@flroa:
ist jemand ein könner/künstler, der die tonleiter nicht kennt, aber trotzdem auf seinem instrument gute... musik macht?
Sicherlich werde ich jetzt gewaltig angegriffen, wenn ich schreibe, dass ich diesen Menschen für keinen Künstler halte. Ich spreche hier für alles weitere, allerdings ausschließlich für die westliche-europäische Musik!
Wenn ein Musiker keine Tonleiter kennt, dann kennt "er" auch keine Harmonielehre, keinen Kontrapunkt, keine Tonsatzlehre, etc. "Er" kennt weder die Theorie der Musiksprache, der Affektenlehre etc. Wahrscheinlich hat "er" sich kulturgeschichtlich auch nicht mit den einzelnen Epochen beschäftigt. Sich wahrscheinlich auch keine Gedanken gemacht, dass jede Art von Musik immer auf eine musikwissenschaftstheoretische Weiterentwicklung vorhergehender Epochen fußt.
Ohne Renaissance - kein Barock! Ohne Barock - keine Klassik etc.
Wenn "er" aber nicht weiß, mit welchen kompositorischen Mitteln die Vorgänger Epoche ihre Musik betrieben haben, kann "er" nur seine eigene "Empfindung" von dem was "er" hört oder gehört hat, also vom "Hören - Sagen", betreiben.
Auch technisch gesehen, kann "er" dann natürlich nicht mithalten. Dann wären ja alle technischen - Studien der Meister, die ihr Wissen wieder weitergegeben und beschrieben haben und deren ihre Arbeiten, für die sie ihr Blut gegeben haben, umsonst gewesen!
Deshalb kann ich auch bei jeder Art von Rock und Popmusik nichts empfinden, weil mich prinzipiell Gefühlsduseleien nicht interessieren. Genauso wenig wie mich Kunst von Hausfrauen und nat. auch Hausmännern!, nicht interessiert, weil diese ebenso wenig Kunsttheorie etc. betrieben haben und so auch nicht auf die Kunsttradition aufbauen. Manche mögen noch so schön (was auch immer das bedeuten soll!) malen können. Es ist definitiv keine Kunst und diese Art von Wandbeschmückung oder Rauminstallationen interessieren mich nicht!
In Kurzform: Ich kann natürlich genauso wenig wie die größten Denker aller Zeiten Kunst definieren, (auch wenn ich mich nicht einmal ansatzweise zu ihnen rechne! - hier muss man mit jedem Wort sehr aufpassen, da einem hier in diesem Forum jedes Wort sofort verkehrt im Munde umgedreht wird und teilweise sogar bewusst mißgedeutet wird!) , aber ich weiß wenigstens ansatzweise, welche Grundbedingungen notwendig sind, um mit Kunst zu beginnen.
Jede Kunst bedarf einer Form. Jede Form hat Grenzen. Kunst und deren Weiterentwicklung versucht immer diesen Rahmen zu sprengen. Ein tolles Beispiel war der Manierismus, also Spätrenaissance. Da wurde die Musik so kompliziert und undurchschaubar, weil ja alle Stimmen regelrecht gleichberechtigt waren, dass man gesagt hat: So kann es nicht weitergehen, wohin soll das führen? Die Ausdrucksmöglichkeiten führender Stimmen die sich durch die Dimmunitionstechniken (zerkleinern) herauskristallisiert haben, waren nicht mehr möglich. Die Lösung lag in einer neuen Form einer Begrenzung, die gesagt hat, dass eine führende Stimme nur noch von einer begleitenden Basslinie (Generalbass) begleitet werden soll. Die ersten Arien (z.B.: Il Lamento d'Arianne von Claudio Monteverdi) zeugen von dieser Weiterentwicklung in eine neue Epoche der Musikgeschichte - des Barock.
Letztendlich war die 12 Tonmusik eines Schönberg nichts anderes. Hier sogar noch deftiger, weil er sich ja mit seinem Reglement total eingegrenzt hat. (Hier wird sogar die Reihenfolge der 12 Töne vorgeschrieben)
Ich könnte hier jetzt stundenlang weitererzählen, aber ich hoffe dass ich alle Gemüter vorerst einmal soweit beruhigt habe, um die Basis zu verstehen, warum diese Form der Eingrenzung, zuerst einmal wichtig ist, um neue Wege zu beschreiten.
So nun weiter. Ich gebe zu, dass es für einen Laien, der sich noch nie über dies Gedanken gemacht hat, schwierig ist, das zu akzeptieren, aber es ist die Grundlage, die Basis, jedes Kunstbegriffes. Also, noch mal. Der Unterschied zwischen einem, der ohne diesem Wissen, auf einem Instrument gute (was ist gut?) Musik macht und demjenigen der auf einem Instrument, das er von der Pike auf in frühen Jahren gelernt hat, studiert hat, auch dann noch geübt hat, wenn seine Freunde unten nach ihm rufen und ohne ihn in die Disco abziehen, von guten Musiklehrern in die obig beschrieben Musikschriften unterwiesen wurde und sonst noch all dem pipapo, besteht darin, dass er auf ein Jahrhundertealtes tradiertes Wissen aufbauen kann, Regelwerke erkennen kann, diese durch Neubegrenzungen neu definieren und letztendlich eine Weiterentwicklung für die Musik und Musikgeschichte schreiben kann. Das kann der andere gar nie und nimmer, weil er ja immer auf das gehörte angewiesen ist. Jetzt stellen wir uns aber mal vor, dass dieser nie mit Klassikern in Berührung kam. Wie soll er durchschauen, wie die größten der Großen zu ihren Weiterentwicklungen kamen? Worauf soll er sich berufen? Worauf soll er aufbauen? Wie soll das gehen? Ich denke, da wird doch wohl jeder mit mir übereinstimmen, wenn ich dies so beschreibe.
