Nach meiner Interpretation dieses Satzes sieht Sheldrake das Universum als Subjekt mit einem freien Willen, und dieses Universal-Subjekt hat gewisse Gewohnheiten, die sie, wie unsereins halt auch, ungern wieder ablegt, wenn sie sich einmal eingeschliffen haben. So weit, so schön. Was sollen nun aber die seltsamen "morphogenetischen Felder"? Ich bin ein Subjekt mit freien Willen, ein morphogenetisches Feld habe ich jedoch nicht. Wo kommt das also her?
"Das Universum kennt keine Gesetze, nur Gewohnheiten. Und Gewohnheiten lassen sich ändern."
Douglas Adams
Freier Wille geht wahrscheinlich zu weit und ich glaube nicht, dass Sheldrake mit dem Begriff Gewohnheiten das gemeint hat.
Bei biologischen Organismen und gerade auch dem Menschen kann es sicher viele Erklärungsmodelle für ungewöhnliches Verhalten geben. Denn schließlich handelt es sich um komplexe Organismen, die nicht zuletzt auch noch einem sozialen System innewohnen.
Aber chemische Substanzen?
Wie ist es erklärbar, dass ein Zuckeraustauschstoff, erstmalig synthetisiert Ende des 19. Jh., einige Jahrzehnte lang flüssig ist und sich auf einmal "entscheidet", ein Feststoff zu sein? Und sich, egal, wie man es auch immer anstellt, in der flüssigen Form nicht mehr darstellen lässt?
Oder ein AIDS-Medikament, ein neues und bislang nicht synthetisiertes Molekül, ein paar Jahre lang auf dem einmal erarbeiteten Reaktionsweg hergestellt wird - und plötzlich geht das nicht mehr, die Reaktion kommt in dieser Form einfach nicht mehr zustande. Und das gleichzeitig in Werken in England und Australien? Schließlich fand man eine andere Synthese, mit nur der Hälfte der Ausbeute, aber der Schaden ging in die Millionen, ein ganz erheblicher ökonomischer Schaden, sogar für einen Pharmahersteller.
Ein rennomierter und beteiligter Kristallograph wurde von Sheldrake zitiert (von mir sinngemäß): "Die Kristallographie bewegt sich am Rande völliger Unwissenschaftlichkeit". Die "wissenschaftlichen" Erklärungsmodelle für o.g. Verhaltensänderungen chemischer Substanzen und Reaktionen - die im übrigen gut dokumentiert sind - gehen dahin, dass winzige Kontaminationen, Kristallisationskeime, die über ein gekipptes Fenster oder auch eine Aktentasche in die Labore und Werke gelangen, dies bewirken.
Wirklich erklären tut dies aber auch nichts.
Sheldrake bringt andere Beispiele, u.a. aus der Neurologie. Bis heute ist es z.B. völlig unbekannt, wo im Gehirn eigentlich das Gedächtnis sitzt. Die Neurologie erhält ihre Erkennnisse (klassisch) aus dem Umkehrschluss schwerer organischer Schäden. Dieser und jener Teil des Gehirns ist zerstört, es bewirkt diesen oder jeden neurologischen Schaden, also muss es da sitzen, das Gedächtnis z.B.
Die wissenschaftliche Erfahrung und neuere, teils bildgebende Verfahren haben aber gezeigt, dass es ... Denken des 19. und 20. Jh. ... nicht so simpel ist.
Vielmehr scheint es so zu sein, dass der
Abruf der Informationen nicht mehr funktioniert, die Information selbst aber duchaus noch vorhanden sind (NB: Ich selbst habe das schon einmal am eigenen Leib erlebt).
Es gibt gut dokumentierte, wenn auch seltene medizinische Beispiele, wo jemand mit einem schwer geschädigten Gehirn erstaunliche kognitive Leistungen vollbringt, darunter sogar einer, der nach einem Scan so gut wie überhaupt kein Gehirn zu besitzen scheint. Und der macht sogar noch einen Universitätsabschluss, und man fand den Befund nur durch eine Routineuntersuchung ... wie kann das sein?
Sheldrake bringt das Analog-Beispiel eines Fernsehers. Wenn er kaputt ist, dann bringt er verzerrte Bilder, die Verarbeitung der Information stimmt nicht mehr oder der Empfang ist mangelhaft. Allerdings macht der Fernseher nicht das
Programm, denn das entsteht irgendwo im Sender.
Nach Sheldrake sind die morphologischen Felder eine Art übergeordnetes Kontinuum, in dem jedes Lebewesen auf einem noch unbekannten, gleichwohl physikalischem Weg Informationen speichert und auch abruft. Und es unter gewissen, noch unbekannten Bedingungen vorkommen kann, dass hierbei zwischen Individuen auch Information ausgetauscht wird.
Ein Naturgesetz ein "Axiom" zu nennen, halte ich für sehr unglücklich. Axiome sind gewisse Annahmen, die man machen muss, um auf dieser Grundlage ein formales System zu errichten. Naturgesetzliche Aussagen sind dagegen keine formalen Theoreme. Ihnen liegen vielmehr empirische Anfangs- und Endzustände zugrunde, und die Gesetze beschreiben den Weg, wie man vom Ausgangszustand rechnerisch zum Endzustand kommt. Wäre das Naturgesetz ein Axiom, also eine willkürliche Annahme, ließe es sich nicht falsifizieren.
Es gibt aber physikalische Grundgesetze, die ich eindeutig als Axiom sehe. Es handelt sich um grundlegende Aussagen, die interessanterweise immer dann formuliert weren, wenn den Naturwissenschaftlern nichts anderes mehr einzufallen scheint: Die Thermodynamik, die Entropie.
Eine Eis-Salz-Wasser - Mischung hat mir bislang noch kein Chemiker befriedigend erklären können.
Gibt man Eis, Salz und Wasser zusammen, dann kühlt sich diese Mischung auf etwa -20° C ab, gleichzeitig "schmilzt" das Eis. Eine Reaktion, die man früher wie heute viel genutzt hat, früher auch in der Küche (Speiseeisherstellung ohne Kühlaggregate) und nicht zuletzt bei der Eisräumung auf den Straßen.
Fragt man die Chemiker, wie das denn funktionieren kann, dann werden sie esoterisch. Die Entropie, sagen sie dann, das Universum habe das Bestreben, von einem geordneten Zustand in einen möglichst ungeordneten Zustand über zu gehen. Und dies sei eben die Salzlösung als Konsequenz und nicht der geordnete Zustand aus Salz, Eis und Wasser ... und wenn es eben um den Preis sei, deswegen Energie aus der Umgebung aufnehmen zu müssen (die Abkühlung).
Erklärt wird damit gar nichts.
Es handelt sich um ein Axiom, eben "das Bestreben des Universums", und wenn man es näher betrachtet, dann ist dieses "wissenschaftliche" Erklärungsmodell genauso "wissenschaftlich" oder "unwissenschaftlich" wie Sheldrakes Gewohnheiten.