Aus dem überzeugten Auftreten der Anderen, sie wüssten was hilft, in Kombination mit der vollständigen Verfehlung potentieller erfolgreicher Zustandsverbesserung, resultiert ein gewaltiges Misstrauen der Patienten gegenüber den Verantwortlichen des Behandlungserfolgs. Das führt zu Medikamentenverweigerung, Behandlungsverweigerung im Krankenhaus und die daraus resultierende Zustandsverschlechterung zu weiterer Vergrößerung der Verzweiflung im Empfinden der Auswegslosen Verdammnis
Ich wohne in einer Einrichtung für Wohnungslose, diese ist in 3er WGs organisiert, im Grunde richtige 3-Zi-Whg. Im Unterschied zu "normalen" WGs kann ich mir meine Mitbewohner allerdings nicht aussuchen. Eines Tages kam ein neuer Mitbewohner, ich mochte ihn, im Grunde. Einer meiner Freunde kannte ihn, zufälligerweise.
Anfangs kam ich mit ihm gut klar, aber er wurde mit den Tagen und Wochen immer seltsamer.
Aufgrund meiner Lebenserfahrung merkte ich bald, dass es ihm ziemlich schlecht ging, und das etwas mit ihm nicht stimmte. Auch ich selbst bin regelmäßig in hiesigen Sozialberatungen, und ich wies meinen Sozialberater mehrmals darauf hin, über Wochen, dass man sich um meinen Mitbewohner mehr kümmern müsse. Ich sagte ihnen, dass es sich nicht um ein "Software-" sondern um ein "Hardware-" Problem handle und das es sich nicht um meine soziale oder psychologische Befindlichkeiten handele, weswegen ich da vorspreche.
Es passierte aber nichts, man ignorierte meine Beobachtungen oder versuchte mich zu beschwichtigen.
Wohlgemerkt: Ich sehe mich weder als Erbsenzähler noch als Spiesser oder gar Blockwart. Leben und leben lassen, da rennt man bei mir offene Türen ein. Ich wollte ihm eher helfen und nicht schaden.
Viel zu spät erfuhr ich - von dem o.g. Kumpel - das mein Mitbewohner seine Medikamentierung eingestellt hatte, ganz abrupt.
Da war allerdings alles bereits viel zu spät - denn inzwischen hatte sich mein Mitbewohner in eine Art Psycho-Zombie verwandelt, der Tag und Nacht wirr brüllt und (laute) Geräusche hervorbringt, wie aus einem kaputten Synthesizer, von denen man nicht glaubt, dass sie ein Mensch überhaupt erzeugen kann.
Am Ende war er nur noch ein schreiendes Bündel, physisch eine Art unkontrollierter Hampelmann, psychisch völlig unverständlich, für jeden sozialen Menschen schaurig mit anzusehen.
An dieser Stelle sollte man sich vergegenwärtigen: Ich teilte eine Wohnung mit ihm, noch dazu im ersten Lockdown.
Trotz seines traurigen Zustandes war er keineswegs aggressiv, ich hatte keine Angst vor ihm. Er tat mir leid.
Schließlich hatte ich aber keine Wahl mehr, ich musste handeln und mittels meiner Sozialberater etwas unternehmen. Das wollte ich nicht, aber es ging nicht mehr anders.
Es hätte auch an seiner Situation nichts geändert, wenn ich tatenlos geblieben wäre.
Denn mittlerweile brüllte er ununterbrochen zum Fenster heraus, Passanten auf der Straße, zu Nachbarn. Wenn ich nicht gehandelt hätte, dann hätten es die Nachbarn getan, früher oder später.
Es kam, wie es kommen musste: Krankenwagen, Polizei, Zwangseinweisung. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Irgendwann kam ein neuer Mitbewohner.
All das hat mir lange zu denken gegeben, wochenlang, im Grunde bis jetzt. In meinen Augen hatte das System versagt, denn ich hatte schon viele Wochen vorher versucht, in der Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitern etwas zu bewirken. Nach meiner Ansicht hätte es zu der Zwangseinweisung nicht kommen müssen, man hätte das alles (vielleicht!) vorher abwenden können. Und dies sage ich hier jetzt als Amateur, denn schließlich lebe ich nach wie vor in einer Art "betreuten" Einrichtung, und es gibt nicht wenige Profis hier, die teuer vom Staat bezahlt werden.
Eine Zwangseinweisung ist immer Scheisse, sie zieht einen Rattenschwanz von Problemen und Schwierigkeiten nach sich.
Aufgrund meiner eigenen sozialen Situation weiß ich, wie schwer und wie langwierig es ist, irgendeine vergangene Kacke mal hinter sich zu lassen und sich am eigenen Zopf selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Das ist selbst für einen psychisch gefestigten Mensch schwer - und für eine psychisch "kranken" Menschen wahrscheinlich geradezu unmöglich.
Das hätte ich meinem Mitbewohner gern erspart. Zwar kann ich mich damit beruhigen, alles in meiner Macht stehende versucht zu haben. Wahrscheinlich ist das auch so. Genauso wie ich mir sagen kann, es sei ein "PAL" (= Problem Anderer Leute) und damit für mich nicht existent.
Ich habe kein Helfersyndrom, es hat schon einige Sorgenkinder in meinem Leben gegeben, die mir fritze-karl-arsch-egal waren.
Dennoch kann man in dem einen oder anderen Fall es zumindest versuchen, bei anderen wirklich krasse Kacke abzuwenden - aus sozialen Gründen, gerade und auch dann, wenn man selbst bereits mit seinem Schicksal kämpft.
Es war nicht das erste Mal, dass ich für mich so schwere Entscheidungen treffen musste. Für irgendein menschliches Arschloch ist das alles ganz leicht: Hau' ihn weg, den Schwachmaten, er ist ja selbst schuld. Für mich kollidieren da aber die persönliche Freiheit, die ich jedem Menschen zugestehe und ggf. die Sorge vor gravierenden Folgen, wie die Titanic auf den Eisberg fährt, aufeinander. Zumal deshalb, weil ich angesichts meiner (seltenen) epileptischen Anfälle das ganze Geschwurbel nur selbst zu gut kenne.
Ein Exzentriker mag sich auf der Autobahn selbst zu Tode rasen - das wäre mir relativ egal. Deine Entscheidung, auf der Überholspur zu leben, bitte sehr. Ein psychisch kranker Mensch ist aber etwas völlig anderes, er kann nichts dafür, oder nicht unbedingt.