ID vs E
Um diesen – eh schon zu langen – Beitrag nicht noch weiter auszudehnen, verzichte ich auf die Zitatfunktion und begnüge mich damit, die Diskutanten (Begriff im herkömmlichen Sinne gebraucht) , auf die ich mich beziehe, jeweils im Fettdruck zu nennen.
Zunächst danke ich Louiz30 sehr, dass er meine Anregung so bereitwillig aufgegriffen hat. Nicht gewußt habe ich, Miriam, dass dies Thema schon mal Gegenstand im Religionsforum war; nun, dann ist es ja eher von Vorteil, wenn wir es in diesem Forum mit neuen Teilnehmern erneut diskutieren.
Ich finde, Louiz30 hat eine ausgewogene Ouvertüre geboten, in keiner Weise dogmatisiert und keine „Attacken“ geritten, ich nehme an, Camajan, mit diesem Begriff willst Du die Anhänger des ID und/oder Kreationismus eindecken; aber hat sich Louiz30 als solcher zu erkennen gegeben? Hat er nicht vielmehr nur sachlich die Thesen referiert?
Auf diese absurden Auswüchse etwa Verbot der Evolutionslehre in Schulen der USA, nicht wahr Miriam, brauchen wir doch gar nicht erst einzugehen; ich bin überzeugt, dass sich in einer pluralen Gesellschaft solche Exzesse von selbst erledigen.
Auf die naturwissenschaftliche Diskussion des Entropiegesetzes lasse ich mich erst recht nicht ein – ganz einfach: Davon verstehe ich zu wenig.
Bei den nachfolgenden Thesen möchte es scheinen, als würde ich den advocatus diaboli spielen – den advocatus dei keinesfalls, denn sollte es IHN geben, hat ER das nicht nötig - , deshalb sei ein persönliches (Glaubens-)Bekenntnis vorausgeschickt, auch wenn ich das nicht gern mache: Ich bin Agnostiker. Meine Grundüberzeugung ist: Wir wissen es nicht, werden es niemals wissen.
Mühelos kann ich den meisten Thesen Camajans zustimmen, auch wenn ich ihm nicht immer so einschränkungslos zu folgen vermag wie Marianne.
1. Wissenschaft und Religion, zweifellos „inkomensurabel“ (Camajan) sind beide ohne eine Hypothese als Ausgangspunkt nicht denkbar. Bei der Mathematik ist dies z.B. die Identitätsgleichung (a = a); bei der Religion der Glaube an einen wie auch immer gearteten Gott.
2. Die Aussagen der Bibel und über sie sind nicht a priori unwissenschaftlich; es kommt darauf an, ob sie objektiv nachprüfbar, also falsifizierbar sind.
3. Beispiele: Die Aussage, dass ein Kind der Eltern Maria und Joseph, genannt Jesus, vor über 2000 Jahren unserer Zeitrechnung (genauer Geburtstag unbekannt) geboren wurde, ist eine historische, ergo wissenschaftliche Aussage. – Dass dies Kind Gottes Sohn sein soll eben nicht. – Wenn Ratzinger sagt, dass das Alte Testament für Tod und Hölle nur ein Wort kennt, Scheol, dann können Sprachexegeten dies prüfen und ggf. widerlegen. Wenn er aber des Weiteren behauptet, dass durch Christus Tod wir der Hölle der Einsamkeit des Todes entronnen sind, dann zieht er, Benedikt XVI. den Talar des Gelehrten aus und legt das Gewand des Priesters an.
4. Weitere Unterschiede: Wissenschaftliche Aussagen haben keinen Ewigkeitswert – Glaubenssätze können es haben. Jede als wissenschaftlich erkannte „Wahrheit“ ist stets nur eine vorläufige; salopp gesagt: Diese sog. Wahrheit von heute ist der Irrtum von morgen. Aber Glauben, da bin ich mal auf Mariannes Seite kann und darf man „Richtiges“ und „Falsches“ – wobei die Wertung, was wozu gehört wiederum eines wissenschaftlichen Kriteriums entbehrt.
5. Eine unwissenschaftliche Behauptung „Ich habe nachts am Fenster die Jungfrau Marie gesehen“ (Papst Pius XII.) muss deswegen nicht unwahr also falsch sein; aber die Evolutionstheorie ist wissenschaftlich, denn sie kann falsifiziert werden (was allerdings eher unwahrscheinlich ist) , und dann gilt sie eben als falsch.
6. Die Forderung Camajans, religiöse und wissenschaftliche Argumente strikt als solche auszuweisen, ist absolut richtig; sie schließen doch einander nicht aus. Doch meines Erachtens zieht Camajan nicht die Schlussfolgerung, die seine eigenen Worte nahelegen: Gerade weil es sich bei Glauben und Wissenschaft um zwei unterschiedliche Ebenen (große Zustimmung!) handelt, sind sie zur friedlichen Koexistenz befähigt. Miriams Darlegung über den Wiener Kardinal Schönborn ist folgerichtig in der Wertung korrekt. Der geistliche Würdenträger angelt in Teichen, die nicht die seinen sind und von denen er – vielleicht - nicht einmal etwas versteht. Man kann mit dem Glauben keine Wissenschaft widerlegen; aber dies Unwiderlegbarkeitsgesetz gilt auch vice versa.
7. Hartmut hat es meines Erachtens in seinem Schlusssatz (# 8) pointiert getroffen: „ID und E ergänzen sich nicht, sie können nur koexistieren wie Glaube und Wissenschaft“.
8. Dankbar bin ich Miriam für den Hinweis, dass ID und Kreationismus nicht gleichwertig falsch sind. – Und, Camajan, natürlich ist es selbstverständliche Voraussetzung jeder Wissenschaft, dass sie „in sich und nach außen widerspruchsfrei“ sein muss – das sog. Kontradiktionsverbot.
Aber die Frage nach dem Entstehungsursprung allen Seins bleibt offen. Die Zweifel trägt der „Giaur“ so in sich, wie sie im Gläubigen nagt: Was ist erste causa und der finale Sinn dieser Welt? – Irgendwann wird jeder Gläubige sich durchringen müssen zu einem Creo, quia absurdum (ich glaube, weil es absurd ist). Denn wenn Gott so erkennbar wäre, wie etwa der griechische und römische Götterglaube vermeinte, dann wäre er ein Menschengott, aber eben nicht Gott.-
Ergänzen können sich nicht Glaube und Wissenschaft, aber Religiöse und Wissenschaftler können es als Menschen sehr wohl, indem sie Reichweite und Grenzen ihre Überzeugungen darlegen und so zum gegenseitigen Verstehen helfen.
In diesem Sinne, Forumsfreunde, laßt uns fröhlich (ungleich zu spaßig) weiterdiskutieren.
Ziesemann
PS: Ich bin sicher, (noch) nicht auf alle wichtigen Beiträge eingegangen zu sein; werde versuchen, das später nachzuholen.