Z
zwetsche
Guest
AW: Erwartungen im Alter
Liebe Miriam,
freut mich zu hören Deine Schilderung. Meine Frau hat mal im Rahmen eines kirchlichen Projektes in einem Behindertenheim in Israel gearbeitet (übrigens später auch in zwei Jahren für mehrere Monate in einem Kibbuz, allerdings auf eigene Initiative, was ihr sehr gefallen hat). Die Zustände in dem Heim müssen katastrophal gewesen sein, die Menschen wurden völlig vernachlässigt, sie lebten förmlich in ihrem eigenen Dreck. Das war allerdings alles in den 80ern, später soll es sich in dem Heim - vielleicht auch mit aufgrund der empörten Reaktion der jungen Besucher erheblich gebessert haben. Ich will damit nur sagen, daß es wohl auch in Israel sehr unterschiedliche Maßstäbe geben könnte. Übrigens halte ich den Kibbuz - bin selber nie dort gewesen, deshalb nur der Schilderung nach - schon für eine interessante Lebensform, sie hatte ja auch psychologische Gründe. Seinerzeit schliefen z.B. viele der "Alten" von den Kindern getrennt, da sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Holocaust nachts regelmäßig von Albträumen schreiend aufschreckten.
Das Problem sehe ich allerdings darin, daß derartige Lebensformen wirtschaftlich für sich kaum existieren können, sie müssen refinanziert werden, insbesondere, wenn ein hohes Maß an z.B. gesundheitlichem Standart gewährleistet sein soll. Das würde in unserem Land, in der jedes geringe Lebensrisiko vermieden werden soll, schnell zu einem Politikum werden. Trotzdem erscheinen mir solche Modelle gar nicht so schlecht. Früher konnten ähnliche Bedingungen oft noch im Rahmen der Großfamilie geschaffen werden. Ich bin selbst noch in einem Haus zusammen mit Eltern (selbst das wird ja immer mehr zur Ausnahme, da mehr als jede 3. Ehe der Scheidung anheimfällt) und Großeltern aufgewachsen, es bestand am Anfang sogar noch eine Art Kleinbauernhof, mit ein paar Rindern, Hühnern, Obts- und Gemüseanbau, später Schafen usw., so daß wir partiell etwas unabhängig waren. Meine Großeltern mußten nie in ein Heim und haben beide bis zum Tod zu Hause gelebt, meine Großmutter ist 92 geworden. Der Vorteil war aber, daß sie nie Schwerstpflegefälle wurden. Trotzdem bedeutetet dies für meine Eltern, daß sie bis in die "55er" nie frei waren, nach der Erziehung der Kinder sich um die Mutter/Schwiegermutter zu kümmern hatten. Wer kann das heute noch leisten in einer Zeit, in der die Familien auf zwei Gehälter meist nicht nur aus Luxus bestehen, sondern angewiesen sind?
Was dieser Begriff "Schwerstpflegefall" bedeutet, lernte ich erst in den vergangenen 10 Jahren in meiner Berufspraxis kennen. Zahlreiche Klagen und Verfahren wegen fehlender Bezahlung des Personals, Pflegemißstände, Dekubiti und "Fixierungen" etc., nicht zuletzt auch die Menthalität einiger der "Manager" machen mich äußerst mißtrauisch. Mit Grauen denke ich daran, sollte auch nur irgendjemand, der mir lieb ist, dem mal ausgeliefert sein.
Und auch privat sieht es nicht immer besser aus, Betreute lassen sich erfahrungsgemäß in ihrer Not oft ausbeuten wie eine Weihnachtsgans, das bringt auch unseriöse Machenschaften auf den Plan, vor allem solange die Alten noch nicht als geschäftsunfähig gelten. Besonders schmackhaft wird es, wenn es etwas zu erben gibt, es gibt bis heute keinen einfacheren Weg, schneller zu Geld zu kommen...prekär, wenn der plötzlich unerwartete Freund Erbe und Pfleger zugleich wird. Wohlgemerkt, das gilt sicher nicht für alle Fälle, aber ein fader Beigeschmack bleibt.
