, aber dies erklärt natürlich auch oberflächliche, lieblose Sendungen über neue Musik voll von schwülstigen Klischeegelaber, ohne richtiges Stellung-beziehen.

O-ton eines neue-Musik-Redakteurs: "Wenn ich nicht weiß, was ich in meiner Sendung machen soll, gehe ich einfach zu meinem CD-Schrank und ziehe irgendetwas raus."
Das nenne ich ein Kommunikationsproblem.

Ich sehe folgende Probleme der Gegenwartsmusik:
- Schlechte Vermittler
- Elitedenken
- Lagerdenken
- Alte Komponistensäcke auf lukrativen Lehrstellen
- Unfähigkeit der Komponisten, "populäre" Elemente der Musik in gute Komposition zu verschmelzen.

(Ehrlich gesagt juckt mich das nur peripher, denn ich nehme mir das beste aus allen Welten)
Du siehst also: Ich bin kein Anhänger eines reinen "Qualitätsdenkens". Musik ist Kommunikation, die gelingen sollte. Wenn das zunehmend misslingt, sollte man nicht die Schuld allein in der Qualität sehen.

Um nochmal auf Mozart zurückzukommen. Man könnte sich einen heutigen Mozart natürlich nur als ein Kind dieser Zeit vorstellen. Man kann ja nicht den kleinen Amadé einfach über ein paar Jahrhunderte konserviert hierher beamen. Ein heutiger Mozart müsste sich mit den Problemen der zeitgenössischen Musik auseinandersetzen und würde natürlich nicht noch einmal die kleine Nachtmusik komponieren. Völlig unberechenbar ist, ob er sich heute durchsetzen würde. Es ist eben nicht alles Talent oder Genie. Zufälle spielen auch eine Rolle. In der Zeit der postmodernen, medialisierten, pluralen, kommerziellen Welt mehr denn je.
 
Ich hab gerade ein anstrengendes Telefonat mit meinem schwer depressiven Sohn hinter mir.

Nun habe ich fast automatisch die CD mit Mozarts "Requiem" eingelegt und meinen PC eingeschaltet. Und das erste, das mir entgegensprang, war Robins Mozart-Beitrag.

Welch ein Zufall.

Mozarts Musik schafft es bei mir, meine innere Harmonie und Fröhlichkeit wiederherzustellen. Ich habe einen sehr emotionalen Zugang zur Musik.
Schon als Kind liebte ich das Zusammenspiel der Töne, den Aufbau von Spannungsbögen und die Auflösung in einem harmonischen Akkord.

Mit dem theoretischen Hintergrund wollte ich mich gar nicht beschäftigen. Ich nehme Musik eher körperlich wahr und spüre, welche Gefühle in mir dadurch erzeugt werden.

Was Robin über die atonale Musik schreibt, kann ich nur bestätigen. Bei einem Konzert, wo man die Musiker auch sehen kann, wo die einzelnen Instrumente nicht nur hörbar sondern auch sichtbar sind, wo man den Dirigenten beobachten kann, da finde ich einen Zugang zu einem Gesamteindruck, der auch in mir Resonanz findet. Was ich einmal live erlebt habe, kann ich dann auch "nur" hören.
Anders funktioniert das nicht.

Lange Zeit hatte ich gar nicht das Bedürfnis zu wissen, von wem die Musik stammt, die mir gefiel. Ich hörte etwas, es gefiel mir oder nicht. Inzwischen kenne ich die Komponisten meiner gern gehörten Musik, aber es sind gerade die bekannten "Klassiker" (ich verwende diesen Begriff im Sinne von "bekannte alte Meister") wie Beethoven, Mozart, Haydn, Mahler, Schuhmann, Schubert, die ich besonders liebe.

Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, aber es sind die, die fast jeder kennt. Sie sind mMn deswegen so bekannt geworden, weil der Zugang zu ihrer Musik nicht erst über den Kopf erarbeitet werden muss, sondern da höre ich etwas, das meine "Seele unmittelbar berührt". Das klingt ein wenig pathetisch, aber so drückt es das am besten aus, was ich meine.

Ich liebe auch Jazz in allen Variationen, da kenn ich mich aber nicht wirklich aus, da gehe ich nach meiner alten Methode vor, ich höre und es gefällt oder nicht. Manchmal wundere ich mich, dass mich etwas sehr anspricht, obwohl es eher einer Richtung entspricht, die ich "eigentlich" nicht leiden kann.

Meine musikalische Praxis ist der Chorgesang. Die eigene Stimme in einem Klanggebilde mit einzubringen, dabei den ganzen Körper spüren und spüren wie die Töne aufsteigen und sich zu einer Wolke aus Klang und Harmonie verbinden, das ist erlebte und erfahrene Musik für mich.

Klavier spiele ich zur Entspannung, da hab ichs nicht weiter gebracht als mir selbst ein bisschen Freude zu verschaffen, was ja auch ganz nett ist.

Das Requiem ist zu Ende, ich bin wieder ruhig.
Gute Nacht!

herzlich
lilith51
 
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lilith51 schrieb:
Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, aber es sind die, die fast jeder kennt. Sie sind mMn deswegen so bekannt geworden, weil der Zugang zu ihrer Musik nicht erst über den Kopf erarbeitet werden muss, sondern da höre ich etwas, das meine "Seele unmittelbar berührt". Das klingt ein wenig pathetisch, aber so drückt es das am besten aus, was ich meine.

Dies ist der Zugang der meisten Hörer und das sollte man auch als "intellektueller" Musikliebhaber akzeptieren können.

Meine These: In keiner anderen Kunstform besitzt der Profi einen dermaßen großen Wissens- und Bewusstseinsvorsprung wie in der Musik. Und in keiner anderen Kunstform "nutzt" er es so aus. Schönbergs These, irgendwann würden die Leute in den Straßen atonale Melodien pfeifen, ist von erstaunlicher Naivität. Sie widerspricht einfach den physiologischen Voraussetzungen (Gedächntisleistung und Gehör sind nicht beliebig trainierbar).
Ein naiver Zugang zur Kunst wird in anderen Bereichen (Kino, Malerei, in Abstrichen auch in Literatur) durchaus akzeptiert. In der (neuen) Musik tun sich hier Gräben auf.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich selbst komponiere gerne "schräg" oder nahezu atonal - ich bemühe mich dabei, aber hörbar zu bleiben.
Ich weiß nicht, Gaius, ob du es bestätigen kannst, aber der "Druck" hochintellektuell und kompliziert zu schreiben, verführt selbst viele Komponisten dazu, etwas zu schreiben, das sie gar nicht hören. Das führt zu grotesken Ergebnissen!

Ich denke, es müsste noch etwas geben (und es gibt es auch, wenn man sucht) zwischen ewig wiederkehrendem Klassikgedudel und sich abkapselnder "neue-Musik"-Verschworenheit.
Wenn wir hier sagen, dass wir Mozart nicht so toll finden, so heißt das ja nicht generelle Verdammnis (und hoffentlich keine übermäßige Arroganz). Man hat einfach einen anderen Zugang. Ich will diesen Zugang nicht "objektivieren". Mozart zu mögen gehört auch zur Pluralität unserer Zeit. Jeglicher Alleinvertretungsanspruch ist aber absurd.
 
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