AW: Liebe Kathi,
(...) Fühlt sich eine Frau, die einen Halbtagsjob um 850 Euro annimmt, nicht gefrotzelt, wenn andere, die – mit oder wie zumeist ohne eigene Schuld – arbeitslos sind und dasselbe vom Staat bekommen?
Und wie ist es, wenn sie zusätzlich zur Grundsicherung noch ein geringes Einkommen erarbeiten können? Dann wäre es eigentlich am besten, ein wenig zu arbeiten, dazu die Grundsicherung und ich habe genauso viel wie ein kleiner Durchschnittsverdiener?
Bei manchen Fällen erscheint mir persönlich auch Letzteres gerecht zu sein (Hausfrauen etwa), aber wie ist es dann mit den vielen anderen Fällen? Welche Arbeitsmoral könnte sich daraus entwickeln? Lässt sich das wirklich so halbwegs wenigstens vorausschauend abschätzen und planen?
Fragen über Fragen, insgesamt keine leichte Entscheidung...
lg
Andreas
Gute Fragen Andreas!
Die Frauen, die einen
Ganztagsjob ausüben und ca. 800 Euro dafür bekommen, fühlen sich allerdings auch gefrotzelt. Sie kriegen aber leider keinen anderen Job.
Ich will damit ausdrücken, dass es bestehende soziale Strukturen gibt, die uns bekannt und vertraut sind und die sich offensichtlich in unseren Gehirnen schon ziemlich fest verankert haben. Wenn wir ein ganz neues Konzept erstellen wollen, dann muss erst einmal das alte auseinandergeklaubt werden. Da bedingt sich einiges gegenseitig und kann nicht einfach verändert werden, ohne zu berücksichtigen, dass auf der anderen Seite auch etwas dranhängt.
Wenn wir damit anfangen, das Bestehende mit dem Neuen zu vergleichen, dann sollten wir jeweils das Gesamtkonzept anschauen. Denn aus dem Zusammenhang gerissen entsteht ein ganz falscher Eindruck.
Ich möchte auch noch einen anderen Aspekt hereinbringen. Wenn wir denen, die durch die Maschen des derzeit vorhandenen sozialen Netzes fallen, keine Existenzberechtigung mehr zugestehen, dann könnte alles so bleiben wie es ist. Wir sollten dann aber wenigstens so fair sein, das auch klar auszudrücken. D.h. diese Menschen sollten sich womöglich still und diskret unter eine möglichst dunkle Brücke o.ä. zurückziehen und stumm ihrem Ende entgegenblicken. Das ist die Alternative, die wir diesen Menschen lassen.
Und das kann ja wohl nicht der Wille unserer zivilisierten Gesellschaft sein, oder?
Jegliches Moralisieren hilft denen nicht, die sich nicht allein helfen können. Auch wenn sich die arbeitende Frau, die sich abstrudelt um den notwendigsten Lebensunterhalt zu verdienen, gefrotzelt fühlt, wird sie nicht wollen, dass man Menschen einfach ihrem Elend überlässt und zusieht, wie sie zu Grunde gehen.
Falls jemand glaubt, solche gibt es ja bei uns nicht, dann täuscht er sich. Wobei das Elend nicht immer gleich sichtbar ist.
Zur Arbeitsmoral:
Resignation ist mMn die Hauptursache dafür, dass ein Mensch lethargisch wird und nichts mehr tun will. Wenn die Existenz gesichert ist, dann braucht keiner mehr "seine Seele zu verkaufen" um zu überleben, sondern kann seinen Neigungen entsprechend das tun, was er gut kann. Und dann will jeder etwas tun. Wie man ja auch weiß, arbeiten sehr viele Pensionisten freiwillig in gemeinnützigen Einrichtungen. Sie könnten auch daheim vor dem Fernseher liegen, denn Geld haben sie genug, aber sie tun es nicht.
Ob das mit einer Grundsicherung funktioniert oder nicht, irgendwie werden wir das Problem angehen müssen. Ich finde das Grüne Modell interessant als anstrebbares Ziel, die rote Version kann leichter an das bereits bestehende System angeknüpft werden und lässt sich daher relativ schnell umsetzen.
Grüße
lilith