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Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein?

Miriam schrieb:
Was gehört alles, aus der Sicht der Historiker, zu den Dokumenten die der Geschichtsschreibung sachlich dienen sollten? Mit Historiker meine ich natürlich diejenigen, die als Forscher sich mit Geschichte befassen.

Für mich als absoluten Laien, sind die Zeitzeugen die über einen gewissen Zeitabschnitt berichten, wichtige Stimmen die gehört werden sollten. In diesem Sinne hatte ich auch Primo Levi genannt.
Eine andere Stimme die mir wichtig erscheint, ist die von Sebastian Haffner, mit seiner Geschichte eines Deutschen. Natürlich kann man die Liste fortsetzen, es haben so viele Zeugnis abgelegt. Aber ich wollte ja zu meiner ursprünglichen Frage zurückfinden: wird deren subjektive Sicht (denn eine jede persönliche Sicht ist subjektiv) zur Objektivierung der Geschichtsschreibung dienen? Ist also derjenige, der solche Quellen in einen Werk einfliessen lässt zu ihrer objektiven Auswertung fähig?

Für mich bleibt die Objektivbierung in Hinblick auf Zeitgeschehen ein wichtiges Thema, damit meine ich nicht als Beitrag hier, sondern als prinztipielle Frage.

Ob man den rechtlich nicht geschützten Begriff „Historiker“ nur auf die Forschenden dieser Zunft beschränken sollte, erscheint mir fraglich. Warum sollte nicht auch ein guter(!) Geschichtslehrer (Maskulinum in nicht ausschließenden Sinne gebraucht) ein Historiker sein – nennen darf er sich ohnedies so.
Dokumente als schriftliche Quellen sind sicherlich die wichtigsten; aber in zunehmendem Maße beschäftigen sich nicht nur Archäologen mit nichtschriftlichen Zeugen der Vergangenheit wie Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Münzen usw. Aber auch Bauten wie Hütten, Brücken, Straßen können dem Historiker Auskunft über weit zurückliegende Jahrhunderte geben.
„Zeitzeugen sind der Todfeind des Historikers“ – hat einmal ein Geschichtswissenschaftler gesagt. Denn in der Tat: Ein Zeitzeuge kann durch Schilderung des eigenen Erlebens die mühselige Rekonstruktion des Historikers mit einem „Ich-war-dabei-so-war-es-nicht“ zerstören. Andererseits: Trügt den Zeitzeugen nicht die Erinnerung? Kann er trennen das Eigenerleben von dem, was er später darüber gelesen und gehört hat?
Eine näherungsweise „objektive Geschichtsschreibung“ lässt sich wohl nur über eine Multiperspektivität erreichen; sprich: Einen Vorgang von vielen Seiten beleuchten, stets eingedenk, dass ein ganzes Ursachenbündel (Multikausalität) das heutige Geschehen bewirkt, das wir morgen Geschichte nennen.
So macht ein Disput Freude, ist ehrenwert und bringt Gewinn.
Mit besten Grüßen - Ziesemann
 
Zuletzt bearbeitet:
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Ziesemann schrieb:
Ob man den rechtlich nicht geschützten Begriff „Historiker“ nur auf die Forschenden dieser Zunft beschränken sollte, erscheint mir fraglich. - Ziesemann


Einwand:


Beweis: Ich bin eine ziemlich gute Köchin, darf mich aber nicht bei Fragen nach der Berufsbezeichnung Köchin nennen. Ich bin - so gesehen Hausfrau, die eben gut kochen kann.

Es ist Usus, dass frau/mann sich als das bezeichnen darf,sogar muss, wofür sie/er eine wissenschaftliche ( oder eben eine Lehrausbildung) Ausbildung erhalten hat. Diese Ausbildungen ermöglichen ihr/ihm sachmethodisch richtig zu arbeiten. Und in der Regel haben wir alle Akatiere - zumindestens während des Studiums wissenschaftlich gearbeitet. Und manche - ich auch - sogar nach dem Studium. Und so gesehen bin ich Lehrerin ( gewesen), die dazu - fachlich auf Wissenschaftsebene ausgebildet - die Befähigung hat, eben Geschichte zu lehren.



Marianne
 
Ziesemann schrieb:
– Und, kommt jemand aus Hamburg? Der stolze Titel „Freie und Hansestadt“ fußt auf einer Kaiserurkunde von 1189. Sie wurde verfasst nicht in der kaiserlichen Kanzlei sondern – im Hamburger Rathaus. Und so ist der Verfassungsname dieses Bundeslandes eine Fälschung.
Ertappt, Ziesemann!

Die Hanse entstand zwar schon Mitte des 12. Jahrhunderts, Hamburg schloß sich dieser jedoch erst 1321 an.

