Hallo zusammen.
Ich hatte mir eine kleine Auszeit genommen. Nicht weil ich nicht mehr weiter wusste, sondern weil ich keine Lust hatte. Diskussionen in Foren laufen einem schliesslich nicht davon...
Aber gut, es geht weiter.
Also zunächst mal muss ich festhalten, dass in den letzten paar Beiträgen wieder von einem anderen Selbst die Rede war, als von dem das mir vorschwebt. Dies nur als Hinweis.
Robin schrieb:
Ich denke schon, dass man beweisen kann, dass es ein Identischsein über dei Zeit nicht gibt (oder man kann sagen: alle Beobachtungen sprechen dafür). Man kann das übrigens auch ganz intuitiv ausdrücken ("man springt nicht zweimal in den gleichen Fluss").
Schon wegen der Eigendynamik kleinster Teilchen (brown'sche Bewegung)ist stets alles in Veränderung; Zellen werden regeniert; Gehirnmuster ändern sich; wir wachsen, schrumpfen, ändern Ansichten, Gewohnheiten, Fähigkeiten lassen nach, Gedächtnis wird durch Aktualisierung verfälscht usw.
Grundsätzlich hast du erst mal recht.
Wie die alten Griechen könnten wir die physischen Gegenstände (rein theoretisch!) in "Stoff" und "Form" (im weitesten Sinn, also Muster, Struktur, Information, Eigenschaften usw.) zerlegen.
Und egal, ob wir nun die Stoffseite betrachten, oder die der Form - alles verändert sich. Ich meine, insbesondere an einem konkreten Menschen.
Betrachten wir zuerst die Stoffseite: Die Zellen des Körpers werden mit der Zeit durch frische Zellen ersetzt. Allerdings habe ich bei mehreren Gelegenheiten gelesen, dass das nicht auf alle Zellen des Gehirns zutrifft. Manche Hirnzellen bleiben demnach das Leben lang dieselben, und werden auch nicht ersetzt, wenn sie verloren gehen. (Möglich, dass die Alzheimerforschung das mal ändern kann.) Nichtsdestotrotz beweist das aber keine stoffliche Identität im Gehirn, da auf der subatomaren Ebene alles im Fluss ist. Ein Atom besteht zwar aus dem Kern und ein paar Elektronen. Elektronen sind aber anscheinend nicht die kleinen, punktförmigen, festen Objekte, als die man sie sich gewöhnlich vorsetllt. Sie sind eher eine Wolke aus Wahrscheinlichkeiten. Der Atomkern wiederum besteht bekanntlich aus Protonen und Neutronen, welche ihrerseits aus Quarks und Gluonen zusammengesetzt sind. Diese Teilchen werden alle 10^-23 Sekunden ersetzt und ausgetauscht (an der
Funktion des Atomkerns ändert dies aber nichts). Also scheint es eine stoffliche Kontinuität nicht geben zu können. Am ehesten könnte man vielleicht meine Beschreibung der Elektronen kritisieren. Die Quantenmechanik ist zwar sehr erfolgreich, aber die genaue Interpretation derselben bleibt umstritten. Zum Beispiel David Bohms Modell zufolge sind Elektronen tatsächlich kleine, punktförmige Objekte, welche für eine ziemliche Weile existieren. Es erscheint jedoch etwas fragwürdig, seine Identität an einer Ansammlung von Elektronen des Gehirns festmachen zu wollen. Allerdings ist dieser fragwürdige Eindruck leider keine echte Widerlegung, dass es nicht doch so ist.
Und wenn man sich dann unserer Form (im weitesten Sinne) zuwendet, dann kommt man auch nicht zu einer Lösung, da sich das alles auch wandelt, über die gesamte Lebensdauer. Zwar nicht so schnell wie die Substanz, und ab einem gewissen Alter bleibt das Muster relativ stabil, die weiteren Veränderungen (besonders am Hirnaufbau) bleiben vergleichsweise gering, was aber nicht heisst, dass es keine gibt. Und gerade im frühen Lebensalter gibt es bekanntlich sehr starke Veränderungen.
Robin schrieb:
Trotzdem kann nicht abgestritten werden, dass es die Idee der Identität oder des Identischseins gibt. Wir können nichtz abstreiten, dass Kinder als Erwachsene wiedererkannt werden oder dass Zeugen (manchmal) einen Unfallhergang identisch beschreiben.
