AW: Rudolf Steiner
Liebe Mirjam,
nun hatte ich die Kritik nicht so gedacht, wie Du sie weiter ausgeführt hast. Man sagt z.B. auch Blavatsky nach sie hätte Rasissmus gelehrt. Ich kenne die Geheimlehre ziemlich gut und muss sagen, da steht nichts dergleichen drin. Blavatsky spricht von Rassen, das ist korrekt, jedoch in keinem Zusammenhang mit höherwertigen und minderwertigen.
Was Steiner angeht, so finde ich das auch sehr bedenklich. Du musst aber auch sehen, dass viele andere Künstler und Philosophen dem Rassismus viel Material in die Hände gespielt haben. Nietsche z.B. hat mit seinem Begriff des Übermenschen ein Monster erschaffen, das die Nazis dann zum Leben erweckt haben.
Wagner war mit seinem grenzenlosen Germanenkult ebenfalls auf der Linie des NS-Regims. Viele konnten sich eben vor 1933 nicht vorstellen, was passieren wird.
Auch die neueste Erkenntnis, dass die Generäle der Wehrmacht keine Humanisten waren muss man m.E. aus der historischen Entwicklung heraus begreifen. Sie wurden nicht so erzogen und Im Kaiserreich galt der Arbeiter nunmal noch nicht als vollwertiger Mensch. Das hatten erst Marx und Engels klar gemacht. In den so hochgelobten USA, die sich heute als Weltgewissen verstehen, herrschte Anarchie bis ins späte 18te Jahrhundert und der Bürgerkrieg machte erstmals deutlich, dass das Zeitalter der Sklaverei beendet zu sein schien.
Dass die Franzosen das Schlachtfest, das sie französische Revolution nannten heute noch feiern jagt mir Schauer über den Rücken.
Die Liste an inhumanen Weltanschauungen ist lang und vor 1933 gab es kaum jemand der sie verstanden hätte. Nach 45 waren die Gesichter vorallem in Deutschland lang und man akzeptierte diese auf dem Recht des Einzelnen gegründete Verfassung eben zähneknirschend und stürzte sich in die Arbeit oder ins Vergnügen, denn da hatte man erstmal die Schnauze voll vom Krieg.
Erst die Nachkriegsgeneration wuchs mit den Menschenrechten auf und verinnerlichte diese Weltsicht von der wir heute ausgehen als wäre sie selbstverständlich.
Das war jedoch nicht immer so. Nur einzelne Philosophen hudigten einem solchen Ideal.
Wenn Du heute z.B. Platon liest, dann findest Du keine Zeile darüber, dass sich die alten Philosophen gegen die Knabenliebe ausspgesprochen hätten. Die galt in Griehcnland als vollkommen normal. Heute erfüllt das den Straftatbestand der Pädophilie und wird überdies allgemein geächtet. Ich möchte die Liste nun lieber schließen, denn die Geschichte ist voller Monströsitäten. Die einführung des Christentums in Rom war z.B. eine humane Revolution, denn bei den Römern galt der Mensch nichts, wenn er sich nicht mit Schwert und Schild verteidigen konnte. Wir sehen heute vieles einfach durch unsere Brille der Humanität, doch das ist unsere Sicht und sie ist voll gerechtfertigt, doch es war eben früher anders...
Gruß Willibald.
Schade, daß Du hier nicht mehr schreibst. Harry Haller, Willibald oder Steppenwolf. Denn der obige Beitrag gehört mMn. mit zum Besten und Differenziertesten, was ich im Forum in den letzten Monaten gelesen habe (Miriam, auf deren Beitrag Du kontrovers geantwortet hast, wird es mir verzeihen, da sie eh weiß, wie ich zur Qualität ihrer Beiträge stehe).
Zum eigentlichen thread-Thema Rudolf Steiner möchte ich mich dabei nicht äußern. Ich kenne dessen Schriften nicht, allenfalls ganz wenig rudimentär aus der "Sekundärliteratur". Deshalb kann ich auch schlecht die strittige Passage in Kontext mit dessen sonstigen Ansichten bringen.
