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Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?

Re:OK

Ziesemann schrieb:
Solltest Du gar vom Fach sein?
Nein, nein, nicht wirklich! Ich bin vom Metier her "klassischer" Musiker - da die abendländische Musik in 1000 Jahren Geschichte ihrer Funktion nach vorwiegend eine repräsentative Kunst war, bringt das ein allgemeines historisch-politisches Interesse vielleicht mit sich. Und daß ich @Hamburg einmal bei Dir punkten konnte, war auch eher Zufall *bescheiden verneig*

Wie sagte doch mein alter Herr immer - man muß nicht alles wissen, man muß nur wissen, wo man etwas nachschlagen kann ;) .

Beste Grüße ebenfalls - und auf weitere Erkenntnisse bin ich stets gespannt!
Gaius
 
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Gaius schrieb:
Nehmen wir es doch, lieber Ziesemann, ganz wie Du sagst einfach als pars pro toto das Thema des threads betreffend :)

Eben als pars pro toto, war Eure Diskussion in der Diskussion rund um die Freie und Hansestadt, nicht nur interessant, sondern für mich auch exemplarisch: so schwer ist also eine objektive Wiedergabe von Ereignissen.

Eine vermeintlich objektive Wiedergabe von Historie, ist aber auch erschwert durch die Tatsache, dass der Beobachter der Geschehnisse, dessen Bestreben vielleicht ursprünglich die Objektivierung ist, entweder selber Teil des Geschehens ist - oder aber auf Quellen von Zeitzeugen angewiesen ist, die auch Deutende waren und nicht Aussenstehende. Im Falle der Memoiren von politischen Persönlichlkeiten, (ich ging ja bei diesem Thema von Helmut Kohl aus) - waren sie ja nicht nur Deutende, sondern auch Gestalter der Geschichte.

Nun stellt sich die Frage, ob Geschichte den sonst gestellten Kriterien der Wissenschaft entspricht?
Denn eine Wissenschaft soll rational vorgehen können, soll sich mit wiederholbaren Vorgängen befassen, soll generalisierbar sein, laut Popper soll sie aber auch falsifizierbar sein (na, dieses Kriterium, glaube ich, erfüllt Geschichte!)

Pierre Bourdieu spricht von einer "teilnehmenden Objektivierung" und von ihren Möglichkeiten und Grenzen. Nach meinem Verständnis, stellt er damit der Geschichte andere Kriterien voraus, als üblich für eine Wissenschaft - und damit kann ich persönlich gut leben..

Ernst Langthaler fasst den Standpunkt von Bourdieu wie folgt zusammen:

"Fremdheit und Verfremdung des Gegenstandes erscheinen ihm als notwendige Bedingungen, um den Zauber der ihm anhaftenden Vertrautheit zu brechen, ohne ihn mit dem exotistischen Zauber des "Anderen" zu umgeben. Die Lektüre von BOURDIEUs "soziologischem Selbstversuch" legt nahe, außerwissenschaftliche, manchmal auch krisenhafte Erfahrungen aus dem Erkenntnisprozess nicht auszuklammern, sondern als Bedingungen der eigenen Wissenschaftspraxis einfließen zu lassen."
 
Begrifflichkeit der Wissenschaft

Miriam schrieb:
Eben als pars pro toto, war Eure Diskussion in der Diskussion rund um die Freie und Hansestadt, nicht nur interessant, sondern für mich auch exemplarisch: so schwer ist also eine objektive Wiedergabe von Ereignissen.

