AW: Israels blutige Geschichte
Hallo!
Eine ganz schön hitzige Debatte, die sich hier abspielt, mit teilweise sehr persönlichen Angriffen. Vielleicht sollte aber bei der Schärfe im Ton badacht werden, daß der Nahost-Konflikt nicht ohne Grund spätestens seit Errichtung des Staates Israel andauert, eben weil Recht/Unrecht nicht zweifelsfrei auf einer der beiden Seiten zu finden ist, jedenfalls soweit es Israel und Palästina betrifft. Aus diesem Grund bin ich auch pessimistisch hinsichtlich der Frage, ob es jemals eine Lösung des Problems geben wird.
Wer jedenfalls will bei einer derart engen Sachlage für sich in Anspruch nehmen, eindeutig auf der richtigen Seite zu stehen?
Betrachtet man die Angriffe Israels auf den Libanon aus Sicht eines Mitteleuropäers, lassen sich diese schlecht rechtfertigen. Ob die Entführung der Soldaten, so schlimm dieser Akt auch ist, derartig massive Gegenmaßnahmen insbesondere aufgrund der hohen Zahl an zivilen Opfern rechtfertigen, halte ich milde formuliert für äußerst fragwürdig.
Das oft gebrauchte Argument, da könne man nichts machen, die Hisbolla benutze die Zivilbevölkerung doch bewußt als Schutzschild, taugt jedenfalls nicht zur Rechtfertigung, denn ich gehe nicht davon aus, daß sämtliche "Schutzschilde" ihre Rolle freiwillig übernommen haben, schon deshalb nicht, weil unter den Opfern auch Kinder waren.
Auch politisch bewegt sich Israel damit auf sehr dünnem Eis, denn der einzige Gewinner sind die Hisbolla und der unsägliche Präsident des Iran. Offenbar scheint man in Israel - ebensowenig wie in den USA - verstanden zu haben, daß sich Terrorismus nicht militärisch bekämpfen läßt.
Schließlich kann wohl niemand ersthaft behaupten, daß der Westen, insbesondere die USA mit gleichem Maß die Position der Araber wie die der Israeli behandelt. Ein Beispiel ist die Resolutionspolitik der USA im Sicherheitsrat, die beharrlich eine angemessenere, schärfere Erklärung verhindert haben. Viele Muslime müssen so das Gefühl haben, wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden.
Zudem frage ich mich schon seit langem, wie die USA es eigentlich moralisch rechtfertigen will, als bis an die Zehenspitzen bewaffnete Atommacht anderen Ländern Atomwaffen zu verbieten. Getreu dem Motto: Nur die in den Händen der USA befindlichen Bomben sind "gute" Bomben. Um nicht mißverstanden zu werden: Nichts wäre fataler als die Bombe in den Händen des iranischen Präsidenten oder irgendeiner islamistischen Regierung/Gruppe. Aber der Iran hat die Signale des Irak-Krieges - was auch keine Kunst ist - verstanden. George B. käme kaum auf die Idee, jemals Nordkorea anzugreifen.
Aber ich schweife ab:
Obige Kritik an Israels Politik läßt sich aus ruhiger mitteleuropäischer Perspektive ziemlich leicht analytisch und nach unserem Rechtsverständnis üben. In der Tat sollte man schon versuchen, sich einmal in die Psyche der Israeli zu versetzen. Dazu nur einige Aspekte:
1. Das Land ist kaum größer als Hessen und umgeben von Feinden oder solchen, die es jederzeit und sehr kurzfristig wieder werden können. Die Angst, "ins Meer getrieben" zu werden, ist nicht bloß eine Metapher, sondern sehr realistisch.
2. Israel hat überhaupt keine Sicherheitsgarantien außer seiner eigenen militärischen Stärke und wird sie m.E. auch nie bekommen. Was noch unter Rabin möglich schien, war schon in kürzester Zeit obsolet. Es gibt überhaupt keine politische Verläßlichkeit und ich bin so kühn zu behaupten, daß jegliches Einlenken der anderen Seite sich auf kurz oder lang als Lippenbekenntnis herausstellt. Israel wird nicht akzeptiert werden und es spielt von daher kaum eine Rolle, inwieweit Israel der anderen Seite Zugeständnisse macht. Die Forderungen werden erst dann aufhören, wenn der Staat nicht mehr existiert. Deshalb sind auch sämtliche Ministerpräsidenten, gleich welcher coleur, bestrebt, Stärke zu demonstrieren und deutlich zu machen:"Wir bleiben!".
3. Israel hat allein in den letzten Jahren unter den Terroranschlägen extrem zu leiden gehabt. Ich kenne die Zahlen nicht aus dem Kopf aber soviel läßt sich schon behaupten: Wenn gemessen an den Proportionen eine vergleichbar hohe Zahl an Menschen in der Bundesrepublik ermordet worden wären, möchte ich mir gar nicht ausmalen, was unsere Politiker, Medien und nicht zuletzt auch Stammtische für Maßnahmen fordern würden. Ich glaube allerdings kaum, daß an solchen Stammtischen sonderlich viel Einfühlungsvermögen für die Ängste der israelischen Bevölkerung artikuliert wird.
Einen schönen Sonntagabend noch wünscht
Zwetsche