In einem Kant-Seminar wurde uns von Heideggers Kant-Deutung abgeraten. Aus Neugier habe ich dennoch darin gelesen und mir war schnell klar, weshalb der Dozent - ein Kant-Kenner - diese Meinung vertrat. Heidegger interpretiert Philosophen nicht, sondern er nutzt sie in seinem Sinne und zwar gnadenlos.
Nun ich habe im Internet dazu , gerade was aktuelles gefunden, was denke ich hier gut hinein passt. Es ist ein Kommentar zu einem Seminar, was sich genau diesem Verhältnis widmet (wichtige Stellen habe ich hervorgehoben):
"Heidegger gehört zu den sowohl einflussreichsten als auch umstrittensten Philosophen des 20. Jahrhunderts.
Sein Denken ist stark durch
eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie geprägt. Neben den Philosophen der griechischen Antike spielt für den jungen Heidegger vor allem
Kant eine wichtige Rolle. Nicht nur dessen Gegenstandskonzeption und Theorie der Zeit interessiert Heidegger sehr, sondern in seiner frühen Philosophie finden sich auch
Züge eines transzendentalphilosophischen Ansatzes. Trotz
aller Faszination für Kant bleibt aber ein
entscheidender Gegensatz bestehen: Kant orientiert sich in seiner Philosophie an einem
Subjektbegriff;
Heidegger lehnt diesen radikal ab. Dem Versuch unsere Art zu sein, durch den Subjektbegriff auszubuchstabieren, setzt Heidegger seine
phänomenologische und existentiale Daseinsanalyse entgegen. Im Seminar wollen wir
sowohl das Verbindende als auch das Trennende zwischen Kant und Heidegger diskutieren und fragen, wessen Ansatz zur Bestimmung unseres Wesens mehr überzeugt. Dabei soll es nicht so sehr darum gehen, zu entscheiden,
ob Heidegger Kant „richtig versteht“.
Heidegger ist berühmt-berüchtigt dafür, dass er Klassiker kreativ liest und vor allem versucht, sein eigenes Denken durch seine Interpretationen weiterzuentwickeln. Uns soll es primär darum gehen, nachzuvollziehen und philosophisch zu beurteilen,
was Heidegger mit Kant macht. Welche Konzeption von Sein, Gegenständlichkeit, Erfahrung und Zeit kommt dabei zum Vorschein? Ist der
Gegensatz zwischen Heideggers Daseinsverständnis und Kants Subjektkonzeption unüberbrückbar? Gilt es hier eine klare Wahl zu treffen? Was folgt aus
Heideggers Absage an den Subjektbegriff? Ist diese in
ihrer Radikalität letztlich vielleicht sogar verantwortlich für die erschreckenden Entwicklungen
in Heideggers philosophisch-politischem Denken und Handeln. Diesen Fragen werden wir im Seminar nachgehen und uns dabei auf die folgenden drei Texte konzentrieren: die
Kritik der reinen Vernunft,
Sein und Zeit sowie
Kant und das Problem der Metaphysik..
Quelle;
https://agnes.hu-berlin.de/lupo/rds...hConfFile=webInfo&publishSubDir=veranstaltung
Eine der für mich wichtigen Stellen dieses Kommentars:
"Heidegger ist berühmt-berüchtigt dafür, dass er Klassiker kreativ liest und vor allem versucht, sein eigenes Denken durch seine Interpretationen weiterzuentwickeln"
Ich sehe es ähnlich, dass Heideggers Lesen und Interpretieren der philosophischen "Klassiker" auch einen "kreativen" Aspekt hat, weil dabei oft etwas zutage gefördert wird, was man auf den ersten Blick nicht sieht. Heidegger nennt dies, das "Ungedachte/Ungesagte" eines Denkers zu tage fördern. Natürlich kann man das kritisieren und als eine "Projektion" seines philosophischen Ansatzes in Kant sehen, aber es kann auch einen neuen ("phänomenologischen") Blick auf Kant gewähren. Nun das ist ein Seminar bzw. ein Dozent, der zu deinem genannten Kant-Seminar mir eher im Gegensatz zu stehen scheint. Der von dir genannte "Kant-Kenner" kann sich natürlich auch irren. In dieser Frage stehen zwei konträre Meinungen gegenüber. Ich würde schon (noch) von Interpretation bei Heidegger, auch wenn diese durchaus "gewalttätig" wirken kann, aber für mich keine "Ausnutzung" von Philosophen darstellt. Kurz: I disagree with you (concerning this point).
