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Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Benjamin

Well-Known Member
Registriert
27. Januar 2005
Beiträge
2.268
Was denkt ihr?
Hat der Mensch die Mathematik entdeckt oder hat er sie erfunden? Sprich, ist die Mathematik ein Produkt unseres Geistes oder existiert sie auch unabhängig von unserem Geist?
 
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AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Was wir heute unter Mathematik verstehen, ist entstanden aus der Geometrie der Griechen. Das ist eine KONSTRUKTIVE Kunst. Jeder geometrische Satz ist keine Tatsachenfeststellung, sondern eine Konstruktionsanleitung.
Nachdem diese Kunst über Jahrtausende ihre 'Werke' vollbracht hat, kann man sie heute als eine Wissenschaft studieren.

Die Arithmetik hat ältere Wurzeln, die bis zu den Babyloniern zurückreichen. Ist nun die Zahl ein "Naturverhältnis"? Beruht sie nicht darauf, dass die Dinge 'im Raum' eine Grenze haben und man sie nebeneinander stellen und also ZÄHLEN kann? Das sieht nur so aus! Tatsächlich zählen wir die Dinge ja nicht neben-, sondern NACHeinander! Und das geschieht IN DER ZEIT.

Paläoanthropologen haben aus frühester Vorzeit Stäbchen geborgen, die in regelmäßigen Abständen mit Kerben versehen sind. Sie interpretieren sie als Zählstäbe, den Vorläufer der Zahlensysteme; nämlich so, dass ihre Hersteller den Daumennagel auf die erste Kerbe gehalten haben: "zuerst..."; auf die zweiter Kerbe: "dann..."; dritte Kerbe: "und nochmal...". Da wird das zeitliche Nacheinander der Zahlen archäologisch sinnfällig!

Die Idee, die 'Gesetze der Mathematik' (=die Konstruktionssätze der Geometrie) seien die ureigensten Bauprinzipien "der Natur", haben schon die "Pythagoreer" im alten Griecheland vertreten. Aber das war nicht 'wissenschaftlich' gemeint: Sie waren ein mystisch-religiöse Geheimsekte, deren Lehren nur Eingeweihten zuteil wurden. Was sie im Einzelnen lehrten, ist daher nicht überliefert.

In die WISSENSCHAFT eingegangen ist diese Idee genau in dem Moment, als die Natur-Wissenschaft als solche ENTSTANDEN ist: bei Galileo Galilei. Der hat, um den damals vorherrschenden Einfluss der aristotelischen Naturphilosophie zu brechen, ausdrücklich auf die Philosophie von PLATO zurückgegriffen. Für den war die Mathematik (=Geometrie) von allen Wissensarten die 'gewisseste'; aber nicht aus naturphilosophischen, sondern aus ÄSTHETISCHEN Gründen, wie aus seiner Lehre über die "fünf vollkommenen Körper" ersichtlich ist.

Warum hat sich die Mathematik hernach dann aber so blendend in den Naturwissenschaften bewährt? Vielleicht doch, weil sie ('zufällig') zugleich den inneren Bauplan der Natur wiedergibt?

Nun ja: Worin besteht 'Naturwissenschaft'? Darin, dass der Forscher sich bemüht, die tatsächlichen Vorgänge in der Außenwelt in einem abstrakten Modell nach zu KONSTrUIEREN! Und dann ist es kein Wun der, dass er die Konswtruktionsanleitungen, die er vorher ins Modell hinein-konstruiert hat, hinterher auch wieder heraus-"findet"!

Der modische Ausdruck "Konstruktivismus" stammt übrigens aus der sogenannten "Erlanger Schule" der Mathematik, die in den 50er Jahren um Paul Lorenzen herum genau diese These in die Mathematik hineingetragen hat: dass es sich nämlich um eine KONSTRUKTIVE Disziplin handelt.
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

hallo, forianer!

