Hoch lebe das deterministische Chaos, und so ...!
Zu dieser Debatte möchte ich auch noch meine Kommentare beisteuern.
Benjamin schrieb:
Ich postuliere:
I) Jede Ursache führt zu einer bestimmten Wirkung.
Das soll heißen: Es kann nicht sein, dass dieselbe Ursache eine andere Wirkung hat.
II) Jedes Geschehen hat (mindestens) eine Ursache.
An dieser Stelle fehlt mMn eine Klarstellung, was als "Ursache" bezeichnet wird.
Ist damit ausschließlich jeweils ein einzelner wirkender Faktor gemeint,
oder auch ein Bündel von wirkenden Faktoren?
Das Postulat-II deutet darauf hin, dass mit "Ursache" der einzelne wirkende Faktor
gemeint ist, weil ansonsten der Hinweis auf mehrere Ursachen nicht notwendig wäre.
Bei dieser Deutung trifft aber dann das Postulat-I nicht zu, weil ein bestimmter Faktor
im Zusammenwirken mit verschiedenen anderen Faktoren sehr wohl unterschiedliche Wirkungen
haben kann. Die Wirkung eines Faktorenbündels wird durch die jeweils gegebene Konstellation
von Faktoren bestimmt.
Postulat-I wäre dahingehend abzuändern, dass es auf die Konstellation von Faktoren
bezogen wird.
Benjamin schrieb:
Ich ziehe daraus den logischen Schluss:
Wenn I) und II) auf die Welt zutreffen, dann ist die Welt vollkommen determiniert.
Das will bedeuten, dass, wenn wir sämtliche Begebenheiten der gesamten Welt
in einem Augenblick kennen würden, und über alle Naturgesetze Bescheid wüssten,
wir den Ablauf der Welt bis in alle Ewigkeit vorherberechnen könnten.
(Vorausgesetzt dieses Vorherberechnen würde mit der Welt nicht interferieren.)
Das ist natürlich nur eine rein theoretische Überlegung und kann, so wie ich das sehe,
niemals auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Aber dennoch erachte ich sie für sinnvoll.
Denn es gibt logisch gesehen nur drei Möglichkeiten, dass die Welt nicht determiniert ist.
1.) Eines der Postulate oder beide treffen nicht zu.
2.) Die menschliche Logik trifft nicht zu.
3.) Ich habe einen logischen Fehler in meiner Überlegung gemacht.
Hier wäre das Konzept des deterministischen Chaos hilfreich, bei dem
die Abfolge von Ereignissen in einem System als ein komplexes Geflecht von sich
überschneidenden (d.h., wechselwirkenden) Ursache-Wirkungs-Ketten verstanden wird.
Als Analogie oder Metapher für das deterministische Chaos könnte der Filz dienen,
der aus einer Vielzahl kurzer Fasern (analog zu Ursache-Wirkungs-Ketten) besteht,
die kreuz und quer verlaufen und sich wechselseitig Halt geben.
Bei einem deterministischen Chaos ist aber keine Berechenbarkeit der Wirkung mehr gegeben,
da liegt gewissermaßen ein "unechter Zufall" vor.
LaChatte hat eingewandt:
LaChatte schrieb:
.. ich erinnere mich, bei Heisenberg gelesen zu haben,
dass es im Bereich von Quantenphänomenen so nicht gilt.
Was nicht mal geisterhafte Fernwirkungen betreffen muss,
sondern Dinge wie zB den Atomzerfall:
es gibt keine bestimmte Ursache dafür, warum ein Atom gerade in einem bestimmten
Moment zerfällt - gerechnet werden kann in dem Bereich nur statistisch,
mit grossen Mengen von Atomen und Halbwertszeiten,
aber es ist nicht determiniert, wann genau ein individuelles Atom zerfällt.
Heisenberg postuliert auch, dass es nicht daran läge,
dass die physikalische Beschreibung unvollständig sei,
oder dass da noch irgendwas nicht gefunden wurde - sondern dass es
tatsächlich Dinge gibt, die einfach so geschehen.
Der Protonenzerfall von radioaktiven Elementen wird beim derzeitigem Erkenntnisstand
als ein "echter Zufall" begriffen.
Darauf wurde zwar schon im Beitrag #6 repliziert, diese Replik steht aber in Widerspruch
zu der zitierten Feststellung Heisenbergs, sodass wir letztlich eine Glaubensentscheidung
zu treffen haben:
Heisenberg & Co oder Benjamin?
Ich tendiere zwar zu Heisenberg & Co, schließe aber auch die Möglichkeit nicht definitiv
aus, dass eines Tages dieser "echte" Zufall als unecht erkannt,
und als eine Wirkung in einem deterministischen Chaos verstanden wird.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Bei Überlegungen über den "freien Willen" sehe ich ebenfalls das Konzept
des deterministischen Chaos in einer zentralen Rolle.
Mir ist der "freie Wille" vor allem als subjektives Gefühl wichtig, als das Gefühl,
dass ich bei einem bestimmten Entschluss meiner eigenen inneren Verfasstheit folge,
und nicht einem mir bewussten äußeren Zwang.
Wenn sich dieses Gefühl bei genauerer Betrachtung als eine Illusion entpuppt,
und alle meine Entscheidungen in letzter Konsequenz als determinierte Wirkung
in einem deterministischen Chaos zu begreifen sind, so habe ich damit kein Problem.
Das subjektive Gefühl, mich "aus freiem Willen" so entschieden zu haben,
ist für mich trotzdem real.
Das musste auch einmal in aller Klarheit gesagt werden.