Generell ist es aber ein sehr spannendes Thema, die Frage, ob und ggf. wie Personen bzw. Persönlichkeiten retrospektive überhaupt zu bewerten sind. Da ich kein Anthroposoph bin, sondern Lutheraner nehme ich den Reformator als Beispiel. Luther ist für mich einer der größten Deutschen, vielleicht der wichtigste überhaupt, bedenkt man, daß er nicht nur die Reformation in Bewegung gesetzt hat, sondern darüber hinaus auch mit der Übersetzung der Bibel die deutsche Sprache "geschaffen" hat (zur Erinnerung: vordem sprach man in Bayern "besseres Deutsch" als im ursprünglich niederdeutschen Norden. Kann man sich heute, wenn man aus der Gegend um Hannover kommt gar nicht mehr vorstellen *g*. die Bayern unter uns mögens mir verzeihen).
Genau derselbe Luther hat aber Schriften verfaßt, die so haarsträubend sind, daß sie fast einen Brechreiz verusachen können. Das betrifft zum einen seine Ansichten gegenüber dem Bauernkrieg, in denen er dazu auffordert, deren Anhänger zu erschlagen. Und sie damit, obgleich nicht zuletzt er dafür verantwortlich war, im Stich ließ, sie in gewissen Maße sogar verriet.
Mag letzterer Ausfall noch politisch gerechtfertigt sein, daß Luther damit nicht nur seine eigene Haut, sondern auch die Reformation retten wollte, die nämlich nur durch das Wohlwollen gerade der Fürsten möglich war, so finden sich - jedenfalls nach heutigem Verständnis - kaum noch Worte für die antisemitischen (oder sollte man besser sagen: antijudaistischen, denn sie waren im Gegensatz zu Hitlers rassischem Antisemtitismus sicher religiös motiviert) Hetzschriften gegen Ende seines Lebens. Ich setze diese zumindest dem groben Inhalt nach einmal als bekannt voraus.
Der Lutheraner steht hier vor einem gewaltigen Problem: Er könnte versuchen, Luther damit zu retten, daß die Aussagen vermutlich zur damaligen Zeit gar nichts besonderes waren, viele, wenn nicht fast alle Christen der damaligen Zeit so gedacht haben mögen. Das mag alles in etwas anderem Licht erscheinen lassen. Eine solche Rechtfertigung ist aber mMn deshalb nicht wirklich möglich weil es auch Menschen bzw. Christen gegeben haben muß, die anders gedacht haben, auch damals. Denn wie hätte sonst auch nur ein einziger Jude in der Diaspora überleben können?
Und nur zu gern beriefen sich später sogar die Nazis auf den Luther aus dem 16. Jh.. Genauso wie sie sich eben auf Nietzsche oder Wagner beriefen. Ob die Genannten allerdings - und hier möchte ich auch Steiner wieder nennen, obgleich der von den Nazis nicht vereinnnahmt worden ist, soviel ich weiß die Anthroposophie im Gegenteil sogar verboten wurde - ernsthaft erfreut darüber gewesen wären, wenn sie ernsthaft angesichts der tatsächlichen Greuel damit in Verbindung gebracht worden wären, darf zumindest bezweifelt werden, denn es hat sich doch um Personen gehandelt, die zu ihren Lebzeiten jedenfalls über ein sehr ausgeprägtes "standing" verfügten und deren Ansichten eben keineswegs und schon gar nicht notwendig nach Ausschwitz führten. Mancher aufrechte Demokrat hat sich dagegen - als es denn losging - zum Verbrecher und Mörder machen lassen. Die weitaus meisten Christen haben ihren Glauben bis zur Unkenntlichkeit verleugnet. Sie wollten urplötzlich von Abraham und Isaak rein gar nichts mehr wissen und zeigten nicht einmal die geringste Opferbereitschaft, im Gegenteil, sahen z.T. plötzlich sogar ihre Stunde gekommen. Und wo waren die ganzen aufgeklärten Menschen?
Geistige Brandstiftung hin oder her: Es kommt immer darauf an, wie sich der einzelne in der konkreten Situation verhält.
Trotzdem bleibt ein fader Nachgeschmack, gelinde gesagt. Luther hätte echt zum Helden werden können, hätte er nicht diesen Dreck verfaßt. Stattdessen wurde er zum Sinnbild dafür, daß überall dort, wo viel Licht vorhanden ist, auch viel Schatten geworfen wird.
Viele Grüße
Zwetsche