Die von Dir erwähnte "kaiserliche Urkunde" von 1189 bezieht sich lediglich auf das Recht, auf den Handelsverkehr auf der Elbe Zölle zu erheben; mit diesem Privileg wurde Hamburg zur "Freien Reichsstadt" erhoben. Nun liegt es höchstens noch bei Dir, zu belegen, daß bei letzterem Akt kein kaiserlicher Abgesandter zugegen war!

Selbst wo ein solcher Kontrakt unterzeichnet wird, dürfte doch schnurz und piepe sein.

Wo kommt jetzt der Name "Freie und Hansestadt" her? Bestimmt nicht aus 1189 :D !

Gruß aus Hamburg, Gaius
 
Etwas provokant!

Geschichtsschreibung objektiv?

Wo ist derjenige, der beweisen könnte, ob das, was wir aus der Vergangenheit erfahren, wirklich so war? Selbst ein Sammelsurium von subjektiven Einzelberichten ergibt kein einheitliches "objektives" Bild.
Wie sollen Zeitzeugen zur Objektivität beitragen? Frage Augenzeugen eines Unfalls nach dem Hergang. Frage dich selbst, wie du den letzten Sonntagsausflug erlebt hast und dann frage deinen Mann bzw. deine Kinder.
Die einfachsten Dinge unseres ganz normalen Lebens nimmt jeder auf seine Weise wahr. Schon unsere Nachbarn, die doch nur 50 Meter weit entfernt von uns wohnen, haben keine Ahnung, wie unser Leben ausschaut. Sie kriegen es nicht mit.

Die Geschichtsschreiber halten sich sicher auch nicht auf mit dem Leben, das der Großteil der Bevölkerung eines Landes führt, obwohl das unser Wohlbefinden und unser Empfinden wesentlich stärker prägt, als politische Entscheidungen und diese elenden Machtkämpfe, die oft nur verhindert haben, dass die Menschen LEBEN konnten.

Die Frage, die sich mMn hier stellt, ist, warum ist es so wichtig, ob über die Ereignisse in der Vergangenheit "richtig" und "wahr" berichtet wird? Lernen wir wirklich aus der Geschichte? Und WAS lernen wir daraus?
Wir interpretieren die fundiertesten historischen WErke doch immer wieder so, wie es uns gerade jetzt in den Kram passt.

Wenn wir jetzt eine Lösung für unsere Probleme brauchen, dann sollten wir uns ansehen, was jetzt ist und nicht, wer Schuld daran ist, dass es jetzt so ist. Denn so habe ich Geschichtsschreibung kennengelernt: Eine Auflistung der Ereignisse mit gleichzeitiger Schuldzuweisung. Und so geht es dann ewig weiter: Weil du damals...... deswegen musst du jetzt.......... So viel Gerechtigkeitssinn gibt es auf der ganzen Welt nicht, dass das ohne neue Verletzungen und neuerliche Schuld funktionieren kann (siehe aktuelle Kriege...) Und so dreht sich das Ringelspiel weiter, so lang, bis endlich diese Schuldiger und Schuldloser-Geschichte beendet wird.

Tja, da hab ich mich ein bisschen "heißgeredet". Ist ein gutes Thema für mich.

herzlich
lilith
 
Glänzend

Gaius schrieb:
Ertappt, Ziesemann!


Die von Dir erwähnte "kaiserliche Urkunde" von 1189 bezieht sich lediglich auf das Recht, auf den Handelsverkehr auf der Elbe Zölle zu erheben; mit diesem Privileg wurde Hamburg zur "Freien Reichsstadt" erhoben. Nun liegt es höchstens noch bei Dir, zu belegen, daß bei letzterem Akt kein kaiserlicher Abgesandter zugegen war!

Wo kommt jetzt der Name "Freie und Hansestadt" her? Bestimmt nicht aus 1189 :D !

Gruß aus Hamburg, Gaius
Ich bitte dies so zu verstehen wie ich es sage: Es macht Vergnügen, etwas dazu zu lernen
Nicht unbedingt sehe ich einen vollständigen Widerspruch zwischen meiner These und der Deinen; aber Du hast mich tatsächlich "ertappt", denn ich kann jetzt meine Behauptung ohne langwierige Nachforschungen - am Ende noch in Originalquellen(?)- nicht belegen. Meine Schuld: Das hat man davon, dass man sich auf Sekundärliteratur stützt. Gelobe Besserung.
Doch Dir herzlichen Dank mit einem Gruß aus dem tief verschneiten Nordschwarzwald
 
Lernen aus der Geschichte?

lilith51 schrieb:
Geschichtsschreibung objektiv?


Die Geschichtsschreiber halten sich sicher auch nicht auf mit dem Leben, das der Großteil der Bevölkerung eines Landes führt, obwohl das unser Wohlbefinden und unser Empfinden wesentlich stärker prägt, als politische Entscheidungen und diese elenden Machtkämpfe, die oft nur verhindert haben, dass die Menschen LEBEN konnten.