@cosario
meines wissens basiert die moderne mathematik nicht mehr so viel auf der alten kunst der griechen...?
aber egal, ich finde es sowieso immer wieder verwunderlich wie veränderlich naturwissenschaften sind, und selbst die mathematik. scheint mir zeitabhängig zu sein!
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Ich bin der Ansicht, dass die Mathematik entdeckt wurde und nicht erfunden. (Wobei ich jedoch auch denke, dass wir mit der Mathematik nicht nur Gesetzmäßigkeiten der Natur entdeckt haben, sondern auch Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Geistes.)
Zählen an sich mag vielleicht erfunden sein, die konkreten Regel aber, wie sich gezählte Mengen verhalten, sind von der Natur abgeschaut. Ebenso, denke ich, dürften die geometrischen Konstruktionen der alten Griechen keine reinen Erfindungen sein. Gewiss könnte die Art und Weise der Konstruktion erdacht sein, ähnlich wie die Namen der Zahlen und die Rechenoperationen erdacht sein mögen. Das Ergebnis jedoch spiegelt immer ein beobachtetes Faktum wider, und ist damit von der Natur abgeschaut.

"Eins plus eins" mag vielleicht erfunden sein. Dass es aber "zwei" ergibt, ist beobachtet.

Ben
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Ich denke die Wörter "Entdecken" oder "Erfinden" beschreiben beide das Gleiche.

Wenn man sich das Wort Erfindungen mal genau anschaut, dann sieht man folgendes:

Da ist also ein Mensch, der erfindet.

ER (der Mensch) FINDET etwas.

Das Wort sagt uns doch ganz klar, dass es das, was wir als Neuigkeit ansehen, bereits gegeben hat - man hat es lediglich wieder gefunden.
Betrachte einmal sämtliche Tätigkeitswörter, die mit der Vorsilbe "er" beginnen. Sieht man es in diesem Sinn, dann ist man erstaunt, wie ganz anders und sinnvoll diese Wörter plötzlich "er"scheinen.

Genauso ist es mit dem Wort Entdeckung.
Man deckt etwas Verborgenes auf.

Ich denke nicht nur die Mathematik, sondern sämtliche Entdeckungen und Erfindungen existieren bereits.

Liebe Grüße
Jade
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

ich denke, eine vergleichbare frage wäre, ob
ein pferd entdeckt oder erfunden wurde

das tier als solches hat es schon vor seiner ersten (menschlichen) sichtung gegeben, also wurde es entdeckt
erst nach jener sichtung konnte es benannt werden, als wurde der begriff "pferd" erfunden

der umstand, dass 2 äpfel und 3 äpfel zusammen 5 äpfel ergeben, war schon vor dem menschen so, auch wenn die äpfel damals viel kleiner als heutzutage waren
die (auch in schulen gelehrte) systematik dahinter aber, die analoge beispiele nach dem selben muster lösen lässt, ist eine menschliche erfindung
erfunden zu des menschens nutzen
ebenso ist das zusammenfassen von 5 einzelnen äpfels zu einer gruppe "5 äpfel" eine folge menschlicher auffassung

ein anderes beispiel, die schwerkraft:
auch vor newton "wussten" äpfel, wohin sie zu fallen hätten, blieben planeten auf ihren bahnen, etc....
der physikalische hintergrund mit den diversen regelmäßigkeiten, die eine systematik dahinter erst erkennen ließen, existierten schon vorher und wurden entdeckt (so wie das tier pferd)
das formulierte gesetz aber war eine erfindung, so wie das wort "pferd"
vor newton gab es das gesetz F=gamma*m1*m2/r^2 nicht, was aber in der physischen welt keine bedeutung hat
die planeten halten sich auch nicht an das beschriebene gesetz, sondern an die umstände, die dazu führten, dass so ein gesetz überhaupt formuliert werden konnte

