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Faschismus und Du

  • Ersteller Ersteller Robin
  • Erstellt am Erstellt am
Gaius schrieb:
Warum ich auf Jean Genets "Wunder der Rose" anspielte: Genet untersucht die Dialektik von einzelnem Herrscher / beherrschter Gruppe und deren Identifikation über einander am Beispiel der Situation in Gefängnissen und Straflagern, in denen die Insassen wie die Wärter schon von vornherein durch staatliche Gewalt entpersonalisiert bzw. funktionalisiert wurden.
Dabei begibt er sich nicht in die Position des außenstehenden Beurteilers, sondern entwickelt Empathie, ja Liebe zu beiden Seiten hin:
brutalsten Wärtern wie auch entrechteten (jedoch nicht weniger brutalisierten, oft schwerkriminellen) Gefangenen gegenüber. Vielleicht ist das die einzige Alternative, um aus jenem Dilemma zu entkommen und ein tieferes Verstehen zu entwickeln.

In diesem Sinne müßte man erst einmal zu der gedanklichen Zumutung sich bereit erklären, zu versuchen, sich selbst als Faschisten sich vorzustellen;
Genau das ist es!

Darum geht´s!

Empathie kann dann entwickelt werden, wenn man/frau den anderen Menschen wirklich sieht. Seinen Werdegang, sein Verhalten, seine Sicht der Dinge. Seine Fähigkeiten - sein Unvermögen.
Das geht nur ohne Verurteilungen.

Und wenn man/frau sich dann in den jew. Menschen und die spezielle Situation hineinversetzt, findet man/frau die ungeheuerlichsten Gefühlsregungen in sich, die sich denken lassen.

Daher stimme ich dem Anfangszitat vollinhaltlich zu.
 
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@fusselhirn (sorry, meine Antwort ist schon wieder so fürchterlich ausführlich geraten -
alle anderen bitte gaaaanz schnell weiterblättern! ;) )

Lilith hat den Unterschied von Masse / Menge in #30 meiner Meinung nach sehr gut erklärt:
Eine Menschenmenge (Ansammlung von Individuen) kann durch bewusste Manipulation und Propaganda so aufgeputscht werden, dass daraus eine sog. Masse wird, wie es auch bei Fans in einer "Massen"-Veranstaltung oft beobachtet wird. Die Masse reagiert auf Impulse von außen wie ein Organismus, die einzelnen Personen lösen sich quasi im Massengefühl auf. Teilnehmer von solchen Veranstaltungen sagen oft, dass sie gerade deswegen dabeisein wollen, weil sie dieses Gefühl so toll finden.

Eine große Menschenmenge ist aber noch lange keine Masse. Und auch nicht bei allen größeren Veranstaltungen bilden sich Massen. Masse entsteht durch Manipulation und ist durch Manipulation auch lenk- und verführbar. Ob gerade der "Führer" oder ein anderer "Verführer" am Werk ist, ist nur für die unterschiedlichen Ziele, die damit angestrebt wurden bzw. werden, erheblich.
Mehr meine ich eigentlich auch nicht; mit der Betonung, daß die bei Sport- oder Musikveranstaltungen möglicherweise entstehenden Massen sich sehr schnell wieder auflösen, und die Individualität der Einzelnen nur sehr eingeschränkt aufgehoben wird - und es steht jedermann zu jederzeit frei, die Menge wieder zu verlassen. Schon darum würde ich bei diesen Veranstaltungen gar nicht von "Massen" sprechen wollen. Politische Massenbewegungen dagegen bestehen notwendig dauerhaft und zwingen den Einzelnen bei Strafandrohung, sich ganz und gar in der Masse deren Gesetzen zu ergeben - sich selbst zugunsten des Erhalts der Masse aufzugeben. Und was die Masse will, wird dann meist auch nicht mehr von der Masse selbst bestimmt, sondern von deren Führern.

Wenn es in der Naziideologie zum Beispiel hieß: "Gemeinnutz vor Eigennutz", darf das nicht mit dem an sich löblichen Gedanken des Gemeinwohls verwechselt werden. Denn was da gemeinnützig war, bestimmte nicht mehr die Gemeinschaft in ständigen Verhandlungen selber, sondern die Wächter der Masse. Es ging dem Nazismus ja gar nicht wirklich um das soziale Gemeinwohl. Es ging um die Selbst-Verwirklichung einer einzigen Person - der des Führers - mithilfe einer einheitlich gleichgeschalteten Masse.

