Ja: Und so gehen Individualität und spezifische Inhalte verloren.
Mein Beitrag war natürlich eher provozierend gemeint. Natürlich kann jeder reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Aber was hat denn Dialekt mit Individualität zu tun? Er ist doch vielmehr das Gegenteil von Indivdualität, wenn alle auf dem Dorf genau gleich zu sprechen haben.
Mir fällt zu dem Thema Dialekt immer die folgende Anekdote ein:
Meine Eltern kamen, im Alter von 10 Jahren, als Flüchtlinge aus Schlesien. Meine Mutter erzählte mir mal: Als Kinder,
in Schlesien, da durfte zu Hause kein Dialekt gesprochen werden. Das galt als ungebildet, und der Gebildete spricht Hochdeutsch. Nach der Flucht,
im Westen, da musste dann zuhause der schlesische Dialekt gesprochen werden. Denn der gehörte dann zur geheiligten
Identität, und die war wichtig.
Oder um es mal anders zu sagen: Als die Breslauer noch in Breslau lebten, da haben sie in den 20er Jahren Tango getanzt, denn der war neu und weltstädtisch. Und als sie dann nach '45 im Westen waren, da gründeten die Breslauer dann eine Schlesische Volkstanzgruppe und tanzten Bauern-Volkstänze. Oder das, was sie dafür hielten.
Mir, im Westen geboren und aufgewachsen, ist das alles immer fremd geblieben, sehr fremd. Was hatte ich denn mit "der verlorenen Heimat" zu tun, eine "Heimat", die ich nie gesehen hatte? Und den Dialekt meiner Großeltern verstand ich gar nicht erst. Ich kann allerdings nicht sagen, ich hätte mich jetzt jemals deswegen "entfremdet" gefühlt.
In Deutschland gibt es, im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Ländern, viele Dialekte. Sie sind aber auch eine historische Folge dieser kleinteiligen politischen Strukturen, in denen die Deutschen lange gelebt haben. In Frankreich, dass als "Grande Nation" schon viel früher als ein Zentralstaat mit viel Austausch der Populationen untereinander gelebt hat, gibt es auch weniger und großräumigere Dialekte.
In meinem Leben bin ich schon Menschen, Deutschen, begegnet, die kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Da brauche ich Untertitel. Es gibt deutsche Dialekte, das Thüringesche beispielsweise oder auch das Schwäbische, da wird so viel genuschelt, dass ich jeden zweiten Satz wieder nachfragen muss. Da wird jede Kommunikation zur Farce, und wenn der Gesprächspartner sich nicht einmal ein wenig auf mich zu bemüht (wozu er i.d.R. in der Lage ist), dann signalisiert er im Grunde: Ich will überhaupt nicht, dass Du mich verstehst. Wir mögen hier keine Fremden, und wir, das sind wir. Und 20 km weiter versteht das schon keiner mehr. Provinzieller geht's kaum.
Bayrisch verstehe ich mittlerweile zwar ganz gut, weil ich hier mehr als 25 Jahre lebe.
Dennoch muss ich mich im Gespräch die ganze Zeit darauf konzentrieren, und nach ein paar Stunden brummt mir der Schädel.
Im Übrigen dulde ich im Gespräch so manche Kommunikationshemmnisse nicht nur auf sprachlicher Ebene nicht mehr, sondern auch auf inhaltlicher Ebene nicht mehr. Da will mir einer eine Geschichte mit mehreren Personen, mehreren Ereignissen und an mehreren Orten erzählen, und schließlich kommen da Bruchstücke wie "
Der hat dann ...", "kaputt war
das dann ...", "
Da wo, weist scho ..." - das ist dann für mich Gestammel.
Ich könnte dann so tun, als hätte ich das verstanden (will ich aber nicht). Es kommt dann von mir ein "Das habe ich inhaltlich nicht verstanden.", und wenn dann jemand dasselbe Gestammel identisch wiederholt, dann weiß ich: Aha, ein Trottel. Manchmal muss man sogar oberlehrerhaft ein "Im Ganzen Satz: Werner und ich haben ..." ins Gespräch einwerfen.