mathematiker und andere sind seit jeher uneinig darüber, ob mathematik eine natur- oder geisteswissenschaft sei
praktisch sehe ich sie als naturwissenschaft
in ihr lässt sich experimentieren, es gibt, die theoreme natürlich vorausgesetzt, ein definitives "richtig" und "falsch" (nebst unbestimmt in manchen fällen, natürlich)
streng philosophisch gesehen halte ich sie eher für eine geisteswissenschaft, ähnlich einer sprache

unsere lautsprache ist dafür geschaffen, den alltag zu erleichtern, und unter anderem, probleme zu lösen
die mathematik eine sprache für nicht gar so alltägliche probleme, aber ob alltäglich oder nicht, tut hier nichts zur sache, denn selbiges träfe für latein zu, was ja auch nicht mehr für alltagsprobleme oder alltägliche kommunikation angewandt wird
andere naturwissenschaften benötigen ja eine sprache
unsere übliche lautsprache, die unseren wünschen, gefühlen und ansichten ausdruck verleihen kann, ist für physik, chemie, astronomie, geographie, etc...schlecht geeignet
die geeignetere sprache dafür ist eben die mathematik, was sie aus sicht der "anderen" naturwissenschaften zur geisteswissenschaft macht

lg,
Muzmuz
 
AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

Die Idee, dass alle unsere Entdeckungen oder Erfindungen 'im Grunde' nichts anders seien als Wiederfinden, als ein Erinnern, wurde zuerst von Plato formuliert. Bei ihm findet sich deer mythische Bericht, wonach "am Anfang" die Seelen der Menschen alle oben auf dem Olymp bei den Göttern gewohnt haben - zusammen mit den wahren 'Urbildern' aller Dinge, den "Ideen". Jetzt sind die Menswchenseelen hier unten und sehen und dasjenige von den Dingen, was, durch Werden und Vergehen verunstaltet, im Endlich 'zur Erscheinung' kommt. Aber eigentlich haben sie doch noch "Anteil" an der Ideen-Wirklichkeit, aber die "erinnern" sich nur dunkel - wie in einer Höhle...

Prototypen dieser "Ideen" sind für Plato die "vollkommenen Körper"* - Würfel, Kugel, Pyramide..., die in der Endlichkeit (dem 'Werden') immer nur vermischt und darum undeutlich auftreten. Aber das Denken (nicht die Erfahrung!) kann durch energisches Erinnern ihrer wieder ansichtig werden.

@Muzmuz: Dein Beispiel vom Pferd und der Idee des Pferdes ist ein höschst klassisches: Von den (werdenden und vergehenden) Pferden "in der Erscheinung" und der "Pferdheit" [sic], wie die der 'Idee' nach 'ist' ist bei plato imm er wieder besipielhaft die Rede - und so bis in die scholastischen Diskussionen des hohen Mittelalters!

*

Zum wissenschaftslogischen Dogma aufgerichtet wurde die Mathematik durch Descartes; und zwar für Natur- und Geisteswissenwschaften gleichermaßen! Er unterteilt die Welt in res extensa (den ausgedehnten Stoff) und in res cogitans (das denkende 'Wesen'). Beide entstammen aber derselben Schöpfung und tragen als ihr Geburtsmal deren Formprinzip an sich: die Mathematik. Und weil das Denken - wenn es sich bemüht, klar und deutlich (clare et distincte zu verfahren - selber in mathematischer Form geschieht, ist wahre Erkenntnis überhaupt möglich.


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*in Timaios 55e-56c
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Definition für "entdecken" und "erfinden"

Ich denke die Wörter "Entdecken" oder "Erfinden" beschreiben beide das Gleiche.