Ich denke, wir müssen dieses Identischsein als Muster ansehen, das wiedererkannt wird. Mithin als eine etwas komplexere Information. EIne Information, eine "5" z.B. ist stets als Information mit sich selbst identisch unabhängig, ob sie digitalisiert, auf dem Blatt geschrieben in den Sand gezeichnet oder aus Knete geformt wird. Sie ist von der Materie unabhängig. Warum? Weil sie eben kein "Ding" ist - sondern eine Differenz. Sie ist eine Beobachtung, die durch Unterscheidung gewonnen wird - wie alle Beobachtungen.
Naja, ich habe erhebliche Zweifel, ob ich ein kleines Kind und einen Erwachsenen ohne weiteres als dieselbe Person identifizieren könnte, selbst wenn ich ein perfektes photographisches Gedächtnis hätte. Normalerweise kann man das im eigenen Umfeld schon, weil man die betreffenden Personen nicht für Jahrzehnte aus den Augen verliert, und weil es einen kontinuierlichen Wandel gibt. Wenn man die Person einmal mit, sagen wir, 8 Jahren gesehen hat, und einmal mit 20 oder 40, dann ist das Wiedererkennen extrem schwer. Wenn man aber gewisse Etappen des Wandels miterlebt hat, dann ist es erheblich einfacher.
Aber trotzdem hast du recht, dass ein grobes Muster konstant bleibt. Ich bezweifle allerdings stark, dass dieses konkrete Muster, das übers ganze bewusste Leben hinweg wirklich konstant bleibt, individuell genug ist, um beispielsweise auch eineiige Zwillinge voneinander zu individuieren. Wenn nicht, kann das Selbst (in meinem Sinn) eines solchen Zwillings nicht dieses Muster sein. (Dies nur am Rande, da manche Autoren das Selbst [in meinem Sinn] als ein spezifisches Informationsmuster betrachtet haben.)
Robin schrieb:
Du, Wargole, hast ganz richtig die Konsequenz eines solchen Betrachtung gezogen: Man lebt im Jetzt.
Da muss man aber aufpassen, dass man das richtig versteht!
"Ich lebe im Jetzt" kann nämlich auf zwei Arten gelesen werden. Meistens versteht man es aber auf die Art, die ich gerade nicht meine. "Ich lebe im Jetzt" sagt einer, der spontan ist, der immer nur aus der gegenwärtigen Situation entscheidet, der keine Pläne hat, und der den Moment auskostet, ein Hedonist, etc., etc. Ich meinte dagegen, dass man nur genau JETZT real existiert. Dass heisst, jetzt, wo ich diese Zeile schreibe, bin ich wirklich. Und wenn ich ein paar Sekunden warte, bis der gegenwärtige Moment verstrichen ist, ... moment... JETZT zum Beispiel, jetzt bin ich NICHT mehr existent. Jetzt bin ich Vergangenheit. Doch dann bemerke ich... Moment mal... Das ist aber ein Widerspruch in sich. Wenn ich dies hier schreibe, dann bin ich doch sicher nicht nonexistent, ganz im Gegenteil! Wenn ich dies hier JETZT schreibe, kann ich nur folgern, dass ich JETZT existiere. Aber jetzt kann ich nicht mehr sicher sein, dass ich den ersten Gedanken, den ich vor ein paar Augenblicken getippt habe, wirklich selber getippt habe. Ich erinnere mich zwar stark daran, dass ich es erlebt habe. Aber vielleicht ist das eine Illusion, die ich meinem Gedächtnis, oder besser dem Gedächtnis meines Körpers verdanke. Wenn ich wirklich nur JETZT existiere, dann
muss es eine Illusion sein. Dann hat mein Körper das zwar geschrieben, aber ich habe es nicht selbst miterlebt. ... Und jetzt sind schon wieder ein paar Augenblicke verstrichen, "meine" Gedanken, "mein" Gehirnzustand haben sich verändert. Und wenn ich nur genau JETZT existiere, dann kann ich das alles, was ich da scheinbar eben noch geschrieben habe, nicht selbst geschrieben haben. Das bilde ich mir dann nur ein.
