AW: Die Wurzeln und die Macht des Hasses
Hallo Miriam!
ich möchte zuerst auf deine Antworten auf meine Beiträge eingehen.
Miriam schrieb:
Lilith, ist das nicht eher die Tatsache, dass im Verständnis der meisten nicht zwei Auffassungen bestehen können, die jede für sich die Wahrheit des einem ist? Ist da nicht schon der Gedanke des Obsiegens einer allgemein gültigen, einzigen Wahrheit mit beinhaltet? Das würde aber, nach meiner Auffassung, auch ein gewisses Mass an Intoleranz bedeuten.
Natürlich ist Hass auch ein Ausdruck der Hilflosigkeit – aber das Bestreben der alleinige Pächter der Wahrheit zu sein ist m.E. keine Lösung. Tatsache ist, dass wir uns schwer tun zu akzeptieren, dass das was wir Wahrheit nennen bloß eine subjektive Angelegenheit ist.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich hier richtig verstehe.
Du hast einen Teil meines Satz es "d.h. ich finde mit Hilfe meines Verstandes Argumente, die erklären sollen,
warum ich recht habe und der andere unrecht.hervorgehoben, also nehme ich an, du beziehst dich darauf.
Einen Satz vorher hatte ich geschrieben, dass das ein
scheinbarer Ausweg aus der Hilflosigkeit ist.
Die
Einsicht beinhaltet ja das Wissen darum, dass Wahrheit subjektiv ist. Und diese Einsicht ist mMn der einzige Weg, um Verständnis und Achtung für die Wahrheit eines anderen zu gewinnen. Aber das habe ich ja in meinem obigen Beitrag schon erklärt.
Wir stimmen da mMn ja sowieso überein.
Die Unterscheidung von Hass und Zorn ist in deinm nächsten Absatz für mich nicht schlüssig:
Miriam schrieb:
Für mich spricht das eher für ein zu langes Verharren in einer Zwangslage oder Abhängigkeitsverhältnis und der Hass (ich würde es eher als Zorn bezeichnen), richtet sich im Grunde genommen gegen die eigene Hilflosigkeit, gegen das Unvermögen oder der Furcht vor dem was einen erwartet, wenn man diese Kerkermauern überwinden würde. Ich nenne es Kerkermauern, denn sich der Wahrheit eines anderen zu unterwerfen bedeutet auch Unfreiheit.
Du erwähnst einerseits den Zorn gegen dich selbst, gegen dein Unvermögen bzw. deine Furcht. Das ist aber nur ein Teil dieser Geschichte. Der Hass auf jene, die dich unterdrücken, die dich in diese Zwangslage gebracht haben, ist der andere Teil.
Und diesen Teil habe ich beschrieben. Der Hass unterscheidet sich sehr vom Zorn. Nicht zu unrecht wird der Zorn auch manchmal "heiliger Zorn" genannt. Er schafft einen Weg, sich selbst und seine eigene Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, aber er ist frei von Rachegedanken. Dem Zorn geht es nicht darum, den anderen genauso zu unterdrücken, wie man selbst unterdrückt wurde, er befreit das Individuum und gibt ihm die Macht über sich selbst zurück.
Der Hass will sich rächen, will den Unterdrücker vernichten, will zerstören, oft ohne Rücksicht darauf, dass man sich dabei selbst am meisten schadet.
Der Hass will jede Macht zerstören. Der Zorn will sich die Macht über sich selbst wieder zurückholen.
Miriam schrieb:
(...)– und doch gibt es auch Zeitgeschehnisse denen nicht diese Relativität zugemessen werden kann. Das sind die Gräueltaten der Kriege, die Foltergefängnisse über die wir immer mehr erfahren – um nur einiges zu nennen.(...)
