Hallo Robin.
Robin schrieb:
Wir müssen das auseinander nehmen: Wahrnehmen, Gedanken, Erinnerung und Gefühle.
Wahrnehmen ist, folgt man Niklas Luhmann, die Hauptaufgabe des Bewusstseins. Im beständigen Wahrnehmen operiert es momenhaft in der Gegenwart. Dies ist aber nur möglich, wenn es das Wahrgenommene ständig mit Bekanntem (Gedächtnis) abgleicht, dabei auf Informationsgehalt überprüft und extrem spontan "entscheidet", welcher winzige Bruchteil davon erneut im Gedächtnis behalten werden soll. "Entscheiden" in Anführungszeichen, weil das natürlich über Schmemata läuft, die wir garnicht kontrollieren können.
Man könnte also sagen: Bewusstsein ist Wahrnehmen vor dem Hintergrund des Gedächtnisses mit der Möglichkeit, dies auf eine unbekannte Zukunft zu projizieren und entsprechend (bewusste) Entscheidungen zu fällen.
Diese Vorstellung vertritt also ein anderes Paradigma: Die Wahrnehmung wird in den Vordergrund gerückt. Das NAchdenken ist zweitrangig (aber natürlich unbedingt notwendig).
Ich habe mit der Reihenfolge gar nicht das Nachdenken in den Vordergrund rücken wollen.
Du vertrittst hier eine etwas andere Bedeutung von Bewusstsein, als die, welche ich im Sinn hatte. Für mich ist der phänomenale Aspekt entscheidend. Bewusstsein ohne phänomenalen Aspekt ist kein richtiges Bewusstsein, in meinem Sinn. Und für meinen hier verwendeten Bewusstseinbegriff ist das Nachdenken sogar entbehrlich. Ich sprach also nicht ausschliesslich vom menschlichen, reflektierenden Bewusstsein, sondern schloss auch das Bewusstsein von Tieren mit ein, also auch Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein.
Wahrnehmen, sich etwas Erinnertes vorstellen, etwas fühlen, das hat ja alles einen phänomenalen Aspekt, auch wenn es funktionale Unterschiede zwischen diesen Dingen gibt, so fühlen sie sich doch alle ähnlich an. Gedanken sind nicht gerade klassischerweise Dinge, die man erwähnt, wenn man jemandem phänomenales Bewusstsein erklären will, und es scheint möglich, auch einer Maschine ohne phänomenale Zustände Gedanken zuzuschreiben, Stichwort künstliche Intelligenz. Andererseits erfahre ich ja subjektiv wenn ich einen Gedanken habe, ich erlebe auch mein Denken, von daher scheint auch das Denken einen phänomenalen Aspekt haben zu können.
Robin schrieb:
Das Momenthafte liegt also im Einbeziehen der Zeit. Tot ist das Bewusstsein, wenn jeder Moment wie der vorige ist. Denn dann gibt es keinen Abgleich mehr. Kein Vergessen und Erinnern mehr. Keine Wahrnehmung mehr. Tod.
Naja, deiner Definition zufolge. Aber mir will das nicht ganz einleuchten. Wenn man sich vorstellt, gewissermassen über ein bestimmtes Objekt zu meditieren, so in der Art, wie es die Anhänger bestimmter asiatischer Religionen tun, dann kann man, wenn man gut ist, das Denken und Fühlen praktisch abstellen, auch das sich erinnern wird abgestellt, und dabei konzentriert man sich nur auf ein bestimmtes Objekt, das man entweder vor sich wahrnimmt, oder das man sich vorstellt. Diese Wahrnehmung oder Vorstellung bleibt völlig unveränderlich. Dann hat man über einen gewissen Zeitraum hinweg einen konstanten, unveränderlichen Eindruck, eine unveränderliche phänomenale Erfahrung.
Wargole schrieb:
Aber was genau determiniert jetzt, welche bewussten Erlebnisse die meinen sind, und welche die deinen?
