Mann, Minni,
Minni schrieb:
Es gibt nicht wirklich viele Unterschiede zwischen Traum und materiellem Erleben.
Für mich: sehr viele und fundamentale Unterschiede. Ein paar Beispiele zum Knabbern: HIER (= Wachsein) gelten physikalische Gesetze. Dem Traum sind physikalische Gesetze egal: zum Beispiel die Schwerkraft. (Oder bist du noch nie im Traum geflogen?) HIER gelten biologische Gesetze. Dem Traum sind die auch egal. (Oder bist du im Traum noch nie stundenlang unter Wasser geschwommen wie ein Fisch?) HIER gilt das Gesetz der Identität: Wenn meine Freundin Klara mich besucht, dann bleibt sie körperlich Klara die ganze Zeit über. Im Traum kann plötzlich aus ihr meine Mutter werden oder sonstwer. Ganz wie es dem Traum beliebt. HIER gelten für uns (für viele wenigstens) moralische Gesetze bzw. unser Gewissen arbeitet (mehr oder weniger gut). Im Traum kommt es vor, dass wir anderen Menschen, ohne zu zögern und ohne dass es uns im geringsten berühren würde, die furchtbarsten Dinge antun. Usw. usf.
So könnte ich STUNDENLANG fortfahren.
Vorgezogenes Fazit: Traum und Wirklichkeit sind SEHR verschieden.
Mir ist aber vollkommen klar, dass eifernde Anhänger des Wahrnehmungsansatzes diesen Unterschied nicht erkennen können, SONST würden sie ja auch den Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit erkennen können. Ich hatte das "antizipiert", wenn du verstehst.
Minni schrieb:
Ausprobieren ginge ja nur durch Wahrnehmung. Nehme ich dann etwas wahr, existiert es (für mich), nehme ich es nicht wahr, existiert es (für mich) nicht.
Du meinst bestimmt, dass Wahrnehmung beim Ausprobieren BETEILIGT ist. Das wäre dann wenigstens halbrichtig. Halbfalsch ist es, weil es auch Gedankenexperimente gibt.
Euer Wahrnehmungsansatz ist übrigens auch so ein Gedankenexperiment. (Nicht das geistvollste für meinen Geschmack.)
Das plauderst du gerade selber aus, indem du verrätst, dass euer Wahrnehmungsansatz garnicht DURCH WAHRNEHMUNG zu überprüfen ist, was wohl auch bedeutet, dass er garnicht auf Wahrnehmung oder Erfahrung beruht. Sondern eben nur durch Wahrnehmung "inspiriert" ist.
Mein Problem mit eurem Ansatz: Mich inspiriert "Wahrnehmung" (Empirismus etc.) überhaupt nicht. Manchmal wünsche ich mir sogar, ich wäre blind. Aber so sollte man vielleicht nicht denken. Ok.
Minni schrieb:
Einmal versicherst du mir, das Buch hat schon existiert, ein anderes mal, "ich glaube" es hat schon vorher existiert.
Warst du dabei, als dein Urgroßvater das Buch schrieb, ist es gesicherte Erfahrung durch eigene Wahrnehmung. Andernfalls kannst du es wirklich nur glauben.
Du beziehst dich wahrscheinlich auf Beitrag #17, wo ich über kathi geschrieben habe: "Mal einen Subjektivismus der Wahrnehmung, mal einen der Interpretation, mal einen des Glaubens - so als wären das alles Synonyme ..."
Für mich ist:
wahrnehmen = mit den Sinnesorganen aufnehmen
interpretieren = erläutern (oder vormachen), wie etwas zu verstehen ist oder sein könnte (eine Handlung, eine Aussage, eine Erzählung, eine Komposition etc.)
glauben = nicht absolut sicher (gewiss) sein, aber doch ziemlich (hat jetzt nichts mit dem religiösen Glaubensbegriff zu tun)
Daraus erhellt auch, dass für mich "glauben" und "wissen" nicht so weit auseinander liegen wie für dich. Ich meine damit verschiedene Grade von Gewissheit. That's all.