Ich finde Sibels Vorschlag vor diesem Hintergrund nicht schlecht, fürchte aber, dies wird sich in unserer modernen Gesellschaft und ihren ökonomischen Zwängen nicht machen lassen, ebensowenig wie eine Art Kibbuz.
Deshalb verbleibt in der Tat nur das Prinzip Hoffnung, d.h., nur nie zum Pflegefall werden, wie auch immer wir das bewerkstelligen wollen.
Viele - leider etwas düstere - Grüße
Zwetsche
Während ich Eure Beiträge hier lese, fällt mir eine Sache auf: welche auch die Wünsche, Vorstellungen oder Vorschläge sind - sie spiegeln eine Gesellschaft wieder in der "die Alten" ein Problem darstellen.
Ich denke, dass das in erster Linie nicht so sehr ein materielles Problem ist, sondern eines welches die Stellung der älteren Generation hierzulande widerspiegelt. Die materielle Seite ergibt sich dann aus diesen Stellenwert die der ältere, nicht-mehr-produzierende Mensch meist in dieser Gesellschaft einnimmt.
Es gibt mittlerweile immer mehr Notruftelefone bzw. Beschwerdestellen die es den Heimbewohnern ermöglicht Hilfe zu suchen – und das zeigt uns auch, dass die Versorgung der Alten in vielen Fällen besorgniserregend ist.
Nun, wir sollten ja hier über unsere persönlichen Vorstellungen schreiben, wenn ich dies vorgeschoben habe, dann um zu zeigen, dass wir in unserer Wahl so frei nicht sind. Wir wählen fast nicht mehr die bestmöglichste Lebensform die unseren Vorstellungen entspricht, sondern das kleinere (oder kleinste) Übel.
Es ist sicher nicht alles auf die materielle Basis zurück zu führen. Früher war ich Jahr für Jahr für längere Zeit in Israel – und meine Beobachtungen dort verstärken meine Meinung.
Erst gab es da meine Erfahrung mit dem kleinen Altenheim welches mein Onkel (als Arzt) und meine Tante geführt haben, ein Heim welches sicher nicht für reichere Menschen gedacht war. Aber die persönliche bzw. individuelle Zuwendung des ganzen Personals war einmalig. Mir erschien dies damals selbstverständlich – und ich half da sehr gerne mit.
Später zogen der reihe nach einige meiner Familienmitglieder in Altenheime. Die Entscheidung für das Altenheim in dem meine Tante zog, habe ich mit ihr zusammen getroffen – und dafür besuchten wir einige Stellen in Haifa. Überall gab es ein vernünftiges Maß von selbstständig- und betreut sein. Alle diese Heime boten fast täglich kulturelle oder gemeinsame Programme an. Doch das Wichtigste erschien mir die Art wie das Personal mit den Heimbewohnern umging.
Wenn ich tatsächlich die freie Wahl hätte – würde ich ein solches Heim wählen. Denn auch der Kontakt zu den Familien wurde dabei in den allermeisten Fällen sehr gepflegt.
Nun kann man sicher nicht sagen, dass Israels Kassen besser bestellt sind als die in Deutschland – deswegen meine am Anfang gestellte Frage nach dem Stellenwert.
Ich habe mich oft gefragt ob dieses System in Israel nicht auch geprägt ist von der Stellung der Alten in den Kibbuzim – denn das ist ein perfektes Modell für das Miteinander mehrerer Generationen – welches nicht außer Acht lässt was die Alten seinerzeit für diese Lebensgemeinschaft geschafft haben.
