AW: Die schwere Krise der Sozialdemokratie in Deutschland und Österreich
Eigentlich war es abzusehen, daß - ich kann nur für Deutschland sprechen - das Bundeskasperletheater weiter geht. Westerwelle als Außenminister... tri, tra, trullalla... was vorher noch als Witz durch das Land geisterte, ausdrücklich ein politischer Witz, weil ein Wowereit lange vorher schon eine ganz bestimmte Pointe ziemlich unbrauchbar gemacht hatte, wird nun Realität werden...
Noch wird das Präludium zum 17. Bundeskasperletheater gespielt, keiner der hochprozentigen Kandidaten will angeblich ein politisches Amt, man müsse erstmal abwarten, noch schauen, und vor allem reden... bei dem ganzen Mediengelüge, das noch dadurch garniert wird, daß der Bürger in den Umfragen sagt, er wisse ja, daß gelogen wird, möchte man meinen, den Willen zur Macht gäbe es gar nicht...
SPD-Chef Müntefering war besonders hellsichtig, oder er hat auch nur den subtilen Unterton der Jusos verstanden, die - diesemal tatsächlich ohne Lügen - in die Kameras klar zu verstehen gegeben haben: es muß eine radikale Erneuerung stattfinden. Man dürfe nicht einfach weitermachen wie bisher...
Müntefering antizipiert die Welle, die da auf ihn zuzurollen beginnt: auf dem nächsten Parteitag in Kürze will er wieder als Vorsitzender kandidieren, sagte er ganz eilig. Da steht nun für alle anderen die logische Gegenfrage im Raum: wieso?! Will die SPD wieder mal 16 Jahre in die Opposition?
Zugegeben, diese Frage stellt sich auch, wenn der Kanzlerkandidat der SPD den politischen Bodensatz in diesem Land nicht genügend aufwirbelt. Lasche SPD-Kanzlerkandidaten sind in der Ära Kohl stets gekommen und gegangen. Nichts für eine solide Elefantenrunde unter echten Männern, die sich wenigstens auf die Kunst verstehen, besonders subtil und fantasievoll zu beleidigen.
Ein SPD-Mann hatte es damals geschafft, Helmut Kohl auf's Altenteil zu schicken und die SPD zur Regierung zu führen. Gerhard Schröder, heutzutage besser bekannt als Gas-Gerd, und auch ein wenig hellsichtig, als er seinen Wahlkampf damals mit dem legendären Schrei am Absperrgitter des Bundeskanzleramts begann: ich will hier rein...
Ich habe viele immer wieder diesselbe Beobachtung zu Schröder machen hören: bei dem bewegt sich rund um die Augen gar nichts. Keine Mimik. Egal, was er sagt, das Gesicht bleibt immer maskenhaft aufgesetzt. Und genau in dieser kleinen und unscheinbaren Bemerkung sehe ich persönlich sein ganzes "Erfolgsgeheimnis". Ich sage hier nicht, Schröder wäre ein begnadeter Lügner. So eine Behauptung stünde mir ebenso wenig zu wie seinem Haus- und Hoffriseur. Aber mit eigenständigem Denken mag man zu gewissen Rückschlüssen kommen, etwa, wenn man darüber nachdenkt, warum er ausgerechnet zu Putin ein so enges Verhältnis pflegt...
Und so sehe ich mir immer wieder im Stillen an, welche SPD-Kanzlerkandidaten es "geschafft" haben und welche nicht. Diejenigen, denen ich persönlich einen Funken Anstand und ehrliches Bemühen um die Sache zugetraut habe, wurden nicht gewählt. Zufall?
Und andererseits: was hat der letzte gewählte SPD-Kanzler eigentlich wirklich in diesem Land erreicht? Er hat das in Jahrhunderten gewachsene, schon dem alten Bismarck zuweilen in heftigen Kämpfen abgetrotzte Sozialsystem ernstlich beschädigt, hat das Anwachsen sozialer Kälte, rücksichtsloses Besitzstreben und die Ausbeutung von Mensch und Natur als zweckdienliches Sachvermögen gefördert und ermöglicht. Vor allen Dingen stand er für das Prinzip: der Zweck heiligt die Mittel...