Auch die Kenner des Altgriechischen sind in der großen Mehrheit ganz und gar nicht einverstanden mit dem, was Heidegger da aus der altgriechischen Sprache herausliest. Ich glaube nicht, dass man Heidegger auf diese Weise retten kann.
Auch hier scheint es mir zwei Lager zu geben. Die einen Altphilologen (als Kenner des Altgriechischen ) sind mit Heideggers Interpretationen der griechischen Klassiker nicht einverstanden, und die anderen schätzen mehr oder weniger Heidegger (Beispiel: Schadewaldt) und sehen darin einen positiven Beitrag zur Erschließung der Antike. Aus meiner Sicht ist Heidegger in dieser Frage zwar "umstritten", aber d.h. ja nicht, dass man ihn nicht "retten" könne.
Und was soll man mit solch einem abgehobenen Geschwurbel nun anfangen? Ich würde ja gerne darüber nachdenken, doch das geht nicht, weil mir hierzu der Inhalt fehlt.
Ich sehe darin kein "Geschwurbel", sondern Heidegger unterscheidet hier einfach klar zwischen "denken" und "philosophieren". Der Satz selbst hat nicht nur einen semantischen Inhalt sondern auch einen philosophischen, nämlich die Differenzierung zwischen "Philosophieren" und "Denken", was eben für Heideggers Denkweise und Sprache charakteristisch ist.
Das steht ja - wie schon mehrfach gesagt - auch nicht in Frage.
Nun, dann scheint mir dieser Punkt geklärt zu sein
Weshalb muss man den Begriff "Dogmatismus" klären - was ist an diesem unklar?
Heidegger hat nie diskutiert, debattiert, ist keinen Deut von seinen Ansichten abgerückt, hat nichts begründet oder erläutert und Selbstkritik war ihm gänzlich fremd. In "die Technik und die Kehre" sagt er - daran kann ich mich gut erinnern - sehr klar, dass der Mensch im Grunde machtlos ist und dem Seinsgeschick als Seinshöriger ausgeliefert ist - er könne allenfalls vom Hörigen zum Hörenden werden.
Wenn das kein "Seins-Dogmatismus" ist, was ist es dann?
Nun die Frage stellt sich ja , inwiefern und falls ja, man den Begriff des "Dogmatismus" auf Heidegger anwenden kann. Ob man also Heidegger als Seins-Dogmatiker sehen sollte oder nicht. Und da müsste man eben den vollen semantischen Gehalt dieses Begriffes kennen und prüfen ob man diesen so einfach auf Heidegger übertragen kann (ob also dafür nachvollziehbare Gründe /Kriterien gegeben sind).
Ich weiß nicht, ob man so einfach sagen kann, dass Heidegger nie "diskutiert" /"debattiert" . Ich war nie in seinen Seminaren oder Vorlesungen. Aber er hat ja beispielsweise mit Eugen Fink zusammengearbeitet (einem Schüler Husserls) , nämlich in Bezug auf Heraklit. Da gibt es einen gemeinsamen Band der beiden. Und dass ist ja ein auch gemeinsamer Dialog bzw. gemeinsames "Gespräch". Wenn Heidegger (reiner) Dogmatiker gewesen wäre, dann hätte er vermutlich nur Monologe eher gehalten. Er hat aber auch mit Fink und gewiss auch mit Hanna Arendt diskutiert und ich denke aller Wahrscheinlichkeit nach auch die philosophischen Meinungen anderer angehört. Ich glaube man sollte hier nicht einfach pauschalisieren, sondern das Ganze eben
differenziert betrachten.
Was den Aufsatz die "Technik und die Kehre" anbetrifft, betrifft dieser ja seine sog. "Spätphilosophie", wobei hier ein konkretes Textzitat schon hilfreich wäre. Heidegger hat soweit ich mich erinnere , in seinem späteren Denken den Menschen in Bezug zum Sein stärker gebracht, also dass der Mensch unter Obhut des Seins , "seinsgehörig" ist. Dieser Zug scheint mir stärker zu sein, als dies noch in der sog. "Frühphilosophie" war. Ob man dies aber als "Dogmatimus" interpretieren sollte, da frage ich mich ob man soweit gehen sollte.