Die Frage, die sich mMn hier stellt, ist, warum ist es so wichtig, ob über die Ereignisse in der Vergangenheit "richtig" und "wahr" berichtet wird? Lernen wir wirklich aus der Geschichte? Und WAS lernen wir daraus?
Wir interpretieren die fundiertesten historischen WErke doch immer wieder so, wie es uns gerade jetzt in den Kram passt.

lilith

Es gibt zu der im Titel gestellten Frage zwei diametral entgegengesetzte Antworten. Die pessimistische, sie stammt von Hegel und besagt, das einzige was man aus der Geschichte lernen kann ist, dass Völker und Regierungen noch nie etwas daraus gelernt haben. Die andere als Lehrmeisterin des Lebens von Cicero. - Die schönste fand ich bei Jacob Burkhardt (1818-1897) "Geschichte macht den Menschen nicht klug für ein andermal, sondern weise für immer". Geschichte liefert keine Rezepte für die Zukunft, wohl aber vermag sie Einsichten zu vermitteln, z.B. das Misstrauen gegenüber menschheitsbeglückenden Entwürfen wie z.B. den Sozialismus, von denen so viele schon in der Geschichte gescheitert sind.
Liebe Lilith, in den letzten 50 Jahren bemüht sich die Geschichte sehr wohl um das von Dir Vermisste, es ist die "Geschichte der kleinen Leute". - Wenn Du magst, suche ich gern Literatur raus.
Mit freundlichem Gruß
Ziesemann
 
Nochmal: Die Hamburger Fälschung

Aufgrund von Gaius wohl mindestens teilweise berechtigter Kritik an diesem Beispiel einer Fälschung werde ich der Sache nachgehen und hier berichten.
Aber an sich ist es für unser Thema „Objektivität in der Geschichtsschreibung“ relativ unerheblich, ob ein Beispiel in allen Einzelheiten so richtig ist wie geschildert. Dennoch bestärkt es die Zweifel, wie objektiv die Historiographie sein kann, wenn schon unsicher ist, ob Dokumente als wichtigste Quellen des Historikers überhaupt echt sind.
Ein jüngeres Beispiel sind die in 80er Jahren plötzlich auftauchenden Tagebücher Hitlers. Selbst renommierte Zeithistoriker hielten sie wochenlang für echt, bis eine chemische Analyse (Papier, Tinte) ergab, dass sie alle erst zum Teil Jahrzehnte nach 1945 entstanden waren. Der „Stern“ war darauf hereingefallen und hatte sie gegen ein Millionenhonorar gekauft.
 
"Freie" Stadt Hamburg

Wohlwissend, dass Wikipedia nicht die zuverlässigste Geschichtsquelle ist, kann man immerhin daraus folgendes entnehmen:
1189 "soll" Kaiser Brabarossa der Stadt Hamburg einen Freibrief ausgestellt haben. Da eine authentische Urkunde nicht vorhanden war, wurde der Stadt 1265 der auch inhaltlich verfälschte Freibrief ausgehändigt.
Nach einer anderen Version war der Freibrief "von Anfang an ein bewusste Fälschung Hamburger Kaufleute".
Wie dem auch sein, so erscheint eines sicher: Ein über Zweifel erhabenes Dokument wenigstens über den Namen "Freie..." existiert nicht, womit wieder einmal die Schwierigkeit einer objektiven Geschichtsschreibung demonstriert werden kann - quod erat demonstrandum.
Soll, lieber Gaius, dies Spezialthema hier noch weiter geführt werden?
 
Ziesemann schrieb:
Soll, lieber Gaius, dies Spezialthema hier noch weiter geführt werden?
Nehmen wir es doch, lieber Ziesemann, ganz wie Du sagst einfach als pars pro toto das Thema des threads betreffend :) !

Wobei mich der Vorgang um inkorrekte Urkunden selbst nicht so sehr wundert: die Institutionen kaiserlicher Macht waren im 12./13. Jh. noch nicht sehr dicht vernetzt, und die Stadtbürger (nicht nur Hamburgs) wollten sich nicht in ihre Angelegenheiten von außen hereinreden lassen - aber ein Fetzen Pergament mußte schon her. Daß die Pfeffersäcke seit jeher ziemliche Schlingel waren, war eh klar *ggg*!

Beste Grüße, Gaius
 
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Ok

Gaius schrieb:
Nehmen wir es doch, lieber Ziesemann, ganz wie Du sagst einfach als pars pro toto das Thema des threads betreffend :) !

Deine Meinung gefällt mir ganz außerordentlich. Sollte ich noch weitere Erkenntnisse gewinnen, teile ich sie Dir in einer PN mit.
Im Übrigen beglückwünsche ich Dich zu Deinen detaillierten Kenntnissen der Hamburger Stadtgeschichte. - Solltest Du gar vom Fach sein?
Beste Grüße - Ziesemann
 
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