Klar gibt es unterschiede zu früher: die Leute sind disziplinloser geworden, haben Angst vor Gleichheit und so weiter, aber in diesen Gruppen gibt/gab es genauso viel "denkende" Menschen wie "hirnlose".
Disziplinlosigkeit ist nur dann ein Problem, wenn man selbst gesetzte Ziele nicht mehr erreicht. Wenn man sich aber gar keine Ziele setzt? Was dann?

Gleichheit in Deutschland ist im GG Artikel 3 folgendermaßen beschrieben:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
wobei mir Absatz (1) besonders bedeutsam erscheint: Keine Art von Klassenjustiz ist zu dulden!
Das war's dann aber auch schon: Dieser Artikel meint eine Minimalvoraussetzung an Gleichheit, auf dessen Grundlage dann alle nach Herzenslust verschieden sein können. Angst vor Gleichheit übersetze ich mir eher mal mit Angst vor pauschaler Gleichmacherei. Die Menschen sind nun einmal ganz offensichtlich nicht tatsächlich "gleich". Davor wiederum scheinen auch manche Angst zu haben.

Darf ich das Wort Führer eigentlich auch nicht benutzen, weil in Deutschland einmal einen "Führer" gab?
Klar darfst Du, dürfen wir alle jedes Wort nach Herzenslust benutzen und für uns anders definieren, das sorgt dann immer für neuen Diskussionsstoff! Aber wo wir schon einmal bei der Identifikation von "Masse" und "Führer" sind: Ein Reisegruppenleiter ist in dem Sinne doch kein Führer, sowenig wie die Reisegruppe bereits eine Masse. Ich frage nur, ohne Begriffe werten zu wollen, ob wir im alltäglichen Sprachgebrauch immer die richtigen Wörter anwenden für die Erscheinungen, die wir beschreiben wollen. Und bei allgemeinem Fehlgebrauch besteht immer die Gefahr der politischen Manipulation. Wenn z.B. im SPIEGEL immer wieder mal unkritisch von "Massenansammlungen" in D die Rede ist, frage ich mich schon, ab wo die Hetze beginnt. Da können 500.000 Leute in Berlin gemeinsam gegen irgendwas demonstrieren - ohne deswegen gleich eine Masse zu bilden. Aber der falsche Sprachgebrauch denunziert hier eine Menge von Menschen, die einen gemeinsamen Standpunkt vertreten, und den Standpunkt gleich mit.

Wie soll ich einen Juden nennen, "Jude" war ja mal ein Schimpfwort lt. kathi?
Ein Jude ist nach jüdischem Gesetz, der Halacha, jemand, der eine jüdische Mutter hat - soweit ich weiß, sogar unabhängig davon, ob er auch jüdischen Glaubens ist. Es ist also mehr eine Frage der Abstammung als eine des religiösen Bekenntnisses. Deswegen ist der Antisemitismus ja auch ein Rassismus und kein Glaubenskriegertum. Aber wer nach dieser Definition ein Jude ist, den darf man natürlich einen Juden auch nennen, er ist es ja schließlich.
Andere Definitionen scheinen mir die Gefahr der Willkür zu bergen.

Übrigens, Fusselhirn: In jüdischen Publikationen fallen mir häufig Formulierungen auf wie "Unsere Gemeinde braucht einen religiösen Führer". Nicht daß ich nicht schlucken müßte, wenn ich einen solchen Satz lese ;) !

Grüße, Gaius
 
Robin schrieb:
Lieber Gaius, man könnte ja auch andersrum interpretieren: Vielleicht bist du ja kein Antifaschist...
Lieber Robin, sicherlich könnte man sagen: ich bin ein Anti-Antifaschist :ironie: ,vergleiche auch die Ausführungen von Rhona #29 über die AntiFas. Dazu kommt dann noch, daß viele dieser Linksextremen tierisch auf Leute wie Mao oder Pol Pot oder südamerikanische terroristische Rrrrrevolutionäre oder die DDR oder die Sowjetunion stehen. Hauptsache, man kann die US-Vorgehensweise anprangern. So einfach wie diese Sorte Antifaschisten kann man es sich doch aber bei der Geschichtsbetrachtung nicht machen?
- bis hin zum antifaschistischen Schutzwall. Was muss denn eine Antifa-Gruppe denken, wenn sie diesen Begriff hört?
"Die" (wenn ich mal so verallgemeinern darf ;) ) finden diesen Begriff durchaus richtig. "Die" sind ja häufig auch aus Gott weiß welchen Gründen bloß gegen das System, in dem sie selbst leben (und das nicht schlecht) und beten irgendeine verquaste linke Ideologie nach. Dabei wäre mit den Marxschen Analysen sicherlich mehr, und anderes anzufangen - wenn man ihn nicht nur durch die Brille späterer ideologischer Verzerrungen liest.