Nun stellt sich die Frage, ob Geschichte den sonst gestellten Kriterien der Wissenschaft entspricht?
Denn eine Wissenschaft soll rational vorgehen können, soll sich mit wiederholbaren Vorgängen befassen, soll generalisierbar sein, laut Popper soll sie aber auch falsifizierbar sein (na, dieses Kriterium, glaube ich, erfüllt Geschichte!)
COLOR]
Genau so hatte ich mein Exempel verstanden wissen wollen, und es scheint, als würde es das auch, sozusagen ein Beispiel für ein Exempel, wie schwer eine Objektivierung der Geschichtsschreibung ist.
Ob eine sich Wissenschaft nennende Forschung wissenschaftlich ist, hängt vom Wissenschaftsbegriff ab. Ein Zyniker hat mal gesagt: Wissenschaft ist, was ein deutscher Professor so nennt, und wenn es nur die Bescheibung des Verhaltens staffälliger Jugendlicher auf einem vom Steuerzahler zu tragenden Segeltörn in die Karibik ist.
Ich huldige wie Du, Miriam, dem Popper'schen Wissenschaftsbegriff der Falsifizierbarkeit. Daran gemessen ist die Geschichte sicher eine Wissenschaft - doch ist es etwa auch die Theologie? Aber das hier zu diskutieren sprengt das Thema.
 
Wie soll man denn Geschichtswissenschaft im Sinne von Verifizierung und Falsifizierung betreiben - indem man etwa Robespierre gegen Napoleon antreten läßt, verschiedene Theorien über den Ausgang des Konflikts aufstellt, und am Ende der besten Computersimulation einen Orden pour le mérite verleiht?

Was man als Historiker tun kann: so gut es geht, Daten sammeln;

das eigene Vorgehen und die eigene Sprache reflektieren;

und vor allem, trotzdem das Risiko des Sprechens eingehen.

Vielleicht kann ja so der Bogen zur Theologie gespannt werden: Geschichtserzählung ist so subjektiv wie der Glaube; es geht nur darum, wieviele Zuhörer einem folgen. Aber so wirds politisch ;)
 
Richtig, Gaius!

Ich gebe Dir mit jedem Worte bei allen Deiner obigen Worte Recht.

Wissenschaft ist Geschichte vor allem deshalb, weil diese "Datensammlung" so dargeboten wird, dass sie jederzeit mit denselben Methoden verifiziert werden können.

Alles andere ist Interpretation. Aber auch Kommentar, die kritische Textausgabe und der Gebrauch der historischen Hilfswisssenschaften gehören dazu.
Ohne Interpretation kommt keine Wissenschaft aus.


Und - ein neuer Geschtspunkt: die Menschheit hat ein Bedürfnis, sich als wirkendes Wesen sowohl in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu begreifen. Denke an die Stammesmythen aller Kulturen, die - wenn Du so willst,als Mutter der Geschichtsschreibung angesehen werden können - und an die enge Verbindung zwischen Mythos ( Religion) von Macht .
Gegenwart und Vergangenheit lässt sich erklären, Zukunft nicht. Diese Ebene bleibt im Bereich des Hypothetischen und nicht zuletzt erfahren wir gerade aus der Ecke der Naturwissenschaften viele möglichen Erklärungen der Zukunft.


Marianne
 
Falsifizierung

Gaius schrieb:
Wie soll man denn Geschichtswissenschaft im Sinne von Verifizierung und Falsifizierung betreiben - indem man etwa Robespierre gegen Napoleon antreten läßt, verschiedene Theorien über den Ausgang des Konflikts aufstellt, und am Ende der besten Computersimulation einen Orden pour le mérite verleiht?

Vielleicht kann ja so der Bogen zur Theologie gespannt werden: Geschichtserzählung ist so subjektiv wie der Glaube; es geht nur darum, wieviele Zuhörer einem folgen. Aber so wirds politisch ;)

Eine Aussage ist nur insofern und insoweit eine wissenschaftliche, als sie falsifizierbar ist. Bitte beachten, es kommt nicht darauf an, ob sie tatsächlich falsi- oder verifiziert wird, sondern nur, ob diese Falsifizierbarkeit möglich ist.
Frankly spoken:Ich habe die Gegenüberstellung von Robespierre gegen Napoleon schlicht nicht verstanden, was Du damit sagen willst. Dürfte aber interessant sein, es zu wissen.
 