Will sagen: Es ist sehr kontraintuitiv, da ich erlebe, wie die Zeit fliesst. Die Zukunft wird ständig zur Gegenwart, und was eben noch Gegenwart war, driftet in die Vergangenheit. Wie kann das sein, wenn ich nur einen Augenblick lang existiere? Natürlich kann man jeden zweiten Augenblick in Frage stellen, dass man das wirklich erlebt hat, was man sich erinnert eben gerade noch erlebt zu haben. (Oder, wenn du recht hast mit deiner Behauptung, nur gerade JETZT zu existieren, dann wäre es natürlich nur scheinbar jeder zweite Augenblick.) Genauso ist es natürlich legitim, zu bezweifeln, oder gar zu bestreiten, dass man den nächsten Augenblick erleben wird.
Aber ich sage: Wenn man ständig, andauernd, konstant von Morgen bis Abends das Gefühl hat, dass die Zeit gleitet, dass die Zukunft ständig für uns Gegenwart wird, d.h. dass unsere subjektive Zeit weitergeht, dass sie wider erwarten einfach nicht enden will (zumindest vorerst nicht) - dann kann man doch etwas Mühe haben, zu glauben, dass man WIRKLICH nur einen Augenblick lang existiert und keinerlei zeitliche Ausdehung besitzt. Wenn man sich aufmerksam immer wieder fragt, ob man das scheinbar eben noch erlebte wirklich erlebt hat, und besonders, wenn man die Aufmerksamkeit auf die allernächste Zukunft richtet, die immer gerade dabei ist, Realität zu werden. Metaphorisch: Der Film will nicht reissen.
Man muss sich das mal wirklich bewusst machen: Meine ganze scheinbare, jahrzehntelange Erfahrung, mein ganzes Leben, all das ist eine verdichtete Illusion in einer Existenz, die in Wirklichkeit nur ein paar Sekunden dauert? Alles, der ganze subjektive Fluss der Zeit, über Tage und Monate hinweg, und immer wenn man wieder innehält und sich fragt - dies alles existiert für mich nur in
einem Moment von ein paar Sekunden, meinem einzigen Moment? Wenn das nicht unglaublich ist, dann weiss ich nicht mehr, was sonst noch unglaublich sein soll.
(Selbstverständlich bestreite ich nicht, dass die Inhalte des Bewusstseins (in der Regel) ständig im Fluss sind. Aber ich denke, etwas bleibt doch gleich. Allerdings nicht ein bestimmtes Objekt unserer Wahrnehmung.)
Wenn ich nur einen Augenblick lang existiere, dann ist es ja wohl so, dass ich einfach mein momentanes Bewusstsein bin, d.h. die Summe dessen, was mir jetzt gerade bewusst ist, und sonst nichts weiter. Weder mein Körper, noch irgendein dauerhaftes Selbst. Das Bewusstsein ändert sich aber, und sobald es sich verändert hat, existiere ich nicht mehr. Alle ausgefeilten Gedankenspielereien können daran nichts ändern. Wenn ich Bewusstseinszustand A bin, dann kann ich nicht auch B sein, denn A ungleich B. Wenn A nicht mehr da ist, bin ich weg, d.h. geistig tot. B wird (aufgrund des Gedächtnisses) allerdings glauben, A erlebt zu haben, was aber nicht wahr ist. Aber wie auch immer - für mich wird das, was B glaubt (oder auch nicht glaubt), keinen Unterscheid machen, da ich dann nicht mehr existiere.
Robin schrieb:
Ich finde das nicht deprimierend.
Je nun, deprimierend finde ich diese Gedanken ganz und gar nicht. Und selbst wenn ich es täte, dann wäre das ja wohl kaum ein Argument. (Für mich jedenfalls nicht.)
Nein, ich kann es schlicht und einfach nicht glauben! Mein Glaube, dass ich eine zeitlich ausgedehnte Existenz habe, dass ich ein ganzes Leben erlebe (zumindest bis zum körperlichen Tod!), und nicht nur einen kurzen Augenblick, der ist so stark, dass ich die Zweifel einfach nicht ernst nehmen kann.
Robin schrieb:
Sondern herausfordernd, anders zu denken. Eine Möglichkeit bietet hier die Systemtheorie mit ihren momenthaften, selbstreferentiellen Systemen.
