Alles in allem ist Sheldrake jedenfalls ziemlich bodenständig, sonst würde unser beinharter Rationalist
@Giacomo_S ihn sicher nicht des Öfteren zitieren.
In seinen ersten Arbeiten untersuchte der Biologe Sheldrake Brieftauben. Er ging der Frage nach, wie sie den Weg zurück in den sprichwörtlichen Taubenschlag finden.
Nach und nach schloss er alle möglichen rationalen Erklärungen aus: Er verklebte ihre Augen mit Filtern, unterzog sie einer Behandlung mit magnetischen Feldern und setzte sie in Zentrifugen. Er fand heraus, das mit jeder störenden Behandlung zwar
weniger Brieftauben ihren Weg zurück in den Taubenschlag fanden, aber immer noch die Mehrheit der Tauben.
Schließlich konstruierte er sogar einen mobilen Taubenschlag und versetzte diesen um viele Kilometer, aber auch dieser Taubenschlag wurde noch von einer Mehrheit der Brieftauben gefunden.
Sheldrakes Schlüsse aus diesen Experimenten mögen spekulativ, ja auf gewisser Art esoterisch sein. Was aber bleibt, das ist die ungelöste Frage der Wegfindung von Brieftauben, die sich nach wie vor jeder rationalistischen Erklärung entzieht.
In seinen Büchern beschreibt Sheldrake beeindruckende biologische Experimente, die sich rationalen Erklärungsmodellen zu entziehen scheinen.
In einem seiner jüngeren Bücher rief er seine Leser auf, von seltsamem Verhalten von Haustieren zu berichten. Das ist natürlich nicht repräsentativ und auch nicht streng wissenschaftlich, dennoch erhielt er Hunderte von Zuschriften und Berichten, die allemal bemerkenswert waren.
Hauptsächlich ging es da um Beobachtungen, dass Haustiere wie Hunde oder Katzen zu "wissen" scheinen, wenn ihr Herrchen nach Haus kommt - und das selbst dann, wenn sie Schichtdienst haben und zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten zurück kehren.
Auch ich selbst habe das schon beobachtet: Da schläft die Katze meines Mitbewohners tief und fest in seinem Bett ... und wenige Minuten, bevor er durch die Tür kommen wird, da wacht sie plötzlich auf und setzt sich vor die Wohnungstür. Es hatte sogar bereits so eine Regelmäßigkeit angenommen, dass ich wusste: Aha, jetzt steht der Kater auf, gleich kommt mein Mitbewohner, und so war es dann auch.
Oder auch menschliche Telepathie ... wir alle kennen es: Das Telefon klingelt, und wir wissen: Das kann nur der oder die sein.
Sicher, Menschen rufen zu bestimmten, wiederkehrenden Zeiten an, und in dieser Regelmäßigkeit sehen wir die rationale Erklärung dafür. Außerdem haben alle Experimente zur Telepathie (Rhine, 1930er Jahre) nur unbedeutende Resultate erzielt oder hatten methodische Fehler.
Rhines Kritik an diesen Experimenten ist allerdings: Die Versuchspersonen hatten keine emotionale Beziehung zueinander, ja, kannten sich nicht einmal. Seine Aussage: Kennen und mögen sich die Probanden, dann werden die Ergebnisse besser.
Sheldrake wäre nicht Sheldrake, machte er kein Experiment daraus.
Er fand 20 Probanden mit jeweils 4 Kontaktpersonen. Die Probanden sollten täglich
ein Los ziehen welche ihrer 4 Kontaktpersonen sie um eine bestimmte Uhrzeit anrufen. Diese erraten beim Klingeln, wer da jetzt anruft.
Die statistische Chance für einen erfolgreichen Tip liegt bei 1/4, also 25%.
Sheldrake ermittelte Ergebnisse um die 75%, bei 20 Probanden!
Natürlich ist das nicht streng wissenschaftlich, dennoch halte ich das für ein ganz bemerkenswertes Ergebnis. Denn immerhin erhielt er die 3-fache Quote!
Es gibt andere Versuche, "jemandem in den Nacken starren". Anscheinend scheinen Menschen es zu spüren, wenn man sie beobachtet. Auch viele Kriminalisten - deren Beruf u.a. darin besteht, andere zu beobachten - berichten aus ihrer Erfahrung: Es ist nicht einfach, jemanden zu beobachten, Menschen spüren das oft und verhalten sich dann anders.
Ganz spannend wird es bei Reaktionsveränderungen unbelebter Objekte, chemischen Substanzen etwa.
In der Kristallographie ist es in bekannter (aber oft verschwiegener) Effekt, das sich das Verhalten neuer und bislang nicht da gewesener chemischer Substanzen sich auf einmal ändern kann. Da ist eine Substanz bei ihrer Erstsynthese flüssig und sie bleibt es auch ein paar Jahrzehnte, aber irgendwann entscheidet sie sich, ein Feststoff zu sein und bleibt es auch. Und ums Verrecken kann keiner mehr die flüssige Variante herstellen.
Teilweise verändern sich ganze Reaktionswege, mit teilweise ganz erheblichen ökonomischen Folgen. Ein bislang erfolgreich hergestelltes AIDS-Medikament weigert sich plötzlich, dem bisherigen Reaktionsweg zu folgen, es funktioniert so einfach nicht mehr. Begründet wird dies mit nunmehr vorhandenen Kristallisationskeimen, einer Art Kontamination, die eben doch durch ein gekipptes Fenster irgendwo eindringt.
Das erklärt aber nicht, warum im Beispiel des AIDS-Medikaments der Effekt
gleichzeitig in zwei getrennten Werken auftrat - in England und in Australien!
Nach Sheldrake folgt das Universum keinen Gesetzen, sondern Gewohnheiten, die mit der Dauer wie Gesetze wirken und aussehen. Eine bislang in der Natur nicht vorkommende Substanz hat folglich also noch keine Gewohnheiten und kann sich noch einmal verändern. Andere Objekte, die ältesten überhaupt, Protonen, Neutronen, Elektronen, sind schon so lange Bestandteile unseres Universums, dass ihr Verhalten starren Gesetzen folgt.
Als "beinharter Rationalist" (Chris M) weiß ich nicht, was ich von solchen Erklärungsmodellen halten soll. Andererseits ist die Bezeichnung eines "Naturgesetzes" ja letztlich auch nur eine philosophische Hilfskonstruktion, die am Ende nichts erklärt. Ein Axiom, nichts weiter. Warum soll man da nicht auch "Gewohnheiten" annehmen können?
Spannend an Sheldrake finde ich aber, dass er in meinen Augen die richtigen Fragen aufwirft, oft sogar unbequeme und schmerzhafte Fragen, auch wenn er vielleicht nicht die richtigen Antworten findet.