Vielleicht ist das Ganze auch eine Folge seines "Denksystems" eben...Oder man müsste vielleicht sagen, dass Heidegger in gewissen Teilen "dogmatisch" eventuell genannt werden könnte. Aber ich wäre da vorsichtig eben und würde vermutlich nicht so weit gehen. Manchen sehen ja in Heidegger einen "verkappten Theologen", dessen "Sein" nur ein anderer Name für "Gott" ist. Und es ist ja bekannt , dass er im Spiegel-Interview sagt: "Nur ein Gott kann uns noch retten".
Aber sollte man dies gleich mit Dogmatimus gleichsetzen?
Dazu kann ich nichts sagen. Mir ist nur bekannt, dass man mit Heidegger nicht diskutieren konnte und er humorlos und selbstherrlich war. Und das betrifft nur seine Einstellung als "Denker".
Woher ist das bekannt? Welche Quellen und Belege gibt es dafür? Mir ist bekannt, dass Gadamer (ein Schüler Heideggers) gesagt hat/haben soll, dass Heidegger kein Interesse an Heideggerianer gehabt haben soll. Ob er "humorlos" war , kann man natürlich auch nicht so einfach sagen, wenn man ihn nicht persönlich. Allerdings haben seine philosophische Schriften nicht unbedingt den Humor, den ein Nietzsche in seinen Schriften hat (und der spricht explizit vom philosophischen Humor
)
Man kann sich natürlich vom äußerlichen Erscheinungsbild auch blenden lassen. Das steht jedem frei. Ich kann in "Sein und Zeit" kein verwertbares "Wissen" finden und auch keinerlei Hinweise darauf, dass gängige wissenschaftliche Kriterien (Eindeutigkeit, Transparenz, neue Einsichten, intellektuelle Redlichkeit etc.) erfüllt sind. Für mich ist das ein geisteswissenschaftliches Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.
Nun ich kann schon sagen, dass ich dort "verwertbares Wissen" /verwertbare philosophische Reflexion gefunden habe, vor allem was Heidegger über den Menschen und seine Sozialität (seinem "Mitsein") oder über die Sprache gesagt hat oder auch über das "Sein zum Tode". Ich denke schon, dass wissenschaftliche Kriterien in Sein und Zeit eingehalten werden. Es ist ja nicht nur den formale Aufbau einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern auch in der Art wie Heidegger präzise , wissenschaftliche bestimmte Begriffe seiner Terminologie hier einführt (zum Beispiel den Begriff des Daseins oder den der Existenz usw.). Die Definition und sagen wir mal (semantische) "Einkreisung" sehe ich schon als wissenschaftliche Vorgehensweise an und natürlich auch die Strenge der wissenschaftlichen Terminologie. Kurz: auch das ist Beispiel für eine legitime (geistes) wissenschaftliche Vorgehensweise. Und der "spätere" Heidegger wird nicht mehr ganz so "wissenschaftlich" in seiner "Spätphilosophie" sein. Also Heidegger I ist für durchaus "wissenschaftlich" ("phänomenologisch"). Ich kann daher diese Sichtweise nicht nachvollziehen und sehe das anders
Das dürfte schwer gelingen, da Heidegger keine ernstzunehmende Selbstkritik ausübte. Auch in späten Jahren fand er sein "Sein und Zeit" im Grunde weiterhin äußerst gelungen. Es war ihm eben nur nicht radikal genug.
Gute Nacht!
Phil
Naja , soweit ich weiß, hat Heidegger spät "Sein und Zeit" eher als mißglückt gesehen bzw. stand diesem frühen Werk kritisch gegenüber. Ich denke daher schon, dass Heidegger der Selbstkritisch fähig war (und sein eigenes Denken auch kritisch reflektierte). Also insofern halte ich auch ein kritisches Weiterdenken mit und gegen Heidegger für möglich. Es kann vielleicht sein, dass es ihm nicht radikal genug war später. Aber das kann ich jetzt nicht 100 Prozent sagen.
Nur das noch aus den Schwarzen Heften dazu, dass ich diese Stelle dort gefunden habe (GA 97, S.203):
" Über Sein und Zeit bin ich allerdings inzwischen nicht hinaus, vielleicht jedoch um einiges eher hineingekommen. Die Kehre von Sein und Zeit zu Zeit und Sein, vor der die Veröffentlichung anhielt , lässt sich deutlicher denken, da erkannt ist, dass sie sich nicht innerhalb der Transzendenz des ον (lateinisch: on) zureichend erfahren lässt. "
Soweit aber dazu. Man kann ja hieran sehen, dass ich das durchaus etwas anders sehe.
Guten Abend!
Philosophist