AW: Terrorismus - die diffuse Bedrohung und dessen Konsequenzen
Ziesemann hat einen eigenen Thread eröffnet ("We´re on war"), aus dem ich seinen Eingangsbeitrag hier hereinkopiert habe, weil ich ihn nicht separiert vom "diffusen Terrorismus"-Thema betrachten möchte.
Wir sind im Krieg, wir haben es nur noch nicht gemerkt, weil dieser Krieg ein anderer ist als die meisten vorhergehenden, vor allem der beiden Weltkriege.
Das Thema „Terrorismus“ ist im Denkforum schon mehrfach besprochen worden, dennoch meine ich, den einen oder anderen neuen Aspekt einbringen zu können, wobei ich gern zugebe, vielleicht etwas überlesen zu haben, was schon geschrieben wurde.
Meine These lautet: Der Terrorismus mit Bombenanschläge gegen Zivilpersonen und zivile Einrichtungen – ob mit oder ohne Selbsttötung des Täters – ist ein Krieg sui generis, also besonderer, eigener Art. – Er wird durch folgende Merkmale charakterisiert:
1. Es ist ein unerklärter, aber praktizierter Angriffskrieg der Terroristen.
2. Diese stellen keinen Staat dar, nicht einmal eine Einheit, wie etwa Partisanen.
3. Es gibt in diesem Krieg keine (völkerrechtliche) Unterscheidung mehr zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten. (Terroristen sind nicht uniformiert)
4. Die Angriffe des Terrorismus richten sich primär wenn nicht ausschließlich gegen Zivilpersonen. Deren Tötung, auch die von Frauen und Kindern, wird also nicht mehr oder weniger billigend als „Kollateralschaden“ in Kauf genommen, sondern sie sind Zielobjekt.
5. Die Terroristen wollen keinen Sieg im klassischen Sinne erringen, das könnten sie auch gar nicht; wie wollte Al Kaida z.B. je die USA besiegen.
6. Ihr Kriegsziel ist die Verunsicherung, die Verängstigung, die Zerstörung der freiheitlichen Kultur; sie wollen die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Kosten (i.w.S.) so hoch treiben, daß sie für die angegriffenen Gesellschaften unerträglich werden.
7. Die Kriegsführung des Terrorismus ist ökonomisch (leider) extrem billig, viel billiger jedenfalls als die hoch gerüsteter regulärer Armeen. Das prolongiert ihre Kriegsführungsmethode nahezu grenzenlos.
8. Es gibt keinerlei Grenzen in dieser Taktik; das Kriegsvölkerrecht ist wirkungslos. Die mühselig erreichte „Einhegung“ des Krieges – z.B. Vorschriften zum Schutz von Gefangenen und Verwundeten – wird beseitigt.
Inzwischen hat der Terrorismus schon erhebliche Erfolge zu verzeichnen: Zunehmende Überwachung, scharfe Kontrollen bis hin zur Beeinträchtigung der Privatsphäre, z.B. intimes Abtasten des Körpers beim Flughafen, Ausbau eines kostspieligen Polizeiapparates, direkte Schädigung wichtiger Wirtschaftszweige wie etwa den Tourismus in der Türkei u.v.a.m.
Das besonders Verwerfliche an dem mörderischen Vorgehen der Terroristen ist noch etwas anderes: So kriminell auch immer ein Bankräuber sein mag, der sich den Weg zum Tresor freischießt, er will sich letztlich nur im Rahmen der bestehenden Ordnung bereichern; dieses System aber nicht umstürzen, im Gegenteil, er sucht in ihm auf seine – natürlich illegale – Weise zu profitieren. Der religiös fundamentalistisch geprägte Terrorist aber will uns, einer ganzen Gesellschaft mit Gewalt – notfalls unter Opfer seines eigenen Lebens – eine andere Kultur aufzwingen. Er verlangt, daß wir seine Wertvorstellung, seine Normen, seine Form der religiösen Bindung übernehmen.
Der Krieg der Kulturen hat begonnen. Wir werden ihn kaum verlieren (können); aber vermögen wir ihn zu gewinnen? Denn die bewährten alten Mittel der Abschreckung durch Drohung sind wirkungslos gegenüber Fanatikern, die sterben wollen.
Ein etwas ratloser Ziesemann
Vor allem der
Punkt 8 erscheint mir erwähnenswert.