Zu dieser Ansicht gelang ich auch schon. Ich finde sie grundsätzlich gut.
Nach weiterem Überlegen halte ich sie nun aber nicht für ganz ausreichend. Für mich zumindest nicht. Meinem Sprachverständnis nach sehe ich einen kleinen Unterschied zwischen "ent-decken" und "er-finden". Eine "Ent-deckung" kann, wie ich meine, innerlichen und äußerlichen Ursprung haben. Entweder entdecke ich etwas in mir oder etwas außer mir oder eine Mischung aus beiden.
"Er-finden" jedoch verstehe ich als einen Vorgang der immer in mir geschieht. Auch wenn die "Er-findung" eine äußerliche Form annehmen mag. Eine kompunierte Melodie zum Beispiel sehe ich als eine Erfindung an, keine Entdeckung. Wobei ich nicht ausschließen will, dass die Melodie vielleicht wirklich schon vorher existiert hat, womöglich in einem "Reich der Ideen" wie Platon sagen würde. Das Gravitationsgesetz nach Newton ist meinem Sprachverständnis nach eine Entdeckung, weil es vorher schon eine sichtbare Wirkung hatte, im Gegensatz zur Melodie, die vorher wahrscheinlich noch kein Mensch gehört hat.

Vielleicht könnte man sagen, dass eine Erfindung für mich so etwas wie eine "geistige Ent-deckung" ist. Und eine Entdeckung würde ich eventuell als eine Art "äußeren Findens" definieren, sprich, man findet etwas mithilfe von Beobachtung.

So würde ich persönlich diese Wörter definieren, wobei es natürlich auch andere Definitionen geben mag. Es soll nur ein Versuch sein, zu erklären, wie ich mir das vorgestellt habe.
 
ich denke, eine vergleichbare frage wäre, ob
ein pferd entdeckt oder erfunden wurde

Nein, ich denke nicht.
Es mag durchaus stimmen, dass die Begriffe der Mathematik erfunden sind, wie der Begriff "Pferd" erfunden sein mag. Alle Zahlen zum Beispiel sind erfunden, wie ich meine. Auch die Rechenoperationen addieren, multiplizieren,... dürften erfunden sein. Und auch die Vorgangsweise in der Mathematik dürfte eine reines Produkt unseres Geistes sein.
Aber die Rechenregeln, selbst wenn sie der Mensch formuliert bzw. erfunden haben mag, sind von der Natur abgeschaut bzw. in der Natur ent-deckt worden. Wir würden nicht wissen können, was eins plus eins ergibt, wenn wir es nicht beobachtet hätten.

vor newton gab es das gesetz F=gamma*m1*m2/r^2 nicht

Ich meine doch.
Das Gesetz gab es schon. Die Formulierung gab es nicht. Ein Naturgesetz ist meines Erachtens keine Zeile aus Ziffern, Buchstaben und sonstigen Zeichen. Das würde ich als seine Formulierung bezeichnen. Die Formulierung mag eine Erfindung von Newton sein. Die Gesetzmäßigkeit aber, das Verhältnis von Kraft und Massen, ist von Newton entdeckt. Ohne Beobachtung hätte er das Gesetz nie entdecken oder finden können. Erst durch die Wahrnehmung konnte es gefunden werden.
So, wie ich meine, sind auch die Gesetzmäßigkeiten der Mathematik durch Wahrnehmung gefunden worden.

Ben
 
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AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?

@Benjamin: Dein Beispiel von Newton's "Anziehungskraft" beweist aber unglückerweise mehr, als Du wohl beweisen wolltest! Denn die moderne, 'nach-Newton'sche', "relativistische" Physik hat "entdeckt" (erfunden?), dass 'es' eine solche 'Kraft' nicht 'gibt' - sondern lediglich den gekrümmten Raum. Hat ER also 'entdeckt' oder 'erfunden' - oder sich etwa 'geirrt'? Aber letzteres ja wohl auch nicht so ganz - denn solange wir (nämlich gewöhnliche Sterbliche wie Du und ich) uns im 'Newton'schen Raum' bewegen (das tun wir Tag für Tag), "gibt es" natürlich "Gravitation"...
 
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