Liebe Mitdiskutanten,
ich bin zum ersten Mal in diesem Forum und hoffe, dass ich all zu viele Dinge schreibe, die schon längst abgehandelt wurden.
Kapitalismus bzw. reine Marktwirtschaft definiere ich mit völliger Abwesenheit von Staat bzw. höchstens Nachtwächterstaat. Wo gibt es so einen Staat?
Wer vertritt eigentlich die These, das wir einen Kaptialismus pur brauchen?
Wir sind weit davon entfernt im Kapitalismus zu leben. Der Staat mischt sich massiv ein und das ist auch gut so und wissenschaftlich abgesichert: Reine Marktwirtschaften versagen bei der Produktion Öffentlicher Güter, wie Umweltschutz, Bildungsgerechtigkeit, etc., die Voraussetzung sind für Prosperität. Reine Marktwirtschaften wären zwar effizient, aber auf einem sehr niedrigen Niveau - dafür ist keiner.
Allerdings sollte man sich schon bei Reformen darüber Gedanken machen, wie das Gewollte an Gerechtigkeit, Wohlstand und Umweltschutz auf effiziente Weise erreicht werde kann. Dabei hilft die grundlegenden Mechanismen des Marktes sich zu Nutze zu machen, die bei der Produktion von privaten Gütern zu sehr guten Ergebnissen führt.
Ich möchte dies beim Thema Arbeitslosigkeit versuchen:
Um dieses Problem vernünftig diskutieren zu können sollte man es in drei Bereiche einteilen:
1. Strukturelle Arbeitslosigkeit I: Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten oder Falschqualifizierten
2. Strukturelle Arbeitslosigkeit II: Rationalisierungsdruck auf Jobs von Normal- bis Gutqualifizierten
3. Konjunkturelle Arbeitslosigkeit durch Nachfrageschwäche
zu 1.:
Diese Art der Arbeitslosigkeit steigt bei uns seit über 30!! Jahren. In jeden Konjunkturaufschwung sind wir mit einem höheren Sockel eingetreten.
Was sind die Ursachen: Da Deutschland ein Hochlohnland mit beträchtlichem immer noch weit verbreiteten Wohlstand ist, sind die Lebenshaltungskosten relativ hoch. Der Staat ist unter den heutigen Voraussetzungen dazu gehalten das sozio-kulturelle Existenzminimum seiner Bürger zu sichern - auch wenn man bei Harz IV in Frage stellen kann, ob dies noch geschieht (ich denke im Großen und Ganzen immer noch).
Nun kann bei Geringqulifizierten sehr schnell das Dilemma auftreten, dass der Mehrwert ihrer Arbeit kleiner ist als das was sie brauchen, um das sozio-kulturelle Existenzminimum zu erreichen - u.a. wegen der hohen Lebenshaltungskosten.
Dies führt dazu, dass diese Geringqualifizierten nur Arbeit bekommen würden, wenn sie mit weniger als dem sozio-kulturellen Existenzminimum zufrieden wären, welches ihnen aber vom Staat im Großen und Ganzen immer noch garantiert wird. Andererseits könnten sie von solch einer Arbeit oft wirklich objektiv nicht leben - besonders, wenn Kinder vorhanden sind.
Aus diesem Dilemma heraus sind entsprechende Arbeitsplätze in den letzten 30 Jahren systematisch wegrationalisiert oder ins Ausland exportiert worden. Defaktor sind nur noch sehr wenige solche Arbeitsplätez vorhanden, die nur von Menschen angenommen werden können, die anderweitig abgesichert sind: Rentner, Studenten, Hausfrauen, Ausländer (oft auch familiär gut abgesichert, Entlohnung hat in ihrem Heimatsland hohen Wert, sind oft Ausbeutung leider gewöhnt).
Aus dieser Situation heraus dreht man sich im Kreis mit Argumenten, wie Schmarotzer oder fehlende Arbeitsplätze.
