AW: Religion und Naturwissenschaft
Hallo Fusselchen, genau da fangen die Wege an sich zu trennen – denn was mich betrifft, kann ich das „Warum“ (wenn überhaupt!) nur beantworten, wenn ich das „Wie“ einigermaßen geklärt habe. Das Leben „entsteht“ nicht im Rahmen der Naturwissenschaften, sondern ihr Entstehen kann durch die Naturwissenschaften erklärt werden.
Das ist noch ein wichtiger Punkt, an dem unsere Auffassungen sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Wenn du nach dem Zweck fragst, bewegst du dich ja im Rahmen des Finalismus also nimmst an, dass die ganze Entwicklung in Richtung eines vorbestimmten Ziels stattfindet - oder der Teleologie, was ja der entsprechende philosophische Gedanke wäre, der vorgegebenen Kräfte die eine Richtung vorgeben.
Beides ist nicht zu vereinbaren mit den Evolutionstheorien ob von Darwin oder von den Postdarwinisten. Auch hier ibesteht die Nähe zu den Kreationisten oder sogar zu dem ID.
Miriam
Auf den Punkt gebracht, liebe Miriam, Du definierst dort ziemlich exakt die Reichweite von wissenschaftlicher Erkenntnis.
Zwar besteht, spätestens seit es den modernen Menschen gibt, die Finalität in der Natur. Sie ist indes wissenschaftlich nicht nachweisbar, sondern nur die Kausalität. Die Theorie des Kreationismus, so man sie überhaupt als solche bezeichnen darf, ist keine wissenschaftliche Theorie, so sehr sich ihre Anhänger auch bemühen, sie in ein solches Gewandt zu kleiden.
Das hindert sie allerdings in keiner Weise, sich mehr und mehr auch bei uns auszubreiten; insbesondere unter der wachsenden Zahl von Evangelikalen findet sie willige Zuhörer. Aber nicht nur dort und das macht mir doch Sorge.
Dabei ist die scheinbar komplizierte Argumentation der Kreationisten eigentlich ganz simpel: Sie machen nichts anderes als - wie der Jurist sagen würde - die Beweislast nach ihrem Gustus den Biologen zuzuschieben. Denn zumindest ihre Wortführer wissen sehr genau, daß praktisch jede wissenschaftliche Theorie Lücken hat, auch die von Darwin. Und da sie ausgerechnet mit Gott, der irrationalen und nicht widerlegbaren Komponente schlechthin, argumentieren, ist ihre eigene Theorie von vornherein nicht falsifizierbar (ebensowenig wie die Evoltuionstherie bislang, die sich aber, da ihr Gott nicht zur Seite steht, freilich einer viel größeren Breitseite ausgesetzt sieht).
So kommt es zu einem Paradoxum: Nicht die Kreationisten, die wirklich nicht einen einzigen Beweis (zur Verifizierbarkeit ihrer "Hypothese") befinden sich in der Defensive, sondern die Evoutionstheorie, obgleich diese tausende an Beweisen (Indizien) präsentiert hat.
Die Anhänger der Schöpfungslehre hingegen beziehen sich auf eine Theorie, die - vom wissenschaftlichen Standpunkt gesehen - genauso wahrschenlich ist, wie die Theorie, das wir alle einmal in einer riesigen Tüte Gummibärchen wiedergeboren werden.
Dabei kommt den Anhängern der Schöpfungslehre noch ein weiterer Vorteil entgegen, nämlich der, das ein gläubiger Mensch in der Regel nicht gerade erfreut darüber ist, wenn sein Weltbild erschüttert wird, er also als "Richter" von vornherein befangen ist.
Sämtliche Diskussionen drehen sich von vornherein ausschließlich um den Punkt, wer die Beweislast trägt.
Daß damit nichts aber auch gar nichts gewonnen ist, interessiert die Kreationisten nicht und sie beschränken sich so auch nicht den eigentlichen zentralen Fragen der Philosophie und der Finalität (Lesenswert zu den eigentlichen Fragen die Diskussion zwischen Fussel und Lloyd (Agn-thread)) aus Furcht davor, auch auf dem Gebiet von der Logik überholt zu werden. Dabei ist die Furcht gar nicht gerechtfertigt.
Aber das Vorgehen ist schon geschickt, muß ich sagen, cleveres marketing. Unter dem Schild einer wissenschaftlichen Ausführung z.B. findet in Wirklichkeit eine religiöse Erweckungsveranstaltung statt (gerade las ich die Ankündigung einer solchen, gut getarnten Veranstaltung). Und nicht jeder bemerkt das. Außerdem ist nicht jeder entschlossen oder in der Lage, sich bzw. seine Kinder der schleichenden Verdummung zur Wehr zu setzen.
Gruß
Zwetsche