Warum kann das nicht relativiert werden? Das geschieht doch! Sobald ein Krieg offizielle erklärt wird, gilt das Kriegsrecht. Da gelten doch andere Maßstäbe für GUT und BÖSE! Nicht dass ich das gutheiße, aber in Militär-Kreisen wird doch so gehandelt. Es muss also jemanden geben, der das Kriegsrecht als "gut" ansieht. Jene Menschen, die diese Taten begehen, meinen wahrscheinlich, dass sie das richtige tun. Und die Grenze zwischen "normalen" Handlungen im Krieg und "Gräueltaten" ist sehr schmal, da stürzt schon mal einer auf der "bösen" Seite ab. Es geht ja auch leicht, denn wenn auf einmal so viele schreckliche Handlungen wie Mord und schwere Körperverletzung, die im normalen Leben als schwere Verbrechen gelten, erlaubt und sogar erwünscht sind, dann kann man leicht übersehen, dass es doch noch Grenzen gibt, die gewahrt werden müssen. (Entschuldige, da schlägt bei mir ein wenig der Zynismus durch!)
Ich denke auch an die Argumentation von Claus, der ja auch der Meinung ist, er sei ein "guter Mensch", obwohl er "Gräueltaten" an "menschenunwürdigen Verbrechern" gutheißt.
Aber damit kommen wir vom Thema "Hass" ein bisschen ab.
Ich glaube, wenn es nur um unterschiedliche Wahrheiten geht, dann ist nicht so sehr Hass im Spiel. Aber beim Thema Islam und Terrorismus geht es um mehr. Es geht um die Aufteilung der Welt in die Guten und die Bösen. Da haben die christlichen Kirchen schon sehr viel Vorarbeit geleistet. Da hat die "erste Welt" schon ziemlich viel Vorarbeit geleistet, man denke an die Kolonialherrschaft in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Amerikas. Jahrhunderte der Unterdrückung und Ausbeutung haben sehr viel Hass in sehr vielen Menschen entfacht. Und nun hat sich eine nicht mehr ignorierbare Menge an Menschen entwickelt, die nicht mehr länger an ihrem eigenen Hass ersticken wollen.
Da geht es um das Zurückholen ihrer Macht über sich selbst, aber der Hass ist bei vielen eben auch spürbar.
Deswegen ist es ja auch so heikel, in welcher Form auf die zornigen Ausbrüche vom Westen reagiert wird. Denn der Zorn kann sofort wieder in Hass umschlagen.
Du erwähnst die Absage von Mozarts Oper Idomeneo in Berlin. Ist es Zensur, der man sich zähneknirschend beugen muss, oder Einsicht, die die Verantwortlichen bewogen hat, einen Rückzieher zu machen? Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich die näheren Umstände nicht kenne. Oder ist es vielleicht nur die Angst vor der Rache derer, die nicht mehr als Menschen zweiter Klasse leben wollen, nur damit wir es bequem haben?
Ich weiß die Antworten nicht, wahrscheinlich wird alles dazu beitragen und noch viel mehr, von dem ich nichts weiß.
Wir haben dem Hass leider nicht sehr viel entgegenzusetzen. Wir haben hauptsächlich Angst vor der zerstörerischen Kraft, die über uns hereinbrechen könnte, wenn wir uns nicht schnell verbarrikadieren.
Wir sollten uns aber endlich auch mit unserem Anteil an der Entstehungsgeschichte des Hasses auseinandersetzen, damit das nicht ewig so weitergeht.
Es wird eine Gratwanderung sein müssen zwischen Beschwichtigungsstrategien, wie sie der Papst jetzt versucht, Dialogen, die das Verständnis füreinander wachsen lässt, und Schutz vor den Gewalttaten der hasserfüllten Zerstörer.
Allerdings glaube ich nicht, dass ein jahrhundertelang gewachsener und immer wieder geschürter Hass so schnell verschwinden kann. Denn vertrauensbildende Maßnahmen, die die gegenseitige Einsicht fördern könnten, sind ja leider auch noch nicht sehr häufig. Und die große Weltpolitik ist immer noch dabei, den Hass weiter zu schüren.
lilith