Meiner Meinung nach gibt es dafür nur einen Ausweg. Der Staat muss eine Soziale Grundsicherung schaffen, die es auch Geringqulifizierten erlaubt sich mit Grundsicherung Erwebseinkommen über Wasser zu halten. Alle Modelle, die erprobt wurden, bei denen die Grundsicherung abgeschmolzen wurde mit zunehmenden eigenen Einkommen haben aber keinen Erfolg gehabt. Deshalb plädiere ich für eine bedarfsunabhängige Grundsicherung von ca. 250 € im Monat für jeden und andererseits für eine radikale Steuerreform, die vorsieht, dass jeder 20 % seines Einkommmens bzw. Gewinns als Steuern zahlen muss von jedem € - keine Steuerfreigrenzen oder Abzugsmöglichkeiten. Das erstaunlich ist, dass eine solche Flat Tax das doppelte Aufkommen der heutigen Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommens generiert. Die Grundsicherung ist also finanzierbar.
Komplementiert wird Grundsicherung und Flat Tax mit echten Bürgerversicherungen: jeder muss rein - auch Beamte und Selbständige, die Beiträge werden vom Einkommen bzw. Gewinn bezahlt - also auch von Kapitaleinkünften etc. Das erstaunliche ist wieder, dass man einschließlich zusätzlicher Reformen bei den Sozialversicherungen mit einem Beitragssatz von ca. 20 % auskommen würde, statt der heutigen gut 42 % (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil). Der Arbeitgeberanteil könnte also vollständig gestrichen werden.
zu 2.:
Die hohen Lohnnebenkosten in Höhe von ca. 63 % (42 % Sozialversicherungen Urlaub, Krankheit, Feiertage) in Deutschland sind in der Welt einmalig. Kein Land der Welt finanziert wesentliche seines Sozialsystems so einseitig über nach oben begrenzte progressionslose Beiträge auf das Erwerbseinkommen abhängig Beschäftigter.
Diese Tatsache hat dazu geführt, dass auch die Jobs von Normal- bis Gutqualifizierten ständig unter einem gewaltigen Rationalisierungs- bzw. Verlegungsdrucks ins Ausland leiden - der so einamalig ist auf der Welt. Aus diesem Grund verlieren wir seit langem systematisch sozialversicherungspflichte Jobs bzw. es entstehen zu wenig neue. Die positive Seite dieser Situation war, dass unsere Unternehmen immer auf höchstem technischen und qualitativem Niveau produzieren mussten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Konkurrenzfähig sind wir auch gebieben - wir sind Exportweltmeister. Nur hilft uns das nicht viele bei dem Thema Arbeitlosigkeit, da dieser ohne die Schaffung von Arbeitsplätzen aus oben genannten gründen abläuft.
Hier hiflt nur ein harter Schnitt zu oben beschriebenen Bürgerversicherungen, die die Lohnnebenkosten auf einen Schalg um 20 % Punkte reduzieren würden.
zu 3.:
Natürlich leiden wir heute auch unter einer Nachfrageschwäche. Diese wird aber vor allem auch durch oben genannte strukturellen Probleme verursacht. Hinzukommen die klammen staatlichen Haushalte (wieder in erster Linie eine Folge der Arbeitslosigkeit) und die Notwendigkeit, dass die jüngere Generation gewaltig sparen muss für das Alter, da die Reformen über 20 Jahre verschleppt wurden.
Diese vorgeschlagenen Reformen wären ein rießiger Schritt in die richtige Richtung und eine Symbiose von marktwirtschaftlich ausgerichtetn Instrumenten, die ein Öffentliches Gut produzieren.
Hinzu kommen müssen aber u.a. noch eine durchgreifende Bildungsreform - nur diese kann den Wohlstand für die Zukunft sichern.
Wer Interesse hat mit mir und anderen in diese Richtung konstruktiv weiter zu diskutiern, lade ich ein meine Homepage zu besuchen:
www.soziale-marktwirtschaft-erneuern.de
Ich freue mich auf ein konstruktive Diskussion.
Dipl.-Volkswirt Andreas Wolfsteiner