Giacomo_S
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Ich denke, das Wesentliche ist es, dass man das materialistische Denken überwindet, und das betrifft uns alle. Wir wurden in eine materialistisch denkende Gesellschaft hineingeboren, wohlbemerkt denken heutzutage sogar viele Gläubige im Endeffekt dennoch materialistisch. Ich sehe das als eine Art Massenhypnose an, aus der man nur individuell herausfinden kann.
Den Begriff "Materialismus" halte ich - so wie Du ihn verwendest - für eine Art Kampfbegriff, zumal der Materialismus selbst in den Naturwissenschaften schon lange als überwunden gilt, zumindest der Materialismus eines René Descartes und Christiaan Huygens (17. Jh.).
Daher bevorzuge ich den Begriff "Rationalismus".
Steiners Art zu Denken ist stark geprägt von Johann Wolfgang von Goethes wissenschaftlichem Werk, dessen Herausgeber Steiner einst war. Für die Edition des wissenschaftlichen Werks - das überdies nur aus drei Arbeiten besteht - ließ sich Steiner allerdings viele Jahre Zeit. Inhaltlich war Goethes wissenschaftliches Werk schon zu Steiners Lebzeiten überholt, spätestes aber seit der ersten Hälfte des 20. Jh.
Goethes Farbenlehre, sowie die Farbtheorie, die er daraus ableitet, widerspricht geradezu polemisch den Erkenntnissen Isaac Newtons rund 150 Jahre vor ihm - und ist nur noch von kulturhistorischem Interesse, denn sie ist von vorn bis hinten falsch.
Steiners Beiträge z.B. zur Pädagogik mögen zu ihrer Zeit herausragend und auch erstrebenswert gewesen sein, sogar noch lange nach seinem Tod. Allerdings hat sich die offizielle Pädagogik seit einigen Jahrzehnten auch verändert; schließlich werden bei uns keine Schulkinder mehr geschlagen und verprügelt, und schon gar nicht mit dem Rohrstock.
Die Bewegungen, die um Rudolf Steiner kreisen, die Anthroposophen, die Waldorfschulen: Ein deutsches kulturelles Phänomen, das es in kaum einem anderen Land (mehr) gibt, genauso wie andere, typisch deutsche Angelegenheiten, wie etwa die Homöopathie. Wobei die heutigen Anthroposophen ziemliche intellektuelle Eiertänze machen müssen, um das Steinersche Weltbild mit anderen Weltbildern halbwegs in Einklang bringen zu können, deren Aussagen sich nicht (mehr) widerlegen lassen.
Es steckt ein gewisser Wille zu einer angestrebten Unschuld darin, wie auch das Festhalten an den Poesien und Dramaturgien der "Dichterfürsten" Goethe und Schiller. Wer keine "dunkle Seite", keine Ecken und Kanten hat: An dem kann man sich eben intellektuell nicht schmutzig machen.
Oder man schweigt diese Arbeiten einfach tot.