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Prinzip und Neigung

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Heute möchte ich ein weiteres Beispiel anführen, in dem Prinzipien fälschlicherweise als Erklärung für eigene Entscheidungen und Bewertungen herangezogen werden. Diesmal geht es nicht um Sex sondern um Musik, genauer: um klassische Musik. Ich hoffe, es gelingt mir, die Dinge auch für Nicht-Musiker verständlich darzustellen.

Glenn Gould, (ein Starpianist des vorigen Jahrhunderts), war ein Verächter der Musik Mozarts und insbesondere seiner späten Werke. So weit, so gut, jeder hat das Recht auf seine persönlichen Vorlieben. Interessant ist dabei, welche Erklärungen Gould für diese Bewertung liefert: dass Mozart in seinen frühen Klavierkonzerten viel kühner und innovativer zu Werke ging als in den späteren Werken, als er keine Neuerungen mehr zu bieten hatte. Er hat sich sogar zur Behauptung verstiegen, dass Mozart nicht zu früh sondern zu spät gestorben sei.

Seine Erklärung (für die Verachtung Mozarts) finde ich persönlich hanebüchen, denn wo kämen wir hin, wenn wir die Qualität eines Kunstwerks an der Anzahl und Radikalität der darin enthaltenen Neuerungen messen würden? Liegt der Wert eines Gemäldes, eines Romans, eines Gedichts, eines Films oder Musikstücks nicht ganz woanders: in der emotionalen Reaktion die es auszulösen vermag? Wenn mich ein Kunstwerk kalt lässt oder langweilt, dann kann es noch so kompliziert und revolutionär sein - es bleibt für mich ohne künstlerischen Wert.

Will damit sagen: auch in der Kunst wird formalen Prinzipien (Aufbau, Komplexität, technische Virtuosität, Innovation) oft mehr Gewicht als gebührlich verliehen. Ich persönlich sehe es so: wenn mich ein Werk anzieht, entzückt, erschüttert oder gar zu Tränen rührt, dann frage ich nicht, ob es irgendwelchen Prinzipien oder Regeln der Kunst entspricht, um mein Urteil entsprechend zu revidieren. Dabei ist es egal, ob es sich um ein monumentales Orchesterwerk oder um ein schlichtes Weihnachtslied handelt - es zählt allein ob es die Seele berührt (oder nicht).

Auch im Falle des Starpianisten glaube ich nicht, dass es anders war: zuerst war die Abneigung und erst danach die prinzipiellen Gründe, die nachgeschoben wurden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, hätte ihn die Mozarts Musik berührt, er auch eine Menge technischer Raffinessen darin entdeckt hätte.
 
Glenn Gould war, wie ich es immer noch bin, Verehrer und Liebhaber von Bach. Auch ich kann mit Mozart nicht viel anfangen, abgesehen vom Don Giovanni.
 
Auch im Falle des Starpianisten glaube ich nicht, dass es anders war: zuerst war die Abneigung und erst danach die prinzipiellen Gründe, die nachgeschoben wurden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass, hätte ihn die Mozarts Musik berührt, er auch eine Menge technischer Raffinessen darin entdeckt hätte.

Du scheinst beides gegeneinander ausspielen zu wollen, dich auf die Seite der Neigung zu schlagen und gegen das Prinzip anzugehen. Wird nicht die Neigung dadurch 'veredelt', dass man reflektiert, Gründe, auch formale, rationale, für die Berührung sucht, findet, formuliert? Lebt die Kunst nicht geradezu von ihren beredten Genießern, die mehr darüber zu sagen haben als: hat mir halt gefallen/nicht gefallen? Leistet nicht auch Goulds abschätzige Bemerkung einen Beitrag für Mozartliebhaber, Mozart mit mehr Verständnis genießen zu können?

Als Starpianist war für Gould technische Raffinesse und künstlerische Innovation gewiss ein wichtiges Kriterium, um Musik genießen zu können. Warum sollte das 'nachgeschoben' sein? Sie hat in nicht berührt, weil er sie als minderwertig empfand. Hätte sie ihn berührt, hätte er technische Raffinesse darin entdeckt. Das ist übrigens kein Widerspruch, sondern logisch betrachtet eine Tautologie, genauer eine Kontraposition.
 
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