Wahr ist, was falsch ist

Ziesemann schrieb:
Eine Aussage ist nur insofern und insoweit eine wissenschaftliche, als sie falsifizierbar ist. Bitte beachten, es kommt nicht darauf an, ob sie tatsächlich falsi- oder verifiziert wird, sondern nur, ob diese Falsifizierbarkeit möglich ist.
Das bedeutet, daß eine Aussage, die ein belegbares Datum betrifft, wie etwa diese: "Johann Sebastian Bach wurde im Jahr 1685 geboren", solange unwissenschaftlich bleibt, wie der Wissenschaftler auf der Behauptung der Gültigkeit der Belege beharrt, richtig?

Das würde weiterhin bedeuten, daß die bloße Annahme der gewesenen Existenz von Persönlichkeiten wie Robespierre und Napoleon (die ich ja nur in einem imaginären Computerspiel gegen einander antreten lassen wollte *loool*) bereits im strengen Sinne unwissenschaftlich sei - und weder die französische Revolution noch das anschließende Terrorregime haben demzufolge jemals stattgefunden, noch die napoleonische Expansion in Europa - weil da eine Wissenschaft ist, deren oberes Kriterium nicht die Auswirkung von Taten, sondern die Falsifizierbarkeit von Aussagen sei?
 
Widerlegbar = falsifizierbar

Gaius schrieb:
Das bedeutet, daß eine Aussage, die ein belegbares Datum betrifft, wie etwa diese: "Johann Sebastian Bach wurde im Jahr 1685 geboren", solange unwissenschaftlich bleibt, wie der Wissenschaftler auf der Behauptung der Gültigkeit der Belege beharrt, richtig?

Lieber Gaius,
ich muss mich hundsmiserabel schlecht ausgedrückt haben, entschudlige. Ich mache mir Vorwürfe. Es kommt eben nicht darauf an, ob eine Aussage irgendwann einmal bestätigt oder widerlegt wird; entscheidend ist nur, dass sie widerlegbar sein muss. Solange, bis zu ihrer tatsächlichen Falsifizierung, gilt sie als richtig.
Die Angabe des Geburtsjahres von Bach ist prinzipiell widerlegbar; es könnte ja immer noch sein, dass z.B. entdeckt wird, dass die Geburtsurkunde eine Fälschung ist (:) ; aber die Aussage. sechs Engel können auf einer Nadelspitze tanzen oder am 31. Januar 2006 geht die Welt unter, ist nicht widerlegbar (natürlich auch nicht beweisbar), ergo unwissenschaftlich.
Habe ich mich jetzt verständlich ausgedrückt? - Wäre schön.
 
AW: Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?

Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?

Objektive Geschichtsschreibung ist zwar unabhängig gut, hat jedoch mit der Echtheit der Geschichte gar nichts zu tun, da Unterlassung ein großes Manko ist.

Subjektiv objektive Geschichtsschreibung hat da viel eher die Chance, eine echte Geschichtsschreibung zu Wege zu bringen.

Reine subjektive Geschichtsschreibung ist das, was in Geschichtsbüchern verzeichnet ist, und mit echter Geschichtsschreibung fast nichts zu tun hat.

Die meisten Geschichtsbüchern werden von Siegern geschrieben in rein subjektiver Schriftführung.
 
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AW: Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?

Objektive Geschichtsschreibung ist zwar unabhängig gut, hat jedoch mit der Echtheit der Geschichte gar nichts zu tun, da Unterlassung ein großes Manko ist.

Subjektiv objektive Geschichtsschreibung hat da viel eher die Chance, eine echte Geschichtsschreibung zu Wege zu bringen.

Reine subjektive Geschichtsschreibung ist das, was in Geschichtsbüchern verzeichnet ist, und mit echter Geschichtsschreibung fast nichts zu tun hat.

Die meisten Geschichtsbüchern werden von Siegern geschrieben in rein subjektiver Schriftführung.

Dem :schnl::schnt: (= getauten Schnee von gestern, vor-gestern und vor-vor-gestern) kann's ja egal sein ...:lachen::lachen::lachen:
 
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