Ich sehe das Grundproblem woanders. Warum ist man so scharf darauf, die Welt zu entzaubern, um dann nachher festzustellen, dass eine entzauberte Welt eine ist, in der keiner leben will? Die höchste Auszeichnung ist dann, dass man es eben aushält, in einer sinnleere Wüste zu leben, aber das sei dann nun mal wahr. Naja.
Ich persönlich finde diese Welt nicht sinnentleert. Es ist eine Frage des Topics. Die Ansicht, dass Kochsalz eben Kochsalz ist und somit Natriumchlorid, entzaubert nicht meine Welt, in der es "Himalaya-Salz", "Ursalz", "Meersalz" oder anderen esoterischen Blödsinn gibt.
Woran machst Du den Unterschied fest? Ich finde die Mahayana Lehre schon gut, sie stellt den Ausweg aus der Egozentriertheit dar, die Du eben noch kritisiert hast. Wäre Dir ein egozentrischer Fundamentalist wirklich lieber? Als Kritik finde ich das inkonsistent.
Zugegebenermaßen kenne ich mich mit dem Thema nur am Rande aus.
Siddartha Gautama (= Buddha) lehrte eine Art Philosophie (in meinen Augen eher dies, als eine Religion). Sie ist vergleichsweise ideell und theoretisch und erfordert vom Teilnehmer ein Programm, welches er als Werktätiger - zu seiner Zeit oder unserer - im Grunde nicht leisten kann. Denn jemand, der, heute wie damals, für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, der kann nicht sein Leben in Meditation verbringen.
Also gibt es eine Bewegung, eine Gruppierung, die herumzieht, Vorträge und Predigten hält - Bettelmönche, die von den Spenden wirtschaftlich arbeitender Menschen abhängig sind - oder anders gesagt: Die einen arbeiten an ihrem Seelenheil (und möglicherweise an dem anderer) ... und die anderen schuften in der Landwirtschaft und in der Küche, denn sonst haben alle nix zu beissen.
Zieht man eine Parallele zum christlichen Jesus, dann ist das nichts anderes. Jesus und seine Jünger ziehen umher, meinetwegen in Armut und Askese, und geben Vorträge zur Erbauung der Menschen - aber die Karotten anbauen, aus der Erde ziehen, kochen und servieren - das dürfen dann andere, die nicht so intellektuell sind.
Heutzutage leben wir in anderen Zeiten mit anderen Möglichkeiten ... aber dieses spirituelle Modell läuft, auch wenn dies nicht so formuliert wird, auf ein 3-Kasten-Modell des Mittelalters hinaus: Es gibt den Geistlichen (in welcher Form auch immer), der sich um das Seelenheil der Menschen kümmert, den Ritter, der alle verteidigt, und den Bauern, der alle versorgt, damit alle etwas zu essen haben.
Jesus war kein Asket, Buddha auch nicht. Spätere Anhänger haben vor allem zwei Dinge in den Vordergrund gestellt: Einerseits die Askese - die selbst Buddha und Jesus als sinnlos verworfen haben - andererseits haben sie die eigentlich philosophischen Aspekte Religionen neu definiert. Buddha, als eine Art Erbe der Hindu-Religionen seiner Zeit, hat Götter nicht negiert. Vielmehr hat er gesagt: Götter mag es geben, sie sind aber über das eigentliche Ziel hinausgeschossen und können das eigentliche Ziel des Nirvanas nicht erreichen. Und Rituale sind bedeutungslos. Man mag sie ausüben, aber sie bewirken nichts.
Bei Jesus ist es genau dasselbe, auch wenn Jesus sich eindeutig als Jude verstand. Rituale als solche sind bedeutungslos, wenn der ihnen zugrundeliegende Sinn unverstanden bleibt.
Die Erben der Religionen haben genau das alles wieder aufgehoben. Bei den Buddhisten gibt es Boddischatwas, menschliche "Erleuchtete", die aus dem Nirvana zurückkehren, um dem unbeholfenen Menschen zu helfen. Bei den Katholiken gibt es Heilige, nicht wenige und Maria inklusive, die man zwar nicht anbeten darf, aber doch immerhin "Fürbitte" erbitten kann ... also, durch die Hintertür, wird der Polytheismus wieder bedient.
Es gibt viele neue Götter, ob sie nun Boddischatwas oder Heilige heissen und ob ihre Anbetung nun "Fürbitte" heisst oder nicht.
Für einen Protestanten wie mich, ob nun gläubig oder nicht, ist all das völlig inakzeptabel.
Nach Martin Luther erfährt der Gläubige seine Erlösung nur vor Gott allein, er braucht keinen Vermittler. Seine zu erstrebende Aufgabe ist es vielmehr, Glaube und Arbeit in ein Gleichgewicht zu bringen, und es ist vor allem die Aufgabe des Protestanten: Zu arbeiten, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern vor allem auch für alle.