Das Ziel des Lebens ist der Tod. Und deshalb sind alle unsere Lebensziele hinfällig, weil das wahre Ziel jenseits des Lebens liegt. Sind aus dieser Intuition heraus die Religionen mit ihren Jenseitslehren entsprungen? Ich kann aus der Religion heraus Hoffnungen auf das Jenseits gewinnen, die Schattenseite davon sind jedoch auch entsprechende Ängste bezüglich des Jenseits. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Vielmehr frage ich mich, wie es sowohl atheistische als auch gläubige Menschen schaffen, dem irdischen Leben als solches etwas positives abzugewinnen. Gut, das ist natürlich verallgemeinernd ausgedrückt. Denn es gibt sowohl Atheisten als auch Gläubige, die mit dem irdischen Leben rein gar nichts anzufangen wissen. Unter den Atheisten sind das dann die Pessimisten und die Antinatalisten während es bei den Gläubigen die Asketen sind, die sich vom Leben abwenden.
Doch gerade heutzutage sind wohl die meisten Menschen sehr stark in das irdische Leben integriert, also sie haben durchaus Lebensziele, die sie mit Leidenschaft verfolgen, obwohl sie, je nach Einstellung, als wahres Ziel des Lebens entweder ein kaltes Grab erwartet oder ein jenseitiges Dasein, gegen welches das derzeitige absolut erbärmlich ist. Mir hingegen gelingt es nicht einmal für eine Minute, die Hinfälligkeit des irdischen Lebens zu verdrängen.
Ich habe hier schon viel über Schopenhauers Philosophie geschrieben, doch beim Thema Tod kommt mir eher dessen geistiger Nachfolger Philipp Mainländer in den Sinn. Dieser entwickelte die Philosophie seines "Meisters" dahingehend weiter, dass er davon ausging, dass der Wille zum Leben in Wirklichkeit nur eine Maske des wahren Antriebs des Menschen sei - nämlich des Willens zum Tode. Zunächst klingt das vielleicht abwegig, aber andererseits:
Wozu sind wir denn letztgültig geboren worden? Um zu sterben. Diese Aussage ist so offensichtlich wahr, dass man sie eigentlich gar nicht aussprechen muss. Und dennoch wird diese Wahrheit verdrängt wie keine andere. All unsere Lebensziele verblassen, wenn man sie dem einen wirklichen Lebensziel vergleicht: dem Tod. Laut Mainländer ist der gesamte Kosmos in einer Bewegung vom Sein in das Nichtsein begriffen, und erstaunlicherweise schrieb er sein Werk, die Philosophie der Erlösung, noch bevor in der Physik der zweite Hauptsatz der Thermodynamik entdeckt wurde, welcher das Konzept der Entropie ins Spiel brachte, welche besagt, dass die Unordnung im Kosmos immer zunimmt und letztlich alles zerfällt (Wärmetod des Universums). Mainländers Philosophie ist also eine Art Metaphysik der Entropie.
Im Angesicht der Ewigkeit ist die einzige relevante Frage: Was geschieht beim Sterben und was kommt nach dem Tod? Ich glaube, dass die Menschen früher noch viel mehr mit diesem Thema verbunden waren und dass es mittlerweile einfach so ist, dass es auf der einen Seite die Tradition der Religionen gibt, die dieses Thema durch gewisse Glaubenssätze einfach abgehakt haben und auf der anderen Seite die Verdrängung des gesamten Themas. Ich jedoch kann mich weder mit Glaubenssätzen noch mit der Verdrängung zufrieden geben.
Unser Dasein ist so paradox, weil ein Leben, dass dem Tod geweiht ist, kein wirkliches Leben ist. Das Leben ist die Anomalie, der Tod die Norm, denn das Leben ist endlich und der Tod ist unendlich. Ich weiß nicht wieso, aber ich wusste das schon als Kind ganz genau. In diesem irdischen Leben ist alles falsch, weil immer etwas fehlt, nämlich die Unsterblichkeit. Wir sind hier auf Erden weder lebendig noch tot, sondern in einem Zwischenzustand gefangen. Denn echtes Leben kann nicht endlich sein. Und vielleicht kommt hier eben gerade wieder die Religion und auch gewisse Philosophien ins Spiel, die uns hartnäckigerweise beibringen wollen, dass der Tod eine Illusion ist. Andererseits ist er aber auch das realste, was es überhaupt gibt, aus oben genannten Gründen.