PhilippP
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AW: Heidegger und die Sprache; oder: konfuser Wortzauber?
Hallo aktivFreidenker,
und wenn es auch viele Sätze bräuchte, ich wäre Dir ganz Ohr.
Ich habe das Buch von Rüdiger Safranski zwar gerade nicht selbst zur Hand, aber immerhin einen Auszug im Internet gefunden:
"Heidegger ist zu Hitler nicht nur vieles eingefallen, er hat, wie er 1945 vor dem Bereinigungsausschuß der Freiburger Universität erklärte, an Hitler geglaubt. Das Protokoll des Bereinigungsausschusses faßt Heideggers Einlassungen zu diesem Punkt zusammen: "Er glaubte, Hitler werde über die Partei und ihre Doktrin hinauswachsen, und die Bewegung könne geistig in andere Bahnen gelenkt werden, so daß sich alles auf dem Boden einer Erneuerung und Sammlung zu einer abendländischen Verantwortung zusammenfinden werde." Im Rückblick stellt Heidegger sich als jemanden dar, der aus nüchternen realpolitischen Erwägungen und sozialer Verantwortung handelte. Aber tatsächlich war Heidegger in diesem ersten Jahr von Hitler verzaubert. "Wie soll ein so ungebildeter Mensch wie Hitler Deutschland regieren?" fragt Jaspers entgeistert Heidegger bei dessen letztem Besuch im Mai 1933. Und Heidegger darauf: Bildung ist ganz gleichgültig... sehen Sie nur seine wunderbaren Hände an! Es ist kein taktisches Manöver, keine äußerliche Anpassung, sondern eine Herzenssache, wenn Heidegger am 3. November 1933 seinen "Aufruf an die Deutschen Studenten" aus Anlaß der Volksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund mit den Sätzen schließt: Nicht Lehrsätze und 'Ideen' seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein i s t die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz. In dem Brief an Hans-Peter Hempel, der ihn auf diesen Satz angesprochen hatte, gibt Heidegger die folgende Erklärung: Hätte ich nur das gedacht, was man bei flüchtigem Lesen erfaßt, dann müßte 'der Führer'. gesperrt sein. Das eigens gesperrte 'i s t' dagegen meint... daß 'zuvörderst und jederzeit die Führer selbst Geführte sind' - geführt durch das Geschick und Gesetz der Geschichte."
Ausschnitte aus: Rüdiger Safranski "Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit". URL: http://www2.hu-berlin.de/literatur/mitarbeiter/hoernigk/GNPRESS/SAFRANSZ.HTM (Letzter Zugriff am 19.03.2010, 18:41 Uhr)
Aber soweit ich das bis jetzt überblicke, ist "die Verbindung von Sein und Zeit zum Dasein" niemals erfolgt, dieser Ansatz Heideggers scheint - aus guten Gründen, wie bspw. Ernst Tugendhat in seinen kritischen Aufsätzen(*) sehr scharfsinnig aufzeigt - gescheitert.
Keine Frage aber ist, dass Heideggers Werk einen Menschen zum Nachdenken anzuregen vermag, und wenn - wie bei Dir der Fall - dies sogar dazu führt, dass Du Dir Gedanken über Deine "Restlebenszeit" machst, dann wäre ich der Letzte, der das kritisiert. Aber als reine Anthropologie wollte Heidegger sein Denken nunmal nicht verstanden wissen, sein Anspruch war ungleich unbescheidener.
Schließlich: eben dieses Argument, dass man sich nämlich erstmal mit dem, was man kritisieren möchte, genügend befasst haben sollte, höre ich fortwährend; dagegen habe ich auch nichts einzuwenden, da es sich dabei um eine leicht nachvollziehbare Tatsache handelt. Nur leider wird einem meist erst dann bescheinigt, dass man nun zur rechten Heideggerexegese bereit sei, wenn man offenkundiger (wenngleich berechtigter) Kritik abschwört und stattdessen ins lavierig-schmierige Rettungsinterpretieren verfällt.
Ich denke, dass manch einer der Heideggerliebhaber es sich hier zu einfach macht. Eine Philosophie, über die man nicht reden darf, sofern man nicht mit ihrem "Universum" konform geht, finde ich äußerst problematisch.
Doch wie ich Dich einschätze, hast Du das so drastisch sicher nicht gemeint; ich habe diesbezüglich einfach schon viele - ich sagte das bereits - ernüchternde Erfahrungen hinter mir: triftigen Argumenten wird mit betretenem Schweigen begegnet und einem stattdessen (freilich ohne dies näher auszuführen) erklärt, man habe grundlegende Dinge einfach nicht verstanden. Welche "Dinge" auf welcher Grundlage gründen, das bleibt hierbei gänzlich unerwähnt.
Es grüßt Dich,
Philipp
(*) Ernst Tugendhat: Zeit und Sein in Heideggers Sein und Zeit. In: Aufsätze 1992-2000. 1. Aufl. 2001. Frankfurt: Suhrkamp. S. 185-198.
Hallo aktivFreidenker,
Hallo Philipp,
also wenn Du zwei Semester Heideggers Sprachphilosophie hinter Dir hast, werde ich wohl kaum in der Lage sein, Dir meine Faszination zu Heidegger in wenigen Sätzen nahe zu bringen.
und wenn es auch viele Sätze bräuchte, ich wäre Dir ganz Ohr.
Ich habe mich mit Heidegger zunächst einmal sehr kritisch auseinander gesetzt. Moebius hat es bereits proklamiert, Heidegger hätte "einige Jahre die Absicht, den faschistischen Führer (= A. Hitler!) philosophisch führen/beeinflussen zu wollen!"....
Bisweilen liegen mir keine tatsächlichen Aussagen Heideggers vor, welche diese Behauptungen bestätigen.