Robin schrieb:
Eben nur die Wahrnehmung. Das schließt alle Zweifel aus.
Wessen Wahrnehmung? Die Wahrnehmung meines Gehirns?
Ich könnte meine Frage auch vereinfachen: Was determiniert, welche Wahrnehmungen die meinen sind, und welche die deinen? Da kommt die Frage nach dem ins Spiel, was ich Selbst genannt habe. Also: Ist das Selbst deiner Ansicht nach das Gehirn?
Robin schrieb:
Wobei aber klar sein muss, dass Wahrnehmungen interne Operationen des Bewusstseins sind. Einwand: Wieso, sie kommen doch von außen?!
Was von außen kommt, ist lediglich ein Reiz über unsere Sinne. Erst wenn dieser Reiz in etwas umgewandelt wird, was unser Bewusstsein verarbeiten kann (etwa: den Reiz des Auges in die Wahrnehmung: "Rotes Auto"),
War mir schon klar. Allerdings würde ich die Umwandlung des Augenreizes in den Eindruck eines roten Farbkleckses, der dann in der Folge als rotes Auto identifiziert wird, nicht als interne Operation des Bewusstseins betrachten, da ja erst der rote Farbklecks bewusst, und damit Teil des Bewusstseins ist.
Robin schrieb:
Ich bezweifle nur, dass wir auch nur ein äußeres Erlebnis genau gleich wahrnehmen. Du musst nicht farbenblind sein, um das "Erlebnis" rotes Auto anders wahrzunehmen.
Ja, das ist durchaus auch meine Ansicht.
Robin schrieb:
Die Tatsache, dass Erlebnisse niemals im Außen liegen, sondern stets im Innern ist allerdings schon früh reflektiert worden; teilweise bei den Griechen; bei Boetius; bei Schopenhauer (Welt als Wille und Vorstellung).
Dass der Gedanke schon so alt ist, war mir dagegen nicht ganz bewusst. (Ich verband das immer besonders mit Kant, aber der hat ihn anscheinend nur besonders fruchtbar weiterverwendet.)
Besonders eindrücklich kommt das ja in Klarträumen und in psychedelischen Drogentrips zu Tage. Da erlebt man bewusst, wie eine ganze Welt offensichtlich in einem selbst entstehen kann (wie es eigentlich immer der Fall ist). Für mich war so ein Klartraum vor ein paar Jahren ein ziemlicher Augenöffner, der mich von der Richtigkeit dieser Idee überzeugt hat.
Robin schrieb:
Das Identischsein (oder: die Identität
) liegt nur im Aufrechterhalten der Konstruktion einer Identität. Das Selbst selbst
ist also nur eine Vorstellung - aber eine sehr stabile, faszinierende und wohl auch noch rätselhafte. Wie kommt es zu der Schließung kognitiver Prozesse zu einem Selbst-Bewusstsein? Kognitive Prozesse gibt es ja auch bei Tieren: Sind also Vorformen, Übergangsformen, Unterformen von Bewusstsein denkbar?
Also, ich muss hier einmal in aller Deutlichkeit festhalten, dass es mir
nicht ums (spezifisch menschliche) Selbst-Bewusstsein geht.
Das Selbst (d.h. was ich damit meine) als Konstrukt, als blosse Vorstellung, ist zwar ein oft geäusserter Gedanke. Grob skizziert wird die Sache dann in der Regel übers Gedächtnis erklärt: Ich im jetzigen Moment betrachte mich als identisch mit der Person, die ich mich erinnere gewesen zu sein, weil das halt so meine Erinnerungen sind, und dabei ist es irrelevant, ob es da wirklich eine Identitätsbeziehung gibt, oder nicht. Solange ich mich jetzt erinnere, glaube ich an eine Identitätsbeziehung, und so wird die Idee des Selbsts konstruiert. Wenn es aber
nur ein Konstrukt, eine Idee ist, dann heisst das konsequenterweise, dass es eben nicht wirklich eine Identitätsbeziehung gibt. Dann gibt es mich nur jetzt, und zwar in Form meines jetzigen Bewusstseins. Was mein Körper damals erlebt hat, das habe nicht ich erlebt, sowenig wie ich erlebe, was mein Nachbar jetzt erlebt. Man könnte sagen, damals, das war vor meiner Existenz. Unnötig zu sagen, das das sehr kontraintuitiv ist. Und ich habe es eben am Anfang meines Textes zur voraussetzenden Annahme gemacht, dass es die Identitätsbeziehung wirklich gibt.
