Céline schrieb:
Muzmuz, ich frage mich (von dir ungefragt selbstverständlich), wieviel Sinn noch darin sein mag, sich hier weiter zu engagieren, wenn die vorhergehenden Beiträge und selbst das Zitierte(!)in den Antworten nicht berückstichtigt wird.
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Céline, ich bin auch der Meinung, dass Muzmuz anderswo durch große Konsistenz und Überblick besticht, in dieser Frage aber seltsam verbohrt ist.
Die absurdeste These an dem Ganzen finde ich die Aussage:
was eine einzelne frau verlangt und was die politische bewegung will ist manchmal durchaus sehr unterschiedlich
das ist auch mit ein grund, warum sich gesellschaftspolitisch trotz all der eingriffe nicht viel getan hat
Es ist doch offesichtlich, dass sich in diesem Jahrhundert ungeheuer viel im Verhältnise Mann/Frau getan hat. Geht man noch Jahrhunderte zurück noch viel mehr.
Warum wird denn ständig aus der (Lebens-?)erfahrung von ein paar Jahrzehnten heraus behauptet, alles stagniere und es tue sich kaum noch etwas? Gibt es denn keinen historischen Blick? Und warum sollte man jetzt an einem Endpunkt sein?Weil das "rationale Zeitalter" angebrochen ist?
Was Céline ausdrücken wollte mit ihrem ebenso engagierten wie gebildeten Ländervergleich:
Schon aus der Tatsache, dass in verschiedenen Ländern so unterschiedliche Ausprägungen, Modelle und Verhaltensweisen gibt, zeigt, dass sich jede Menge ändern kann und wird. Und dass man in Frankreich sowohl im Bereich Geburtenrate und Gleichberechtigung erfolgreicher kann, scheint mir evident.
Ich will noch kurz, Muzmuz, weil du schlau bist, ausführen, worauf sich in dieser Frage unser Missverstehen begründet:
Du überschätzt das Individuum mit seinen - am Eigennutz gemessenen - rationalen Entscheidungen. Lebenserfahrungen und psychologische Studien weisen aber einen anderen Weg. Schon geringer Gruppenzwang bringt Menschen dazu, Dinge zu behaupten oder zuzustimmen, die offensichtlich absurd sind (bis hin zu der Behauptung, dass ein gelbes Tuch grün sei usw.).
Schon hier könnte man ein sizilianisches Dorf anbringen mit extremer gesellschaftlicher Beobachtung. Unter solchen Bedingungen soll es allein das Problem der Frau sein, arbeiten zu gehen und ihren Weg zu gehen?
Das ist allein schon informationstechnisch unmöglich, psychosozial schlicht absurd.
Aber gehen wir weg von Dörfern und Individuen. Bei meiner Betrachtungsweise geht es bei Aspekten wie Emanzipation (aber auch: Freiheit, Gleichheit, Sozialismus, Die-Erde-dreht-sich-um-die-Sonne) um Evolution, IDEENEVOLUTION.
Und hier darf man das Individuum nicht überschätzen. Das Individuum hat die Funktion einer Mutation in der Biologie, es bringt eine neue Idee hervor. Die sich dann kommunikativ -also unabhängig von Individuen (größtenteils in Massenmedien) bewähren muss.
Beispiel: Galilei. Zunächst stammt die Idee, die Erde drehe sich um die Sonne nicht von ihm. Haben auch schon andere gesagt. Er hatte aber ein - heute würde man sagen - großen publicity-Erfolg.
Doch der Erfolg seiner Idee beruhte nicht darauf, dass er rational dachte oder dass die Idee "wahr" war. Sondern lediglich auf einer gesellschaftsstrukturellen Änderung, der Erfindung und Durchsetzung des Buchdrucks. Dieser ermöglichte, dass Menschen Ideen vergleichen konnten unabhängig von dogmatischer kirchlicher Lehre usw.
Die Frage der Emanzipation war ebenfalls ein großer Publicity-Erfolg, forciert von Alice Schwarzer, dem stern und anderen. Alice Schwarzer spielt bei "Was bin ich?" mit, der Stern hat kaum noch nackte Brüste auf dem Cover (außer bei Medizin-Berichten
). Die Idee zeiht weiter.
Im Moment hat die Emanzipation einen ziemlichen medialen Misserfolg. Aber das sind Wellen. Gleichzeitig gibt es eine "submediale" Ideenevolution, man könnte sie auch polemisch "Stammtischevolution" nennen, die patriachalen ideen ein Comeback ermöglichen könnte. Vielleicht denkt der Stammtisch aber gar nicht so konservativ. Vielleicht sieht nur die Bild-Zeitung Verkaufspotenzial in der Verbreitung rückständiger Thesen. Vielleicht hat Herr Longman Recht.
Das kann niemand vorhersagen, so wie man Evolution immer nur im Nachhinein erklären kann, aber nie vorhersagen.
Die Idee der Gleichberechtigung hat noch einiges Potenzial - gerade weil sie auch selbst sich verändert und entwickelt hat. Sie bietet immer noch jede Menge Vorteile für Männer und Frauen - gerade wenn sie undogmatisch und bar einer Einforderung von Gleichheit oder Gleichmacherei wie hier oft unterstellt wird - verfolgt wird.
So wie Freiheit heute anders verstanden wird als 1968, wird Emanzipation heute anders verstanden als 1974. Und so wenig, wie man aus der Tatsache, dass es absolute sexuelle Freiheit und sonstige Tabulosigeit nicht geben kann und darf, schließt, dass Fraiheit ein toter Begriff ist, so wenig kann man aus der Tatsache, das die Emanzipation nicht alle Geschlechtsunterschiede beseitigen konnte, schließen, dass die Emanzipation gescheitert ist.
Mit diesen Ausführungen sollte ich auch die Eingangsfrage von e-a-s beantwortet haben. Sowenig, wie sich die Emanzipation an den Einzelentscheidungen angeblich rationaler Individuen misst, so wenig misst sie sich natürlich an der Einsichtsfähigkeit einer kollektivenGruppe.
Sie misst sich aus dem Potenzial ihrer inneren Konsistenz, ihrer Wandlungsfähigkeit und letztendlich - an ihrem kommunikativen Erfolg.
P.S.
Diese Ausführungen beruhen auf einem Modell gesellschaftlicher Beschreibung, wie ich sie z.B. in dem Thread "Systemtheorie"
https://www.denkforum.at/forum/showthread.php?t=1719&highlight=Systemthoerie und anderen ausführlich begründet habe. Das sage ich deswegen, weil sich Widerspruch oder verschiedene Ansichten zum Thema Individuum/Gesellschaft oder wie sich Kommunikation zur Kognition verhält,ergeben werden, die ich in diesem Thread nicht noch mal aufrollen werde.
Allerdinsg sind sie sicher auch so verständlich, wenn man die Prämisse des rational entscheidenden egoistischen Individuums ebenso aufgibt wie die Annahme von kollektiven Ablehnungen oder Annahemn von Ideen.