Minni schrieb:
Liegt es in deinem Regal, gibt es das Buch auch für dich. Was du aber nicht wissen, sondern nur glauben kannst, ist, daß es bereits existiert hat, bevor du es zuallererst gesehen hast.
Tja, siehe oben. Werde das Gefühl nicht los, dass du den eigentlichen Witz an der Geschichte nicht verstanden hast.
Minni schrieb:
Ich glaube aber, daß dein Urgroßvater nie aufgehört hat zu existieren.
Ich schon. 1918 war das. Sein oder Nichtsein.
Minni schrieb:
Machst du dir, mithilfe der Erinnerung vielleicht, wieder ein Bild von ihm, existiert er wiederum für dich, nur nicht in gleicher "Qualität", sage ich mal, denn du beurteilst (aufgrund deiner Überzeugungen) das neue Bild anders als das Bild, das du von ihm hast, wenn er "real" vor dir steht. Beides sind aber Bilder, Vorstellungen.
Wie gesagt, mein Urgroßvater ist nicht mehr. Da helfen auch Bilder und Vorstellungen nicht. Bedauerlich, aber wahr.
Minni schrieb:
Wenn wir ihn jetzt nicht wahrnehmen können, existiert er jetzt für das Ich nicht. Ich bezeichne einen Verstorbenen als solchen und nicht etwa als nie existent, wenn ich eine Erinnerung an eine Wahrnehmung von ihm habe und annehme, daß ich auch keine mehr haben werde, weil ich ihn als tot ansehe.
Tot ist tot. Übrigens kann man das auch wahrnehmen. Öffne doch mal einen Sarg. (Lieber nicht.)
Minni schrieb:
Hören-Sagen ist Glauben, Wissen ist tatsächlich nur durch eigene Erfahrung möglich.
Oh, dann wüssten wir aber nicht viel. Ich zumal, ich bin nämlich eine Stubenhockerin, wie man "so schön" sagt.
Minni schrieb:
Das Dilemma ist, daß die meisten Menschen darin nicht zu unterscheiden wissen und Glaube als Wissen verkaufen.
Nicht für dich. Hauptsache ist doch, du nimmst wahr und machst deine eigenen Erfahrungen. Lass es doch ruhig kitschig klingen.
Minni schrieb:
Andererseits ist auch Glauben eine Erfahrung...
Brauchst du nicht mehr hervorzuheben, da for you eh alles Erfahrung (Wahrnehmung) ist. Ich HÖRE aber keine Argumente mehr. Nur Gebete, moderne.
Minni schrieb:
In seinem Wesen ist der Mensch auch kein Mensch. Er wird es, indem sich das Formlose eine Form gibt.
Auch das habe ich antizipiert: Jetzt kommt die Kunst.
Minni schrieb:
Gibt es eine Form, gibt es auch ein "außerhalb" dieser Form, die Umwelt, das ihr Vorgestellte. Dieses Formieren oder Vorstellen nenne ich Wahrnehmung. Es scheint nun zweierlei zu geben, etwas Vorstellendes (Wahrnehmender) und etwas Vorgestelltes (Wahrgenommenes). Hier spielt nun keine Rolle, ob das Wahrgenommene als materielles Objekt existiert oder rein geistig-gedanklich oder als Traumfigur. Vorgestellt ist vorgestellt.
Was spielt schon eine Rolle bei soviel (Selbst-)Herrlichkeit?
Minni schrieb:
Du scheinst aber den Wahrnehmungsbegriff völlig anders zu verstehen. Vielleicht kannst du ihn für mich näher erläutern.
wahrnehmen = mit den Sinnesorganen aufnehmen
Minni schrieb:
Aber meintest du jetzt wahrnehmen oder deuten?
Was, den charmanten Witz hast du auch verpasst? Dann betrachte es als Friedensangebot. Waffenstillstand!
Minni schrieb:
Das befürchte ich auch.
Lieben Gruß
pergola