Robin schrieb:
Ich glaube, die hier skizzierten Gedanken widersprechen deinen Überlegungen nicht. Man muss nur die Zeitdimension in das Modell mit einbeziehen.
Die Zeitdimension ist meiner Meinung nach der Kern des Problems. Gäbe es keine Zeit, hätte man nicht das Problem, die transtemporale Persistenz erklären zu müssen, und dann gäbe es einfach einen Haufen bewusster Eindrücke, von denen jeder eine Ansammlung ist.
Robin schrieb:
Deine Überlegungen des ersten Beitrags (warum gibt es nicht Gehirne mit zwei Bewusstseinen etc.) sind m.E. mit der Vorstellung abgedeckt, dass sich Bewusstsein und Gehirn evolutionär zusammenentwickelt haben und zwei Bewusstseine in einem Hirn wenig überlebnsfähig wären - derjenige wäre einfach "verrückt" und handlungsunfähig...
Nein, da hast du mich nun ganz falsch verstanden, denn was ich mit dem Selbst meine, das ist eben nicht identisch mit dem Bewusstsein.
Robin schrieb:
(Ich weiß nicht, was du mit "Funtionalismus" meinst, ich kann ja mal googeln.)
Funktionalismus, eine der ganz grossen Richtungen in der Philosophie des Geistes. Bei Wikipedia gibt es einen recht ausführlichen Artikel dazu.
Robin schrieb:
Zur Verdeutlichung kurz skizziert, wie sich derselbe Ansatz beim System der Kommunikation darstellt:
Wenn sich zwei Menschen unterhalten, findet Kommunikation statt. Verlässt nun einer den Raum, wo ist dann die Kommunikation hin? Mit ihm gegangen? Nein, sie hätte ja auch bei dem anderen Menschen bleiben können. Ist sie in die Gedächtnisse übergegangen? Nein, denn da wären sie ja offensichtlich Teil des Bewusstsein, kognitive Prozesse. War die Kommunikation die Schallwellen und ist sie mit diesen verflogen? Nein, denn man hätte sich ja auch schreiben oder per Zeichensprache verständigen können.
Die Kommunikation war offensichtlich etwas "Drittes", das nur da war, wenn beide Menschen da waren, aber dennoch nicht mit ihnen identisch, in ihnen materialisiert und in dem Moment, wo ihr Zeitstrahl unterbrochen wird "tot".
Um in dem Bild zu bleiben, könnte man Bewusstsein als Interaktion zwischen Trilliarden von Gehirnzellen sehen, die sich deren aber nur als Medium bedient, um sich zeitlich-prozessual fortzupflanzen.
Ja, das ist zugegeben ein sehr hübsches Bild, allerdings geht es an der Problematik, die ich ansprechen wollte, vollständig vorbei: Du sagst es schon selbst, es dreht sich da ums Bewusstsein. Nur meine ich eben, wie schon erläutert, nicht einfach das Bewusstsein, wenn ich vom Selbst rede. (Es hat schon einen Sinn, dass ich den Begriff Selbst (von mir auf meine Weise spezifiziert) verwende und nicht einfach den besser bekannten, weit häufiger diskutierten Begriff Bewusstsein. Versuch also vielleicht nochmal genauer zu lesen, was ich schrieb, und / oder frag wenn dir etwas unverständlich oder nicht nachvollziehbar erscheint.)
Wargole