Gruß
Miriam
Liebe Miriam,
freut mich zu hören Deine Schilderung. Meine Frau hat mal im Rahmen eines kirchlichen Projektes in einem Behindertenheim in Israel gearbeitet (übrigens später auch in zwei Jahren für mehrere Monate in einem Kibbuz, allerdings auf eigene Initiative, was ihr sehr gefallen hat). Die Zustände in dem Heim müssen katastrophal gewesen sein, die Menschen wurden völlig vernachlässigt, sie lebten förmlich in ihrem eigenen Dreck. Das war allerdings alles in den 80ern, später soll es sich in dem Heim - vielleicht auch mit aufgrund der empörten Reaktion der jungen Besucher erheblich gebessert haben. Ich will damit nur sagen, daß es wohl auch in Israel sehr unterschiedliche Maßstäbe geben könnte. Übrigens halte ich den Kibbuz - bin selber nie dort gewesen, deshalb nur der Schilderung nach - schon für eine interessante Lebensform, sie hatte ja auch psychologische Gründe. Seinerzeit schliefen z.B. viele der "Alten" von den Kindern getrennt, da sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Holocaust nachts regelmäßig von Albträumen schreiend aufschreckten.
Das Problem sehe ich allerdings darin, daß derartige Lebensformen wirtschaftlich für sich kaum existieren können, sie müssen refinanziert werden, insbesondere, wenn ein hohes Maß an z.B. gesundheitlichem Standart gewährleistet sein soll. Das würde in unserem Land, in der jedes geringe Lebensrisiko vermieden werden soll, schnell zu einem Politikum werden. Trotzdem erscheinen mir solche Modelle gar nicht so schlecht. Früher konnten ähnliche Bedingungen oft noch im Rahmen der Großfamilie geschaffen werden. Ich bin selbst noch in einem Haus zusammen mit Eltern (selbst das wird ja immer mehr zur Ausnahme, da mehr als jede 3. Ehe der Scheidung anheimfällt) und Großeltern aufgewachsen, es bestand am Anfang sogar noch eine Art Kleinbauernhof, mit ein paar Rindern, Hühnern, Obts- und Gemüseanbau, später Schafen usw., so daß wir partiell etwas unabhängig waren. Meine Großeltern mußten nie in ein Heim und haben beide bis zum Tod zu Hause gelebt, meine Großmutter ist 92 geworden. Der Vorteil war aber, daß sie nie Schwerstpflegefälle wurden. Trotzdem bedeutetet dies für meine Eltern, daß sie bis in die "55er" nie frei waren, nach der Erziehung der Kinder sich um die Mutter/Schwiegermutter zu kümmern hatten. Wer kann das heute noch leisten in einer Zeit, in der die Familien auf zwei Gehälter meist nicht nur aus Luxus bestehen, sondern angewiesen sind?
Was dieser Begriff "Schwerstpflegefall" bedeutet, lernte ich erst in den vergangenen 10 Jahren in meiner Berufspraxis kennen. Zahlreiche Klagen und Verfahren wegen fehlender Bezahlung des Personals, Pflegemißstände, Dekubiti und "Fixierungen" etc., nicht zuletzt auch die Menthalität einiger der "Manager" machen mich äußerst mißtrauisch. Mit Grauen denke ich daran, sollte auch nur irgendjemand, der mir lieb ist, dem mal ausgeliefert sein.
Und auch privat sieht es nicht immer besser aus, Betreute lassen sich erfahrungsgemäß in ihrer Not oft ausbeuten wie eine Weihnachtsgans, das bringt auch unseriöse Machenschaften auf den Plan, vor allem solange die Alten noch nicht als geschäftsunfähig gelten. Besonders schmackhaft wird es, wenn es etwas zu erben gibt, es gibt bis heute keinen einfacheren Weg, schneller zu Geld zu kommen...prekär, wenn der plötzlich unerwartete Freund Erbe und Pfleger zugleich wird. Wohlgemerkt, das gilt sicher nicht für alle Fälle, aber ein fader Beigeschmack bleibt.
Ich finde Sibels Vorschlag vor diesem Hintergrund nicht schlecht, fürchte aber, dies wird sich in unserer modernen Gesellschaft und ihren ökonomischen Zwängen nicht machen lassen, ebensowenig wie eine Art Kibbuz.
Deshalb verbleibt in der Tat nur das Prinzip Hoffnung, d.h., nur nie zum Pflegefall werden, wie auch immer wir das bewerkstelligen wollen.
Viele - leider etwas düstere - Grüße
Zwetsche