Auch technisch gesehen ist dies unmöglich. Eine feine, ausgefeilte Technik, sei es Bogenführung der Violine oder die Anschlagshand eines Gitarristen (Fingernagelpflege, Anschlagswinkel, Drehung , Tonqualität spielen eine enorme Bedeutung) oder eine unerreichte Blastechnik einer Flöte zum Beispiel eines Franz Brüggen. Erstens wäre dies (und ist es auch) blöd, wenn man meint das Rad neu erfinden zu müssen und zweitens auch viel zu langwierig.
Jetzt noch zu den Gefühlen. Nicht dass ihr denkt ich habe etwas gegen Gefühle. Gefühle sind ein wichtiger Bestandteil der Kunst. Aber keine Gefühlsduselei! Meine Kenntnisse reichen nicht aus dies zu beschreiben. Aber ein Gefühl das ein guter Interpret bei der Interpretation eines Musikwerkes hat, das Empfinden und Gefühl das ein Komponist bei der Entstehung einer zeitgenössischen Komposition hat, basiert immer auf den obig beschrieben Grundlagen.
Umgekehrt zu beschreiben, was nur Gefühlsduselei ist, ist schon bedeutend schwerer und gefährlich. Anhand eines Beispieles wage ich es aber trotzdem, um einen Einblick in mein Verständnis einer Gefühlsduselei zu geben.
Wenden wir uns einmal der Gothic-Musik zu. Diese Form der Musik versucht mit mittelalterlichen Stilmitteln und Instrumenten eine Illusion dieser „Gotic“ vorzugaukeln. Ich frage mich, wieso dann nicht ehrlich sein und wirklich diese Musik anhören. Ich garantiere jedem, dass diese originale Musik 10 Mal mehr origineller ist (sagt ja alleine schon der Name!) als jede billige-immitierte, verpoppte und elektronisch verzerrte Gotic-Gruppe dies je konnte und je können wird!
Abgesehen von den filmreifen Maskierungen, Tätowierungen und der Verwendung elektronischer Instrumente und Hilfmittel, ist da nicht viel los. Was ich hiermit sagen wollte war dies. Wenn keine Weiterentwicklung nach obig beschriebenen Muster und Regelwerken passiert, kommt es zu solch peinlichen Vorstellungen wie diese Gotic. (Aber das trifft auf jede Form der Rock und Popmusik zu!- Aber das überlass ich jedem einzelnen sich damit auseinanderzusetzen) Man spielt also unter der Voraussetzung falscher Musik mit falschen Gefühlen! Das sollte man sich anhand dieses Beispieles einmal überlegen! Und wenn man technisch gesehen, diesen Möchtegern Folterknechten auch noch mal den Strom abstellen würde, dann würden sie nämlich ganz schön traurig aussehen, weil sie vielleicht gar nicht spielen und singen können? Ohne Instrumentenkunde und Instrumentaltechnik, ohne Stimmausbildung ist nämlich tote Hose!
Aber wie gesagt, das Thema ist auch mir zu heikel. Man sollte dies nur mal durchdenken, was ich hier so lange versucht habe zu beschreiben und doch viel zu kurz und wenig gegliedert habe (ich schreibe dies spontan nieder). Oder auf eine Basis herunterbrechen (z.B.: Strom abschalten) wo es einem klar wird, dass man heute nicht nur nach Strich und Faden verarscht wird, sondern was ich persönlich als viel gefährlicher empfinde, dass man gefühlsmässig in Richtungen gelenkt wird, die alles gleich scheren. Eben wie in der Kunst. „Jeder ist ein Künstler“. Da gibt es keine großen Unterschiede mehr, zwischen Kuppelanschlag und Nagelanschlag, zwischen tirando und appoyando eines klassischen Gitarristen. Da genügt ein drauflos. Mit Lautstärke, optischer Lichtwirkung und elektronischen Hilfsmitteln lassen sich die jungen Menschen, denen man ja keine Vorwürfe machen kann, dass sie so blöd sind und echte Gefühle von falschen, vorgespielten Gefühlen nicht unterscheiden können. Es wurde hier schon einmal gesagt. In Zukunft genügt es, einen McDonalds Hamburger von einem Burger King-Hamburger zu unterscheiden. Feine und feinste Differenzierungen, subtile Tonschwankungen werden gar nicht mehr wahrgenommen. Können auch teilweise ohne Einarbeitung gar nicht mehr wahrgenommen werden. Dazu bräuchte man wieder mehr Ruhe. Aber da läuft der Fernseher, der Computer lädt sich Musik und Games runter (Flatrate macht dies möglich), das Handy piepst elektronisch vereinfacht das Anfangsthema von Peer Gynts Sonnenaufgang vor etc etc. etc Aber jetzt komme ich wieder in ein anderes Thema rein. So schließt sich die unaufhörliche Dekadenz unserer Gesellschaft.