Zum Thema "Vorherbestimmung und daraus resultierende Unfreiheit" möchte ich gerne ein kleines, banales Beispiel bringen:
Wenn ich heute beschließe, morgen fünf Dinge zu erledigen und meinen Tag entsprechend plane, bin ich in gewisser Weise "vorherbestimmt" und auch "unfrei", und doch habe ich mich heute frei und selbstbestimmt dazu entschlossen.
Morgen werde ich den Tagesablauf weitgehend vorgegeben haben,
innerhalb dieses Rahmens werde ich aber trotzdem viele Entscheidungsmöglichkeiten haben. Und letztlich kann ich auch entscheiden, den am Vortag gefassten Plan völlig über den Haufen zu werfen und ganz etwas anderes zu machen.
Und was unser "Schicksal" anbelangt: wer weiß, vielleicht haben wir auch das bis zu einem gewissen Grad selbst "vorherbestimmt", ausgesucht, oder wie auch immer...
Ich glaube also, dass auch diesbezüglich das von Louiz angesprochene dualistische Prinzip zum Tragen kommt.
louiz30 schrieb:
Wer jedoch keine Individualisierung durchlebt hat und keine eigene Meinung besitzt, wer sich immer nach der Situation und der herrschenden Meinung richtet, der ist nicht frei und wird es auch nie sein.
Oooch, Louiz, wer wird denn so streng sein...
Stimmt schon, was du da sagst, aber du wirst uns doch nicht unsere Lernfähigkeit absprechen...
Ich kenne beispielsweise eine sehr liebe Frau, die sich immer nach den Erwartungen der anderen gerichtet hat, aber nicht weil sie keine eigene Meinung hatte. Jetzt mit 78 Jahren sagt sie: "Ich war so dumm, ich dachte, ich müsse immer auf die anderen Rücksicht nehmen, jetzt sage ich ihnen, was ich denke, und sie akzeptieren es auch, und mir geht es viel besser dabei." Ein großer Fortschritt, oder?
niemand schrieb:
Dein Schicksal liegt in deiner Hand. Du hast aber auch die Möglichkeit einem Größeren zu vertrauen und dich anheim zu geben. Andere haben einen starken Willen und nichts würde sie dazu bringen, ihr Schicksal in die Hände eines anderen zu geben. Sie nehmen alles selbst in die Hand, egal wie begrenzt ihr Menschenverstand auch ist. Urteile selbst, was die bessere Wahl ist.
Stimme dir zu!
Man soll den Einfluss, den man auf sein "Schicksal" hat, nicht unterschätzen und doch wird man irgenwann auf die Grenzen der eigenen Macht, des eigenen Einflusses stoßen. Auch hier ein "sowohl - als auch"?
Pocoloco schrieb:
Ich frage nur, ob die Entscheidungen, die wir treffen, nicht von vornherein feststehen, aus genetischen, soziologischen, schicksalhaften ... Gründen - und wir demzufolge so entscheiden müssen, wie wir entscheiden, also im Prinzip doch keine richtige Wahl haben.
Darf ich noch ein Beispiel bringen? Wenn ein Mensch "gün" denkt und sich ein Auto kaufen will, wird er eine große Dreckschleuder oder ein kleineres, umweltfreundliches Auto nehmen? Da könnte man wohl auf Letzteres wetten. Hatte er deshalb keine freie Wahl?
louiz30 schrieb:
Ich kann mich im Grunde der Meinung von „Niemand“ anschließen. In der Tat haben wir immer eine Wahl, es gibt immer zwei Optionen, denn das ist schon durch das grundlegende und dualistische Prinzip des Universums bedingt. So kann sich auch keiner aus dieser Verantwortung stehlen und auch nicht für sich in Anspruch nehmen, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Es gibt immer und für alles eine Möglichkeit.
Das sehe ich auch so. Erik Blumenthal sagte: "Der Mensch kann immer auch anders."
Schicksal, Zufall, wie auch immer, die Verantwortung für unsere Entscheidungen, für unser Handeln kann uns niemand abnehmen.
Miriam schrieb:
Wenn Zufall früher eher als "auf Geratewohl" verstanden wurde, denkt man heute darüber nach, dass uns eventuell ein Phänomen das wir als (willkürlichem) Zufall bezeichnen, nur nicht in seiner Kausalität, in seinen Zusammenhängen, erkennbar ist. Also, dass auch dabei eine Ordnung herrschen könnte, die wir aber nicht durchschauen.
Genau das ist es: wir kennen einfach die Zusammenhänge nicht.
Das Bedürfnis Geschehnisse als Ursache und Wirkung einzuordnen führt oft zu Verwechslungen. So werden leicht Kausalität und Koinzidenz verwechseln. Wir suchen nach der Ursache und denken sie zu finden, in einem Ereignis das nicht zu einem anderen kausal geführt hat, sondern einfach zeitnah stattgefunden hat – das wäre dann die Koinzidenz.
Neben Kausalität und Koinzidenz (so es Letzteres überhaupt gibt - wenn man davon ausgeht, dass alles, was geschieht, miteinander verbunden ist, in einem Zusammenhang steht) gibt es noch etwas. E. Blumenthal unterscheidet zwischen kausaler und teleologischer Betrachtungsweise. Das eine lenkt den Blick auf die Ursache, das andere auf das Ziel eines Verhaltens, Ereignisses,...
Kleinere Kinder scheinen stark teleologisch orientiert zu sein. Ihre unzähligen Warum-Fragen wird man kaum mit kausalen Erklärungen zufriedenstellend beantworten können, und seien sie noch so richtig und genau. Z.B.: Warum gibt es Mehl? - Nicht: weil Getreidekörner in der Mühle gemahlen wurden, sondern: Dass wir leckere Palatschinken (Pfannkuchen) backen können. (Mag konstruiert klingen, sorry, aber das Warum-Alter meiner Kinder ist schon ein Weilchen her...)
LG
Jane
Selbstironisches P.S.: Auch wenn es nicht so aussieht: ich habe auch Bücher anderer Autoren gelesen, nicht nur Blumenthal...