AW: Das Wesen des Menschen
Hinsichtlich des Themas Transzendenz hab ich ja schon einen Blogeintrag geschrieben.
Möglicherweise erfährt der Mensch sich auch im Gewissen als transzendent. Denn im Gewissen bezieht sich der Mensch nicht nur auf sich selbst, sondern überschreitet diesen Bezug zugleich, indem er der den Anspruch des Gewissens als unbedingt gültig erfährt.
lg
'Gewissen' ist ein gleichermaßen sehr abstrakter
wie auch sehr bedeutungsschwerer Begriff.
Das muss (ähnlich wie beim 'Schutzengel') nicht stören,
sorgt aber grundsätzlich für beträchtliche Störanfälligkeit.
Angesichts dessen stellt sich mir die Frage,
inwieweit es überhaupt sinnvoll ist, mit Begriffen zu operieren,
die einerseits nicht konkretisierbar sind,
andererseits aber ganze Bedeutungsgeschwader
im Schlepptau mit sich führen.
Es geht mir jetzt grade wie so oft:
Grundsätzlich könnte ich Dir zustimmen.
Auch ich denke, dass jene innere Stimme -
was immer sie jeweilig erzählt -
gleichermaßen Ausdruck wie Rezeptor ist.
Irgendwas ist da.
Und mit dem, was da ist, hat's was auf sich.
Keiner von uns hat die Möglichkeit,
bzgl. dessen, was da 'unzweifelhaft' ist,
eindeutigere Aussagen zu machen.
Denn alles, was jeder von uns beitragen kann,
spiegelt letztlich nur ihn und sein Erleben.
Und wenn ich das mal zusammenfasse:
1. Es existieren für gewisse Belange
keine präzisen Ausdrucksmittel,
2. die existierenden Ausdrucksmittel
sind gleichermaßen abstrakt wie bedeutungsüberladen,
3. der Gegenstand selbst - in dem Fall das Gewissen -
entzieht sich aufgrund individueller und soziologischer Unschärfen
per se jeder allgemeingültigen Bedeutungsfestlegung,
4. die transzendente Begabung trachtet mehr nach Verwirklichung
als nach reflexivem Betrachtetwerden .....
..... also wenn ich das so ordne,
dann erübrigt sich die Frage nach dem Sitz
der Fähigkeit von Transzendenz ziemlich rasch.
Stattdessen taucht die auf:
Wenn die übliche rationale Herangehensweise
hinsichtlich des theoretischen Erfassens des Phänomens so komplett versagt,
vielleicht sollte man dann eine transzendentere Methode wählen?
Eine, die mehr der Natur des Phänomens entspricht
und somit eigentlich schon genau solcher Ausdruck davon ist,
dass man von gelebter Transzendenz sprechen kann?
Problem dabei:
Im Moment, da man sich dafür entscheidet,
geht man verloren für die Welt -
heißt es nicht genauso in der Bibel?
Was wahr ist, kann nicht geleugnet werden -
unabhängig davon, was jeweils als wahr erkannt wird.
Wer lesen kann, kann nicht mehr nicht lesen.
Wer sehen kann, kann nicht nicht sehen.
Natürlich gibt es Übungen,
diese Zwangsläufigkeiten aufzuweichen.
Aber die funktionieren nur temporär, nie wesensverändernd.
Menschsein bedeutet,
von menschlichen Möglichkeiten begrenzt zu sein.
Das Problem dabei ist nicht deren Enge,
sondern deren Weite.
Wenn ich alle Gedanken haben kann -
welche sind dann die besten?
Es gibt keine objektiv besten.
Dafür unzählig viele,
die von irgendwem als beste deklariert werden.
Egal, wie ich es drehe und wende -
ich lande immer wieder bei mir selbst.
Und kann dieses Selbstige dennoch nicht zum Maßstab erheben.
Außer insofern, als ich sagen kann:
Mir mein Selbst, Dir Deines -
auf dieser Basis lass uns schaun,
welches Land wir evtl. gemeinsam begrünen können.
Wenn nicht heute, dann vielleicht morgen.
Oder übermorgen oder irgendwann oder nie.
Es gibt keinen Grund zu Stress und Eile,
denn was auf der einen Seite grade nicht geht,
geht dafür an anderer.
Genau so funkt das mit der Begabung zur Transzendenz:
sie sucht und findet ganz von allein Wege.
In Deinem Blog-Eintrag schriebst Du
über die zeitlebens nicht endende Selbstzentriertheit.
Genau dort liegt der Schlüssel, denke ich.
In sich selbst spazierengehen können,
sich nicht als begrenzten Kasernenhof erleben,
sondern als staunend zu entdeckende unendliche Weite -
ich halte das für sehr 'gott'nahe Lebensqualität.
Für die Welt geht man dabei insofern verloren,
als man vor sich nicht mehr so tun kann,
als gäbe es auch nur irgendein endgültiges 'Programm',
eine 'Erlösungsformel', eine Rettung von außerhalb.
Nicht mal dann kann man es mehr,
wenn man in die unselige Situation kommt,
dass einem genau das abgepresst werden soll.
Es geht einfach nicht. Gibt kein Zurück.
Das große Ja-aber der Welt
ist von A bis Z ein einziges Credo an den Zweifel.
Und zwar ein Credo eines kleinen Teils dieser Welt
an seinen ihm eigenen kleinlichen Zweifel daran,
wirklich nur kleiner Teil der Welt zu sein.
Was natürlich notwendiges Sprungbrett verbaut.
Nämlich das:
Wenn ich nur kleiner Teil der Welt bin,
dann muss ich das vor nirgendwem wegretouchieren,
denn es ist meine größte Chance,
mich auf genau das zu konzentrieren,
was als essentielles Fazit übrig bleibt: auf mich selbst.
Ich liebe Herrn hylozoiks Bibelinterpretationen.
Sie berühren mich genau dort,
wo mir Kirche erst Hunger vergegenwärtigte,
um mich dann recht banal verhungern zu lassen.
Und in diesem Sinne fällt mir grade Psalm 23 ein.
Allerdings sehr hylozoik-like .....
Und um dieses viel zu lange Stabending endlich abzuschließen:
Transzendenz und Menschsein lassen sich nicht trennen.
Versucht man sich an solcher Trennung,
hat man echt viel zu tun.
Zuweilen lebenslang und überaus geregelt.
Und bedauert in solchem Fall womöglich irgendwann,
dass man soviel Angst vor Lebensrisiko hatte,
dass man nicht mal die Lilien auf dem Feld bemerkte.
Mir ist ziemlich egal,
wo genau in mir meine Transzendenzbegabung sitzt - ihr auch.
Lieben Gruß zurück!