Der systemtheoretische Massen-Begriff würde mich übrigens stark interessieren (auch wenn's, wie Du sagtest, damit nicht so dolle sein soll.) Gibt es da eigentlich auch eine weit entwickelte Faschismus-Theorie?

Grüße, Gaius
 
Die Masse machts

Zum Begriff der Masse möchte ich auch noch meinen Senf beisteuern.

Meiner Meinung nach ist für ein Massenverhalten gar nicht ein dämonischer Führer oder Verführer notwendig,
weil Menschen sich in einer Gruppe anders verhalten als sie das als Einzelperson tun würden, auch ganz ohne
einen Manipulator.

Auch müssen gar nicht zig-Tausende Menschen zusammenkommen, damit Massenverhaltensweisen auftreten,
man kann diese Verhaltensweisen schon bei Reisegruppen beobachten, die aus zwei oder drei Busladungen
bestehen.

Ich kann deshalb sehr gut nachvollziehen, wenn sich lilith in einem Fussballstadion oder bei einem Popkonzert
nicht so richtig wohl fühlt.

Da liegt immer das Verhalten von Herden-Tieren in der Luft. Die bei einem Theaterbrand entstehende Panik
ist dafür ein eindrucksvoller Beleg.


Das musste auch einmal gesagt werden.

P.S.: Wurde im Nationalsozialismus wirklich mit dem Begriff "Masse" operiert ?
War da nicht von der "Volksgemeinschaft" die Rede ?
*nurmalsofrag*
 
*nurmalsoantwort*

Neugier, Du fragst, ob der Nationalsozialismus mit dem Begriff der Masse operiert habe. Ein einziges Zitat möge genügen:
Adolf Hitler schrieb:
"Das Reservoir, aus dem die junge Bewegung ihre Anhänger schöpfen soll, wird also in erster Linie die Masse unserer Arbeitnehmer sein. Diese gilt es dem internationalen Wahne zu entreißen, aus ihrer sozialen Not zu befreien, dem kulturellen Elend zu entheben und als geschlossenen, wertvollen, national fühlenden und national sein wollenden Faktor in die Volksgemeinschaft zu überführen." (Mein Kampf, S.374)
zitiert nach einem Text:
http://www.liberalismus.at/Texte/national-sozialismus.php
den ich beim Googeln nach den Begriffen "Nationalsozialismus / Masse" gefunden habe, und den ich für sehr sehr lesenswert halte. Insbesondere auch, weil der Autor darin deutlich macht, welche Aspekte Hitler der damaligen Sozialdemokratie für seine Zwecke entnommen hat.
 
Gaius,

danke für dieses aufschlussreiche Zitat, das übrigens ja auch die Verwendung der "Volksgemeinschaft"
als Propaganda-Terminus bestätigt.

Vielleicht sollte ich meine Sammlung von Che-Devotionalien, Mao-Bibel und Kommunistisches Manifest
doch auch noch mit einer in Kalbsleder gebundenen und mit Goldschnitt versehenen Edel-Edition von
Mein Kampf ergänzen.

Wenn nur diese von Adolf handsignierten Exemplare nicht gar so schwer aufzutreiben wären .....


Das musste auch einmal gesagt werden.
 
Gaius schrieb:
Der systemtheoretische Massen-Begriff würde mich übrigens stark interessieren (auch wenn's, wie Du sagtest, damit nicht so dolle sein soll.) Gibt es da eigentlich auch eine weit entwickelte Faschismus-Theorie?
Damit kann ich nicht, dienen. Meie Theoriebruchstückserinnerungen bezogen sich ausnahmsweise mal nicht auf die Systemtheorie, sondern auf Theorien, die in Bezug auf die Entwicklung und Wirkung von Werbung enstanden sind, so in den 30ern 40ern. Das waren ja auch die Zeiten, wo Begriffe wie Massenmedien, Massenkommunikation etc. aufkamen.
Man ging damals noch davon aus, dass es (Werbe-)methoden gäbe, die das ganze Spektrum, die "Masse" erreichen könnten. UNd vielleicht war das ja auch damals so. Denn es standen den Menschen noch nicht solche Ressentiments zur Verfügung wie "Die Medien lügen/manipulieren", die heute ja Allgemeingut sind und die Medien selbst liefern ja ein wesentlich differenziertes Bild als damals.
Nicht umsonst wird ja immer wieder auf die clevere Nutzung der "Volksempfänger" durch Hitler hingewiesen und das bekannte Ereignis einer "Massen"panik in NY http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hoerspiel/368823/ ausgelöst durch ein Hörspiel, wird heute auch nicht mehr so zu wiederholen sein.