???
Robin schrieb:
Diese Theorie ist so ausgearbeitet und so gut empirisch belegt, dass man schon wissen kann, dass es eine Identität (außer als Beobachtung - Zweit.Seiten-Form) im absoluten Sinn nicht gibt.
Wie will die Theorie denn die Existenz unphysikalischer Selbste widerlegen? Das geht nicht.
Davon abgesehen spricht eben einiges in der Introspektion doch für die Annahme einer Identität in einem gewissen Sinn, siehe unter anderem oben.
Aber auch hier unten:
Der Punkt ist hier, dass die Frage der Identität von aussen betrachtet, d.h. von der Perspektive einer dritten Person, nicht das ist, was mich hier interessiert.
Ich muss mal ein paar Dinge ansprechen, die eigentlich völlig klar und selbstverständlich sind, die aber trotzdem vielen Leuten nicht bewusst sind:
Es gibt einen
gewaltigen Unterschied zwischen einer bewussten Erfahrung, die ich selber mache, und einer bewussten Erfahrung, die jemand anders macht. Erstere erlebe ich subjektiv voll und ganz, und von letzterer bekomme ich subjektiv rein gar nichts mit, nada. Letztere ist für dich
subjektiv also identisch mit Nichts.
(Erläuterung für Skeptiker, ganz in Klammern: Du weißt, bzw. glaubst natürlich, dass sie nicht Nichts ist, da du einem anderen Menschen die subjektive Erfahrung nicht absprichst. Aber für dich, aus deiner subjektiven Perspektive ist sie so gut wie nichts, weil du keinen Unterschied bemerken würdest, wenn es sie nicht gäbe [angenommen, dass du die betreffende Person weder kennst noch wahrnimmst, was in der Mehrzahl der Fälle zutrifft].)
Genauso nimmt man an, dass es (aus der eigenen subjektiven Perspektive) einen
gewaltigen Unterschied gibt zwischen dem Zustand Leben und dem Zustand Tod, bzw. den Zustand vor der Geburt. Ersteres heisst, man kann bewusste Erfahrungen machen – letzteres heisst, es gibt nichts (mehr), keine Erfahrungen, nix, nada.
Beide Beobachtungen zeigen nun unmissverständlich, dass es scheinbar keinen zwingenden Grund gibt, dass du überhaupt etwas erlebst.
Die Welt und sogar dein Körper könnten problemlos funktionieren, ohne deine bewussten Erfahrungen ("jemand anders" könnte die Perspektive deines Körpers einnehmen). Und es mag Milliarden von bewussten Erfahrungen geben, und du könntest trotzdem tot oder nie gewesen sein und nichts davon mitbekommen.
Nur jetzt gerade ist es offensichtlich (egal warum) so, dass du etwas erlebst. Die Tatsache, dass dein Körper morgen auch etwas erleben wird (wenn er nicht vorher sterben oder ins Koma fallen sollte), scheint aber nicht im Geringsten zu garantieren, dass dein subjektiver Zustand morgen nicht dem eines Toten entspricht, d.h. sie garantiert nicht, dass es morgen nicht der Fall ist, dass es zwar Erfahrungen gibt, welche aber alle für dich subjektiv NICHTS sind. Die Erfahrungen, die dein Körper machen wird, werden (im Normalfall) übers Gedächtnis des Körpers mit deinen jetzigen Erfahrungen verbunden sein. Wirklich niemand würde also einen Unterschied bemerken, und trotzdem könntest du das alles nicht mehr miterleben. Du könntest also im wahrsten Sinn des Wortes tot sein, und das zukünftige Bewusstsein deines Körpers würde glauben, deine jetzigen Erfahrungen selbst erlebt zu haben.
Die Existenz eines Gedächtnisses und eines Identitätskonstruktes kann also nicht im geringsten bewirken, dass die zukünftigen Erlebnisse deines Körpers für dich nicht nichts sind.
Mal Hand aufs Herz. Glaubst du wirklich, dass du den morgigen Tag nicht erleben wirst?
Und wenn ja, warum kümmerst du dich dann um deine Zukunft (bzw. die deines Körpers)? Aus reinem Altruismus? Müsstest du konsequenterweise sagen.
Wargole