Determinismus und Dominologie.
Was unter "Determinismus" zu verstehen ist,
das kann ja bei Wikipedia nachgeschlagen werden.
Einen Eintrag über die Disziplin "Dominologie" wird man bei Wiki vermutlich
vergebens suchen, weil ich mir diesen Begriff eben erst ausgedacht habe.
Der "Domino-Effekt" wird zwar schon sehr lange zur Illustration von Kausalketten
benutzt, aber eine "Dominologie" wurde bisher noch nicht formuliert.
Wollen wir darunter eine Disziplin verstehen, die sich dem Studium
der Begleit-Erscheinungen von umfallenden Dominosteinen widmet,
insbesonders den Effekten, die auftreten, wenn Zigtausende Dominosteine
hintereinander aufgestellt wurden.
Diese Begleiterscheinungen können einmal im Jahr am sogenannten "Domino-Day"
bewundert werden. Da entstehen faszinierende Bewegungseindrücke, bis hin zu
kunstvollen Tanzfiguren. Nennen wir diese faszinierenden Bewegungseindrücke
deshalb kurz Domino-Tanzfiguren.
Nun starten wir ein Gedanken-Experiment.
Was wäre wohl geschehen, wenn seit 2500 Jahren die Dominologen immer nur
diese faszinierenden Domino-Tanzfiguren beobachten können hätten,
also nur die Begleiterscheinungen des Umfallens von Dominosteinen,
aber nie den dahinterliegenden einfachen physikalischen Vorgang selbst?
Zweifellos hätten die Dominologen im Laufe der Jahre eine Fülle
von Beziehungen zwischen den einzelnen Domino-Tanzfiguren beobachtet.
Im antiken Griechenland hätten sie womöglich eine eigene Gottheit
für die Abfolge von Domino-Tanzfiguren verantwortlich gemacht,
später hätten findige Köpfe bemerkt, wenn Figur-A am Ort X auftaucht,
dann tritt nach Ablauf der Zeitspanne t die Figur-B am Ort Y auf,
und sie hätten mit großer Wahrscheinlichkeit aus den beobachteten Beziehungen
zwischen den Domino-Tanzfiguren allerlei Gesetzmäßigkeiten abgeleitet.
Würde man die jahrhundertelang so konditionierten Dominologen
heute mit der "gewagten Theorie" konfrontieren, dass hinter diesen
faszinierenden Erscheinungen ganz simple physikalische Vorgänge stecken,
nämlich nichts weiter als das fortgesetzte Umfallen von Dominosteinen,
dann würden gewiss viele Dominologen diese Theorie entschieden ablehnen.
Und jetzt vergleichen wir diese vermutete Reaktion der jahrhundertelang
so konditionierten fiktiven Dominologen mit der Reaktion
der real existierenden Philosophen, Theologen und Psychologen auf die
"gewagte Theorie", derzufolge hinter dem psychischen Geschehen nichts weiter
als fortgesetzte elektrische Stimulierungen und Potentialverschiebungen
in Neuronen stecken ....
Klingelt's ????
.....
Von der Neugier-Dominologie zum Höhlengleichnis 2.0
Okay, niemand hat eine Frage zur Neugier-Dominologie,
und niemand protestiert dagegen.
Das kann ein gutes Zeichen sein, kann aber auch bedeuten,
dass der Sprung vom Domino-Day zum Höhlengleichnis 2.0
für die meisten Leser vielleicht doch nicht nachvollziehbar war.
Das klassische Höhlengleichnis hat zum Gegenstand, dass sich Menschen
falsche Theorien über die Verursachung von Erscheinungen (ein)bilden,
wenn sie längere Zeit von einem Geschehen nur Begleiterscheinungen beobachten
können, und ihnen der wahre dahinterliegende Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
verborgen bleibt.
Wenn man nun die neuronalen Prozesse im Menschenhirn, bei dem sehr viele
miteinander eng vernetzte Nervenzellen nacheinander in einer Kettenreaktion
durch elektrische Stimulation zu impulsförmigen Potentialverschiebungen
(Aktionspotentialen) angeregt werden,
mit dem Umfallen vieler hintereinander aufgestellter Dominosteine vergleicht,
dann lässt sich der Grundgedanke des Höhlengleichnisses auch auf
die Interpretation der Begleiterscheinungen von neuronalen Prozessen
durch die Philosophen und Theologen anwenden, denen mehr als 2500 Jahre lang
die wahren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verborgen geblieben sind.
Dass durch ganz simple physikalische Prozesse verblüffende und faszinierende
Begleiterscheinungen hervorgerufen werden können, das wird am Domino-Day
recht deutlich vorgeführt.
Die Parallelen zwischen der Kettenreaktion von umfallenden Dominosteinen
und der Kettenreaktion von weitergeleiteten elektrischen Impulsen der Neuronen
liegen auf der Hand.
Da ist dann die Vermutung naheliegend, dass auch die faszinierenden Phänomene
wie Geist, Psyche, Seele, Bewusstsein, Ich, Wille, etc.,
als Begleiterscheinungen von simplen neuronalen Prozessen verstanden werden
können.
Das was sich Philosophen und Theologen über Geist, Psyche, Seele, Bewusstsein,
Ich, Wille, etc., in den letzten 2500 Jahren so zusammengereimt haben,
kann als falsche Theorien über die Verursachung eines Geschehens
verstanden werden, wie sie gemäß Höhlengleichnis zu erwarten sind.
Die wahren Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind ihnen verborgen geblieben,
beobachtet werden konnten jeweils nur die faszinierenden Begleiterscheinungen
des neuronalen Geschehens.
Diese Vermutung wird noch deutlich plausibler, wenn auch einige Unterschiede
zwischen umfallenden Dominosteinen und vernetzten Neuronen im Menschenhirn
berücksichtigt werden:
- Die Anzahl der für eine Kettenreaktion verfügbaren Elemente
ist beim Menschenhirn um mehrere Zehnerpotenzen größer als bei
den vorgeführten Domino-Effekten
(Hundert-Tausend Dominosteine versus Hundert Milliarden Neuronen).
Schon allein daraus ergibt sich, dass die Begleiterscheinungen
der neuronalen Prozesse noch wesentlich komplexer und verblüffender
sein können.
- Dominosteine bleiben liegen, nachdem sie umgefallen sind;
im Gegensatz dazu sind Neuronen nach einer kurzen Erholungszeit
wieder bereit für ein nächstes Aktionspotential.
Daraus ergibt sich zusätzlich zur Möglichkeit von mehrfach verzweigten
Ketten (die schon mit Dominosteinen gebildet werden) auch noch
die Möglichkeit von kreisförmigen Kettenreaktionen (Endlos-Schleifen),
was noch einmal die Komplexität der möglichen Begleiterscheinungen
deutlich erhöht.
- Neuronen können durch Änderung des inneren Milieus
ihre Reaktion auf einen Stimulus ändern,
sie können "lernen", ob sie umfallen sollen oder nicht.
Auch dieses Merkmal erhöht die Komplexität der möglichen
Begleiterscheinungen dramatisch.
- ...
...
Die aufgezeigten Parallelen zwischen Domino-Effekt und neuronalem Geschehen
können natürlich nicht als ein Beweis für die Richtigkeit der Hypothese dienen,
dass bestimmte mentale Phänomene lediglich Begleiterscheinungen von neuronalen
Prozessen sind,
aber sie lassen diese Hypothese zumindest recht plausibel erscheinen.
Mit Popper könnte man an dieser Stelle sagen: "Jetzt falsifiziert mal schön!"
...