Man könnte also vermuten, dass eine Verbidnung besteht zwischen der Durchsetzung des Faschismus und der Verbreitung von elektronischen
Massenmedien. Riskant wäre es aber zu sagen, dass heutzutage Gesellschaften wegen verändertem Rezeptionsverhalten nicht mehr anfällig dafür wären...
 
Neugier schrieb:
Auch müssen gar nicht zig-Tausende Menschen zusammenkommen, damit Massenverhaltensweisen auftreten,
man kann diese Verhaltensweisen schon bei Reisegruppen beobachten, die aus zwei oder drei Busladungen
bestehen.
Daher ja auch mein link zu dem Spiegelartikel, der belegt, dass Menschen aus reinem Zugehörigkeitsgefühl sich von Brücken stürzen und dabei Knochenbrüche und Schlimmeres in Kauf nehmen.
Nicht umsonst steht ja dieser Thread unter "Psychologie".
 
Beim googeln zu massentheorie bin ich noch auf Folgendes gestoßen: Zu finden unter http://iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/lohmeier.htm

Massentheorie:
Rückzugsgefechte intellektueller Monopolisten

Der Monopolanspruch der Intellektuellen glaubte sich an der Wende zum 20. Jahrhundert noch einmal neu legitimieren zu können im Rekurs auf die konservativ-kulturkritisch orientierte Massentheorie, die sich in diesen Jahren – unter dem Eindruck der sprunghaft voranschreitenden Urbanisierung, der Konzentration von Arbeiter- und Angestelltenmassen an den neu entstehenden Industriestandorten - konstituierte und bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts fortwirkte.

Von Gustave Le Bons "Psychologie des foules" (Paris 1895), deren deutsche Übersetzung (Leipzig 1908) bis zur Jahrhundertmitte (1957) allein 10 Auflagen erlebte, über Ortega y Gassets "Aufstand der Massen" (Madrid 1930, dt. 1931) bis hin zu Elias Canettis "Masse und Macht" (Hamburg 1960) reicht ein Diskussionszusammenhang, der für die Selbstverständigung deutscher Intellektueller im 20. Jahrhundert eine kaum zu überschätzende konsensbildende Kraft entfaltete.

In ihm fanden ihre Ressentiments gegen die Moderne neue Argumente: Modernisierung ließ sich nun – statt als Zerfall – als Vorgang einer unheilvollen "Vermassung" beschreiben und deren Resultat, die "Massengesellschaft", als ein Gebilde deuten, in dem die Mehrheit eine strukturlose Vielheit anonymer, uniformer, entfremdeter Durchschnittsmenschen darstellt, die der Selbstbestimmungsfähigkeit entbehren und deshalb der Führung durch Eliten bedürfen, durch die Minderheit derer nämlich, die der "Vermassung" (auf wundersame Weise) widerstehen.

Die exklusive Selbstzuschreibung universeller Weltdeutungskompetenz und Normsetzungsansprüche, die den traditionellen Kern intellektueller Identität ausmacht, konnte sich hier noch einmal legitimiert und das altgewohnte Identitätskonzept damit noch einmal bewahrheitet glauben.

UND WEITER !!!
Es gehört zu den besonderen Merkwürdigkeiten der deutschen Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, dass die Zusammenhänge zwischen den Totalitätsträumen der Kulturkritik und dem nationalsozialistischen Re-Totalisierungsprogramm (geschweige denn die legitimatorischen Leistungen jener für dieses) auch nach 1945 nicht erkannt wurden, ja mehr: dass das kulturkritische Argumentationssystem nach 1945 sogar den allgegenwärtigen Hintergrund für die Versuche bildete, die Katastrophe zu erklären:
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
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Der Faschismus besteht doch nicht nur aus "Masse" und "Führer", oder?
Wir gehen überhaupt nicht auf die Ideologie des Faschismus ein oder ist das abwegig, dass dies mit dem Ausgangssatz gemeint war?
Kann man den Satz auch für andere Ideologien oder Religionen verwenden oder ist er, wenn richtig, nur spezifisch korrekt?
 
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