Hallo zusammen.
Ich werde durch die weitergehende Diskussion auf dem anderen Forum immer wieder dazu gebracht, weitere Erläuterungen zu schreiben. Teilweise scheinen sie mir dann allgemein brauchbar, also auch tauglich als Verständnishilfen auf anderen Foren.
Beispielsweise eine Erläuterung zu diesem Absatz hier:
Wargole schrieb:
Für Materialisten ist die Kein-Selbst-Idee dagegen wider Erwarten keine Option. Man könnte ja zunächst meinen, dass auch irgendwelche physische Prozesse ein Pseudo-Selbst (d.h. Erfahrungen ganz bestimmter Art) erzeugen könnten. Solche physischen Prozesse liessen sich aber prinzipiell immer kopieren. Wenn man also die Funktionsweise eines Gehirns genau kopieren würde, dann gäbe es plötzlich zwei voneinander unabhängige, miteinander identische Pseudo-Selbste, und man käme wieder in die selben Probleme, die sich oben schon gestellt haben.
Meine Pseudo-Selbst / Kein-Selbst-Idee besagt, dass es an meinen phänomenalen Zuständen etwas gibt, bestimmte Eigenschaften, die notwendig zur Folge haben, dass diese Zustände nur meine Zustände sein können, dass sie also aufgrund bestimmter Eigenschaften von niemand anderem erfahren werden
können. Dies ist eine notwendige Annahme, die sich aus der zweiten der beiden Funktionen ergibt, die ich dem Selbst gegeben habe ("welche bewussten Zustände sind meine?") - denn wenn ein und derselbe Prozess hier nicht zu einer
eindeutigen Lösung führt, dann ist unklar, wie ich aus einer bestimmten Anzahl phänomenaler Zustände gerade zu meinen komme, und dann kann dieser Prozess nicht ein echtes Pseudo-Selbst erzeugen. Wenn also diese oben genannten Eigenschaften das Produkt ganz bestimmter physischer Prozesse sind, dann muss das Ausführen dieser Prozesse zu phänomenalen Zuständen führen, die automatisch die meinen sind; und wenn man nun genau denselben Prozess doppelt ausführt, dann kann das ja nicht plötzlich ein anderes Resultat zur Folge haben. Warum sollte das Resultat auch davon abhängig sein, wieviele dieser Prozesse man gerade am Laufen hat? Das kann ein einzelner dieser Prozesse ja gar nicht wissen. Folglich müsste ich mich dann als beide Gehirne erleben, was aber nicht geht, aus den bereits genannten Gründen.
-----------------------------------------
Oder zur Frage, was genau an meinen Überlegungen so wichtig sein soll:
Nun, sie haben dadurch eine gewisse Brisanz, dass durch sie die verbreitete Ansicht, dass man alles übers Gehirn und seine Funktionen erklären kann, widerlegt wird. Hervorzuheben ist auch, dass die Annahme, dass der Hirntod das Ende ist, nicht mehr begründet erscheint. Nur wenige dürfte dies kalt lassen, obschon sicherlich viele dies nicht für eine erfreuliche Erkenntnis halten würden.
-----------------------------------------
Oder dann dies:
Ich habe aus einem bestimmten Grund ein Selbst (Nr. 3 um genau zu sein) postuliert. (Und nicht einfach so, nur weils mir in den Kram passt.)
Ich erklärs jetzt mal ein wenig anders.
Im Grunde ist es ganz einfach: Dass du jetzt gerade die bewussten Erlebnisse hast, die du hast, und alle anderen, die es jetzt sonst noch gibt (meine z.B., oder die deines Nachbarn), nicht, kannst du auf genau zwei Arten deuten. Entweder du bist einfach diese deine Erlebnisse - oder du bist etwas (irgend etwas!), das diese deine Erlebnisse hat. Und dieses etwas habe ich "Selbst" genannt. Sollte dir noch eine dritte Möglichkeit einfallen, nenn sie mir bitte. Ich bin jedenfalls von diesen zwei Möglichkeiten ausgegangen.