@ Moebius: bitte um Quellenverweis...
Ich habe das Buch von Rüdiger Safranski zwar gerade nicht selbst zur Hand, aber immerhin einen Auszug im Internet gefunden:
"Heidegger ist zu Hitler nicht nur vieles eingefallen, er hat, wie er 1945 vor dem Bereinigungsausschuß der Freiburger Universität erklärte, an Hitler geglaubt. Das Protokoll des Bereinigungsausschusses faßt Heideggers Einlassungen zu diesem Punkt zusammen: "Er glaubte, Hitler werde über die Partei und ihre Doktrin hinauswachsen, und die Bewegung könne geistig in andere Bahnen gelenkt werden, so daß sich alles auf dem Boden einer Erneuerung und Sammlung zu einer abendländischen Verantwortung zusammenfinden werde." Im Rückblick stellt Heidegger sich als jemanden dar, der aus nüchternen realpolitischen Erwägungen und sozialer Verantwortung handelte. Aber tatsächlich war Heidegger in diesem ersten Jahr von Hitler verzaubert. "Wie soll ein so ungebildeter Mensch wie Hitler Deutschland regieren?" fragt Jaspers entgeistert Heidegger bei dessen letztem Besuch im Mai 1933. Und Heidegger darauf: Bildung ist ganz gleichgültig... sehen Sie nur seine wunderbaren Hände an! Es ist kein taktisches Manöver, keine äußerliche Anpassung, sondern eine Herzenssache, wenn Heidegger am 3. November 1933 seinen "Aufruf an die Deutschen Studenten" aus Anlaß der Volksabstimmung zum Austritt aus dem Völkerbund mit den Sätzen schließt: Nicht Lehrsätze und 'Ideen' seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein i s t die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz. In dem Brief an Hans-Peter Hempel, der ihn auf diesen Satz angesprochen hatte, gibt Heidegger die folgende Erklärung: Hätte ich nur das gedacht, was man bei flüchtigem Lesen erfaßt, dann müßte 'der Führer'. gesperrt sein. Das eigens gesperrte 'i s t' dagegen meint... daß 'zuvörderst und jederzeit die Führer selbst Geführte sind' - geführt durch das Geschick und Gesetz der Geschichte."
Ausschnitte aus: Rüdiger Safranski "Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit". URL: http://www2.hu-berlin.de/literatur/mitarbeiter/hoernigk/GNPRESS/SAFRANSZ.HTM (Letzter Zugriff am 19.03.2010, 18:41 Uhr)
[...]
Um es kurz zu machen, greife ich nur mal die für mich wichtigste Erkenntnis aus diesem Buch heraus, nämlich die Verbindung von Sein und Zeit zum Dasein. Daraus erfolgte bei mir zwangsläufig die Frage, was ich mit meiner Restlebenszeit anfange.
[...]
Mit Sätzen wie "Das Bedenklichste ist das noch nicht Bedachte." oder "Die Wissenschaft denkt nicht." fasziniert er mich bis heute und regt mein Denken stark an.
Ich möchte Dir dazu raten, Heidegger nicht so banal bei Seite zu schieben und seinen Wortzauber als konfus oder kurzsichtig zu deklarieren, sondern wenn Du Dich mit dem Heidegger-Universum wirklich auseinander gesetzt hast, dann kannst Du ihn widerlegen.
Aber soweit ich das bis jetzt überblicke, ist "die Verbindung von Sein und Zeit zum Dasein" niemals erfolgt, dieser Ansatz Heideggers scheint - aus guten Gründen, wie bspw. Ernst Tugendhat in seinen kritischen Aufsätzen(*) sehr scharfsinnig aufzeigt - gescheitert.
Keine Frage aber ist, dass Heideggers Werk einen Menschen zum Nachdenken anzuregen vermag, und wenn - wie bei Dir der Fall - dies sogar dazu führt, dass Du Dir Gedanken über Deine "Restlebenszeit" machst, dann wäre ich der Letzte, der das kritisiert. Aber als reine Anthropologie wollte Heidegger sein Denken nunmal nicht verstanden wissen, sein Anspruch war ungleich unbescheidener.
Schließlich: eben dieses Argument, dass man sich nämlich erstmal mit dem, was man kritisieren möchte, genügend befasst haben sollte, höre ich fortwährend; dagegen habe ich auch nichts einzuwenden, da es sich dabei um eine leicht nachvollziehbare Tatsache handelt. Nur leider wird einem meist erst dann bescheinigt, dass man nun zur rechten Heideggerexegese bereit sei, wenn man offenkundiger (wenngleich berechtigter) Kritik abschwört und stattdessen ins lavierig-schmierige Rettungsinterpretieren verfällt.
Ich denke, dass manch einer der Heideggerliebhaber es sich hier zu einfach macht. Eine Philosophie, über die man nicht reden darf, sofern man nicht mit ihrem "Universum" konform geht, finde ich äußerst problematisch.
Doch wie ich Dich einschätze, hast Du das so drastisch sicher nicht gemeint; ich habe diesbezüglich einfach schon viele - ich sagte das bereits - ernüchternde Erfahrungen hinter mir: triftigen Argumenten wird mit betretenem Schweigen begegnet und einem stattdessen (freilich ohne dies näher auszuführen) erklärt, man habe grundlegende Dinge einfach nicht verstanden. Welche "Dinge" auf welcher Grundlage gründen, das bleibt hierbei gänzlich unerwähnt.
Es grüßt Dich,
Philipp
(*) Ernst Tugendhat: Zeit und Sein in Heideggers Sein und Zeit. In: Aufsätze 1992-2000. 1. Aufl. 2001. Frankfurt: Suhrkamp. S. 185-198.
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