Bei der Anthroposophie ist es jedoch so, dass Rudolf Steiner als geistiger Seher diese aus der geistigen Welt empfangen hat und somit sind Empfänger und Lehre nicht voneinander zu trennen. Es gibt Anthroposophen, die sich untereinander nicht einig sind, aber alle beziehen sich auf Steiner - auf wen denn auch sonst?
Die heutigen Anthroposophen beziehen sich auf Aussagen Steiners, wo er richtig lag oder die man so auslegen kann. Dafür ignorieren sie die Aussagen Steiners, wo er nachweislich falsch lag und die widerlegt sind. Dann kann man auch sicher Aussagen finden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werden oder eingetreten sind - weil sie Allgemeinplätze sind.
Das beweist alles gar nichts, erst Recht nicht die Methoden Steiners.
Ein solcher "Seher" kann ein jeder sein, auch ich. So prophezeie ich hier und jetzt, "dass es in den nächsten Jahren in Asien oder Südamerika ein schweres Erdbeben geben wird" - und ich werde Recht behalten.
Im Wesentlichen kann man zwei verschiedene Methoden des Erkenntnisgewinns unterscheiden, die
deduktive Methode und die
induktiv-experimentelle Methode.
Die
deduktive Methode war die Methode der antiken Philosophen und bis in die frühe Neuzeit (Isaac Newton, 1642-1726) auch die bevorzugte Methode der Wissenschaften. (1)
Man zitiert das bereits vorhandene Wissen anerkannter Philosophen und entwickelt deren Erkenntnisse weiter. Experimente für die gewonnenen Erkenntnisse führt man, wenn überhaupt, nur als Beispiele für die Behauptungen durch.
Die
induktiv-experimentelle Methode geht auf Alhazen zurück und wurde von ihm als erster systematisch angewendet. (2)
Nach der induktiv-experimentellen Methode führt man zunächst Experimente durch, um aus deren Ergebnissen die Theorie abzuleiten. Sie ist die heutige, wissenschaftliche Methode.
Will man Steiner in der Methodik einteilen, dann könnte man sein Vorgehen wohl deduktiv nennen. In dem Moment aber, wo man "Empfänger und Lehre nicht voneinander trennen" kann, ist eine Reproduzierbarkeit auch nicht gegeben. So gesehen sind Steiners "Beweise" - wenn er sie überhaupt bringt - wertlos, denn sie beweisen nichts.
Insgesamt ist die deduktive Methode immer weiter auf dem Rückzug.
Selbst Wissenschaften, die noch relativ lange deduktiv gearbeitet haben, die Geschichtswissenschaft etwa oder auch die Archäologie, haben sich damit abfinden müssen, dass experimentelle Ergebnisse ihre lange für richtig gehaltenen Aussagen widerlegt haben, nicht zuletzt durch die Genetik und Molekularbiologie der letzten 20 Jahre. Sogar die Mathematik, ein vom Prinzip her deduktives System, musste schließlich experimentelle, durch reine Rechenleistung erbrachte Beweise zulassen. (3) I.d.R. für lange ungelöste mathematische Fragen, die sich bislang deduktiv nicht lösen ließen.
Das grundsätzliche Ende der deduktiven Methodik - sofern das nicht bereits der Fall ist - ist absehbar. Es wird bald keine Wissensgebiete mehr geben, deren Erkenntnisse deduktiv entstehen.
Dazu muss es nicht einmal positive experimentelle Beweise geben. Eine deduktive Aussage ist widerlegt, wenn alle Möglichkeiten, die aus ihr resultieren, ausgeschlossen werden können - das war auch schon bei Alhazen vor mehr als 1.000 Jahren nicht anders.
Selbst in der Mathematik hat die rechnergestützte, digitale Beweisführung längst begonnen und macht stetig Fortschritte. Ich zweifle nicht daran, dass es bereits in naher Zukunft mathematische Beweise geben wird, die wir als richtig und gültig anerkennen müssen und die kein Mensch mehr nachvollziehen kann. (4)
Rudolf Steiner war schon zu seinen Lebzeiten umstritten, es gibt zu ihm keine neutrale Haltung. Entweder man ist ein glühender Fan Steiners oder sein erbitterter Gegener.
Spätestens aber dann, wenn Steiners Methodik - und zwar die deduktive Methodik als solche - als obsolet, widerlegt oder bestenfalls als unzuverlässig angesehen werden kann, ist Steiners Werk nur noch von kulturhistorischer Bedeutung.
Genauso wie andere historische Erkenntnisse deduktiver Art auch, Aristoteles Sehstrahlentheorie etwa oder auch Goethes Farbenlehre.
(1) Sieht man von dem arabischen Wissenschaftler Alhazen (965-1040) ab, der sie als Erster systematisch anwandte.
(2) Alhazen untersuchte die Augen von Tieren und fand in ihnen den Linsenkörper. Er stellte Experimente mit Linsen an und widerlegte die bis dahin gültige, überlieferte Sehstrahlentheorie der antiken Philosophen für das Sehen. Alhazen gilt als der Erfinder der Lupe. Sein Werk "Schatz der Optik" kam mit den Kreuzzügen nach Europa, wurde hier in das Lateinische übersetzt und war mutmaßlich dem englischen Wissenschaftler Roger Bacon bekannt. Roger Bacon gilt als der Erfinder der Brille und er sagte für seine damalige Zukunft Erfindungen wie das Mikroskop und das Fernrohr voraus. Als der Erste, der im Westen die induktiv-experimentelle Methode anwandte, gilt Isaac Newton - auch er hat Alhazen mutmaßlich gelesen.
(3) Auch wenn es einige Mathematiker gibt, die solche Beweise als nicht für gültig oder zumindest als "unschön" oder "unelegant" ablehnen.
(4) Rein prinzipiell schon nicht, weil die Anzahl der logischen Schritte, die ein menschlicher Mathematiker dafür durchführen müsste, seine eigene Lebenszeit überschreitet. Das kann man kritisieren und das wird auch kritisiert, aber bei reinen Rechenaufgaben tut dies ja auch keiner. Die Millionen von Stellen, die wir für die Zahl Pi bereits berechnet haben kann auch kein Mensch mehr mit Stift und Papier berechnen. Dennoch zweifeln wir nicht an der Richtigkeit solcher Ergebnisse.