Die erste Möglichkeit (nämlich die, dass du deine jetzigen Erlebnisse bist) ist zunächst mal, ohne weitere Annahme, extrem kontraintuitiv, da sie bedeuten würde, dass du (d.h. dein phänomenales Bewusstsein) nur einen Augenblick lang existierst, während du doch das Gefühl hast, praktisch (mindestens) dein ganzes Leben lang zu existieren. Man kann dieses Problem aber lösen, indem man annimmt, dass es eine gewisse Ähnlichkeit zwischen all deinen bewussten Erlebnissen gibt, d.h. dass dein phänomenaler Zustand jetzt auf eine gewisse Art deinen vergangenen und zukünftigen phänomenalen Zuständen ähnlich ist, ganz egal, was genau deren Inhalt ist (da dieser bekanntlich stark variieren kann), und dass du deshalb nicht einfach mal verschwindest und aufhörst zu existieren, wenn einer deiner bewussten Zustände von einem anderen abgelöst wird, dass du (d.h. dein Selbst) also die Ähnlichkeit zwischen deinen phänomenalen Zuständen bist. Dies ist mein Konzept des "Pseudo-Selbstes". Denn demnach gibt es kein substanzielles Selbst, sondern eigentlich nur deine Eindrücke - trotzdem gibt es aber eine echte phänomenale Kontinuität, der Eindruck, eine zeitliche Dauer zu haben, wird berücksichtigt und ernst genommen, und es wird etwas postuliert, das über die herkömmliche Definition phänomenaler Zustände hinausgeht, eben die Ähnlichkeit, d.h. das, was ich Pseudo-Selbst nenne.
(Btw, nota bene: Ich unterscheide in diesem Abschnitt hier zwei Arten von "Ich" (bzw. "du"): Einerseits einfach mal dein Bewusstsein, andererseits das Selbst, das hier offensichtlich nicht mit dem Bewusstsein identisch ist, und unter Umständen (im Fall zwei) sogar stets ausserhalb des Bewusstsein liegt.)
Der zweiten Möglichkeit zufolge bist du ein dauerhaftes Etwas, das deine bewussten Zustände hat. Zunächst mal ist ganz offen, was das sein könnte. Man kann aber theoretisch unterscheiden zwischen Substanz auf der einen und "Form"/Eigenschaften auf der anderen Seite. Die These, dass es eine physische Substanz ist, habe ich persönlich für recht naheliegend gehalten. Denn man nimmt ja an, dass deine bewussten Zustände Hirnzustände sind, also Zustände deines Gehirns. Das Gehirn hat demnach also diese Zustände. (Die Annahme, dass dasjenige Etwas, das ich hier "Selbst" nenne, das Gehirn ist, wird unbewusst übrigens sicherlich von vielen Leuten geglaubt. Sie nennen das einfach nicht "Selbst".)
Dass es sich um ein Bündel von konstant bleibenden Eigenschaften handeln könnte, habe ich ursprünglich nicht erwähnt, aber ich halte es für falsch, da ein Eigenschaftsbündel wie gesagt kopiert werden kann. Wenn wir plötzlich zwei identische Selbste haben, von denen ich (also mein Bewusstsein) aber nur eins sein kann, dann ist nicht mehr klar, welche bewussten Zustände meine sind. Und so ein Selbst-Konzept könnte nicht die Funktion erfüllen, für die ich die Existenz meines Selbst-Konzepts erst postuliert habe. Bei einem Substanz-Selbst wäre das Anfertigen einer Kopie kein Problem, da jede Kopie ein anderes Selbst ist, da die Substanz, auf die es dann ankommt, bei einer Kopie nicht diesselbe ist. Wenn mein Selbst aber nicht mit einer Substanz identisch ist, sondern lediglich mit bestimmten Eigenschaften, dann kann man schlicht nicht mehr sagen, dass eine Kopie dieser Eigenschaften trotzdem ein anderes Selbst ist.
--------------------
BTW: Ich wollte nie behaupten, dass
alles an einem selbst gleich bleiben müsse, was ja auch eine ziemlich idiotische Forderung wäre. Nur das, was der Träger der Identität ist, das muss gleich bleiben. Also wenn er ein paar Teilchen im Gehirn wäre, dann könnten sich die Eigenschaften sowieso alle ändern, und die restlichen Teilchen könnten alle ersetzt werden. Wenn er ein Bündel von Eigenschaften wäre, dann müsste nur dieses Bündel gleichbleiben, alle anderen Eigenschaften nicht. (Die letzteren beiden Optionen habe ich aber widerlegt.) Wenn er eine Ähnlichkeit zwischen meinen bewussten Erfahrungen wäre, dann müsste diese Ähnlichkeit bestehen bleiben.
Manche könnten einwenden, dass
nichts konstant bleiben muss, solange es einen kontinuierlichen Wandel gibt, und dass allein dadurch ein Ding dasselbe bleibt, das es war. Ich halte das für Unsinn, denn es scheint nur oberflächlich betrachtet halbwegs plausibel, weil wir normalerweise in den Objekten in unserer Umgebung eine zumindest scheinbare substanzielle Kontinuität wahrnehmen, und deshalb setzen wir sowas jedes Mal unbewusst voraus, wenn wir uns ein dauerndes Objekt vorstellen.
Wargole