Original geschrieben von Gisbert Zalich
Schön. Und wie willst du Gerechtigkeit DUCHSETZEN, wenn nicht per Gesetz?
Dann klagst du den Mangel eines DURCHSETZUNGSVERMÖGENS an! Nicht aber das Gesetz selber!
Gysi
a) Gerechtigkeit ist in uns drin ... sie braucht nicht durchgesetzt zu werden ...
Da liegt unsere eigentliche Meinungsverschiedenheit ...
Werden Menschen gerecht behandelt, werden sie gerecht handeln ...
Ich gebe Dir mal ein konkretes Beispiel aus meinem Alltag ...
Ich arbeite auf einer Taxi-Zentrale. Wir sind ca. 15 Zentralisten ... zu unserem Job gehört nicht nur die Auftragsannahme, sondern auch die Abgabe über Funk an ca. 320 Taxen bzw. Taxifahrer ...
Ich habe vor 3 Jahren dort angefangen und die das erste halbe Jahr durfte ich keinen Funkdienst machen, erst perfekte Annahme, dann wirst Du auf die Kollegen losgelassen. Alle haben mir eingetrichtert: Wenn Du Dich nicht durchsetzt, bis Du verratzt und verkauft, die machen dann mit Dir,was sie wollen ...
Unter Durchsetzen verstehen meine Kollegen (drinnen), Unterdrücken, für dumm verkaufen, selbst keine Fehler zugeben, Zitat: "Das geht die da draußen nichts an, was hier drinnen läuft", Strafen verhängen, indem man die Fahrer draußen anschwärzt, jeder kleinste Fehler wurde geahndet ...
Ich sah nur Krieg und habe mir gedacht: Wie willst Du das durchstehen ?
In der Funksprache gab es kein "Bitte" und "Danke" ... nur Befehlston ... Es wurde viel gebrüllt und ich habe immer nur gedacht: Ogott, ogott ... wie kann man so mit Menschen umgehen, dass bringe ich nicht ...
Die Fahrer draußen waren unfreundlich, frech, unverschämt, gaben einfach keine Antwort, wenn sie angesprochen wurden, sie waren undiszipliniert und hielten sich nicht an die Regeln ...
Außer gekeife von drinnen und sinnlos verhängte Strafen, die zwar (finanziell) weh taten, aber mit Heldenmut bezahlt wurden, gab es keine Konsequenz ... "Der antwortet nicht - das ist ein Blödmann usw." waren die einzigen Kompensationen, die statt fanden ... Alle - Mitarbeiter drinnen sind krank ... die eine hat keine Stimme mehr, zwei andere hochgradig Zucker, viele leiden unter Schlaflosigkeit und Nervosität usw.
Und täglich kam wieder einer der Chefs und versuchte per Regeln, die bei Nichteinhaltung mit Geldbußen belegt sind, die Situation zu verbessern und mit jeder Regel rebellierten die Fahrer draußen noch mehr ... Es war der pure Hass ... Es war Krieg ...
Draußen die mußten perfekt sein, immer freundlich zu den Zentralisten und zu den Fahrgästen und drinnen die hatten Narrenfreiheit ... nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil sich einfach niemand mehr was anderes vorstellen konnte ...
Nachdem ich mir das - wie gesagt - ein halbes Jahr angesehen habe, war ich dann dran ...
Ich habe mich aus dem Kreislauf aufgeschlossen, war freundlich, aber bestimmt, habe einfach vertraut, dass die draußen schon wissen, was sie tun ... Strafen habe ich abgeblockt, erklärt und versucht Verständnis aufzubringen ... Danke und bitte war für mich selbstverständlich, genau wie mal Scherze machen und alles mit Humor nehmen ...
Fazit:
Die Fahrer wurden zu Lämmern ... es gibt kaum Fehlfahrten, es kommt selten mal zu Fahrtenklau ... die Fahrer geben sich wieder Mühe, niemand schreit, niemand ist unverschämt, alle sagen Danke und Bitte und ich sage morgens 200 mal "Guten Morgen" ...
Du kannst Dir sicher vorstellen, dass ich damit bei meinen internen Kollegen nicht auf Gegenliebe gestossen bin ... denn sie waren und sind immer noch davon überzeugt, dass es an den Fahrern liegt ... und bei ihnen hat sich auch kaum was geändert, nur die Fahrer draußen sind jetzt schlauer und drücken schon mal alle Augen zu, weil SIE jetzt wissen, dass es nicht an ihnen liegt ...
Ich behandele meine Kollegen draußen gerecht, Gysi ... Ich sage: Huch, da habe ich nicht aufgepasst; Hoppla, da habe ich einen Fehler gemacht, entschuldigen sie sich bitte bei dem Fahrgast in meinem Namen ... usw." Ich verlange von ihnen nichts, was ich nicht auch von mir verlange ... und es funktioniert ... Ich brauche keine Aufsicht, keinen Vorstand ... also keine Gesetzgebung ...
Wir arbeiten zusammen und die Unstimmigkeiten, die sich schon mal ergeben, werden an Ort und Stelle geklärt und zwar zwischen mir und dem entsprechenden Kollegen - vor allen über den Funk, wenn´s sein muss ... Ich habe nichts zu verstecken ... ich bin nicht perfekt, genau wie die Kollegen draußen auch nicht ...
Ich weiß nicht, ob das Anarchie ist, wie ihr sie beschrieben habt, aber ich habe es so interpretiert, als ich den Thread gelesen habe ...
... und deshalb sage ich : Es funktioniert !
PS.: Das wichtigste habe ich ja beinahe vergessen - wir sind multikulturell ... alles ist vertreten - vom Bayer, über den plattsprechenden Türken bis zum Spanier, der sich Ritchie nennt !
Iraner, Araber, Italiener alles da ... und alle ziehen an einem Strang, weil sie "gleich" behandelt werden ...