Krieg ist von uns "zivilisierten" Menschen definiert und geordnet worden, da weiß man, worauf man sich einlässt. Bestimmte Menschen (Soldaten) dürfen getötet werden, andere wieder (Zivilisten) nicht, in bestimmten Gegenden darf gekämpft werden, in anderen nicht. Da hat sich so etwas wie ein Spielfeld entwickelt, wo die Militärs, die sich auch offen dazu bekennen, austoben dürfen. Sie spielen zwar mit lebenden Figuren, die auch nicht so gern sterben wollen, aber schließlich wissen sie, dass sie als Soldaten dieses Risiko auf sich nehmen. (Mal abgesehen von Wehrpflichtigen, die leider gerade in einer Phase des Krieges ihren Wehrdienst leisten müssen, Pech gehabt.)
So weit, so geordnet.
Die Terroristen kümmern sich einen Dreck um einen geordneten Krieg.
Krieg, so wie Ziesemann oben in seinen aufgelisteten Punkten beschreibt, will die gewaltsam erzwungenen Zugeständnisse einer Gemeinschaft zur
legitimen Konfliktlösung erheben. Terrorismus will sich das nicht einfach aufs Auge drücken lassen. Das ist mE der einzige Unterschied.
Gewalt und Mord, egal ob es ein erklärter, definierter Krieg oder ein diffuser Terrorismus ist, sind aber NIEMALS dafür geeignet, Konflikte zu lösen. Im Gegenteil, durch gewaltsam erzwungene Verträge entstehen immer noch mehr Konflikte.
Wer den Terror verdammt, der drückt damit seine Abscheu vor allen gewaltsamen Handlungen aus. Krieg ist nichts anderes als geordneter Terror. Das ist nur ein kleiner Definitionsunterschied, sonst nichts.
Ziesemanns Beispiel für den Unterschied zwischen einem Bankräuber und einem Terroristen bestätigt geradezu meine Sichtweise, denn durch den Terrorismus wird die wahre Absicht von Gewalt sichtbar gemacht.
Ich zitiere den Abschnitt aus dem obigen Beitrag hier noch einmal separat:
Der religiös fundamentalistisch geprägte Terrorist aber will uns, einer ganzen Gesellschaft mit Gewalt – notfalls unter Opfer seines eigenen Lebens – eine andere Kultur aufzwingen. Er verlangt, daß wir seine Wertvorstellung, seine Normen, seine Form der religiösen Bindung übernehmen.
Der einzige Unterschied zu einem definierten Krieg ist doch, dass die Soldaten nicht freiwillig ihr Leben opfern, sondern von den Militärstrategen und Generälen geopfert werden. Die Entscheider, wer sein Leben zu opfern hat, opfern sich ja nicht selbst.
Aber die Absichten sind die selben wie die der Terroristen. Im Libanon werden Wiederaufbaugelder natürlich erst dann wirksam eingesetzt, wenn es eine funktionierende (demokratische) Regierung gibt und eine Judikatur nach westlichem Maßstab. Und dann wird vor allem die Wirtschaft finanziell unterstützt mit der Begründung, damit können sich die Leute ihren Lebensunterhalt am besten verdienen. (Info aus einer Rede von EU-Außenkommissär Benita Ferrero-Waldner in den Nachrichten auf Ö1 vor einigen Tagen).
Die gleiche Argumentation wie im Irak oder in Afghanistan, oder......
Der Anspruch, überall wo etwas nicht so läuft, wie es dem Westen gefällt, mit Gewalt "demokratische Strukturen" aufzuzwingen, ist nichts anderes als Terror.
Tun wir bloß nicht so, als wären wir klüger und hätten lauterere Absichten als die Terroristen. Wir haben nur unsere Strategien verfeinert und mit gut durchdachten Argumenten abgesichert. Sprich, wir haben gelernt, uns hinter einem immer dichteren Lügennetz zu verstecken, weil wir - vor allem vor uns selbst - nicht zugeben wollen, dass wir genauso gewalttätig und egoistisch sind wie jene, denen wir jetzt Terrorismus vorwerfen.
Warum ist es eigentlich so schwer, zuzugeben, dass wir alle gemeinsam keine Ahnung haben, wie wir unsere Konflikte lösen können, ohne uns gegenseitig zu bedrohen und letztendlich immer wieder die Köpfe einzuschlagen? Wieso werden immer noch unschuldige Menschen geopfert, nur um nicht zuzugeben, dass die vorgeschobenen Argumente nicht mehr greifen? Die Wahrheit ist doch, dass da gierige, eiskalte Profiteure ihre Interessen brutal durchsetzen und sich einen Schmarrn um die Opfer scheren. Wäre es nicht so, müsste keine Gewalt angewendet werden.
Unsere sozialen Fähigkeiten sind anscheinend noch sehr schwach entwickelt.
herzlich
lilith