Die wirklichen Probleme unseres Landes, wie etwa die Auswirkungen der sich ändernden Altersstruktur, die zuweilen dramatischen Folgen der Globalisierung, die ungünstige Entwicklung hinsichtlich versiegender Rohstoffversorgung und des immer lebensfeindlicher werdenden Weltklimas, diese Probleme sind nicht nur nicht gelöst, sie haben sich förmlich unter der Politik des kultivierten Wegschauens und Beschwichtigens angesammelt und aufgetürmt. Ich behaupte: ein Gerhard Schröder war der Namenspatron und Begründer einer Politik, der es nur noch um die pure Macht geht. Eine Allianz aus Finanzmacht und politischer Macht, bei der eine Krähe der anderen kein Auge aushackt...
Soviel Arroganz der Macht hätte damals niemand einem SPD-Politiker zugetraut. Gerhard Schröder hat wie ein trojanisches Pferd dem Neoliberalismus die Hintertür zu dieser, ehemals pluralistisch aufgefächerten Gesellschaft geöffnet und für die SPD das Verderben ausgehend von der eigenen Mitte eingeladen. Das uralte Kräftegleichgewicht zwischen den Besitzern der Produktionsmittel und den Arbeitern, die damit Mehrwert produzieren, ist in Schieflage geraten. Das Schlimmste dabei: die stetige Zunahme der Armut in diesem Land wird von der breiten Masse der Bevölkerung nicht als ernstes Warnzeichen zur Umkehr gesehen, sondern sogar als Bestätigung dafür, daß es nur noch darauf ankommt, daß der Nachbar gerne noch ärmer werden darf, wenn dadurch nur der eigene Wohlstand gesichert ist.
Es gibt kaum noch Solidarität in diesem Land. Es hat sich das unmoralische Prinzip breitmachen können, daß nur der Stärkere überlebt und man selber daher tunlichst zu den Starken gehören sollte. Die globale Entwicklung der Weltwirtschaft wird außerdem noch als Beleg für die Richtigkeit dieses Sozialdarwinismus' angesehen, anstatt als abschreckendes Beispiel, wie es nicht gehen kann. Und wenn Millionen Menschen die psychopathologischen Gedanken vom Streben nach Überlegenheit und Sieg so weit verinnerlicht haben, ist der Damm gebrochen. Arme Menschen werden dann in einer Reichengesellschaft so weit ausgrenzt, daß Hartz IV inzwischen ähnlich als Schimpfwort auf Deutschlands Schulhöfen eingesetzt wird, wie man vor längerer Zeit den anderen mit "Judenschwein" betitelte.
Die Sozialdemokratie ist deswegen in einer schweren Krise, weil die politisch denkenden und handelnden Menschen verloren gegangen sind, die sich auf diese Werte beziehen und auch dazu stehen. Werte und Grundhaltungen wie Gerechtigkeit und auch Nächstenliebe sind die Basispfeiler der Sozialdemokratie. Man hätte nicht zulassen dürfen, daß jemand aus Gründen des Machterwerbs- und erhalts diese Pfeiler einstürzen lässt.
"Die Gier ist gut" heißt es in dem Film "Wallstreet" mit Michael Douglas. Dieser Satz wurde durch das Verhalten eines SPD-Kanzlers salonfähig. Viele haben diesen Satz nun soweit verinnerlicht, daß das Entsetzen über eine solche Grundhaltung nicht mehr bewußt als zu einem selbst gehörig erlebt werden kann. Es wird abgewälzt werden auf die schwächeren Minderheiten in diesem Land. Und die schwarz-gelbe Farbmischung der neuen Bundesregierung droht dieses Deutschlandlied nun mit verschärften Akzenten weiterzuspielen.
Gute Nacht Deutschland! Du bist wieder Exportweltmeister. An Auswanderern...
Der Rote Baron
rg
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