Eine Frage der Moral?
Jacques schrieb:
Wie gehst du mit Genozid oder Euthanasie um? Oder mit dem Hungertod, den viele Menschen tagtäglich sterben? Mit damit verbundener wirtschaftlicher Ausbeutung? Es ist ja nicht so, dass dich diese Dinge nicht tangierten, da sie teilweise tagtäglich stattfinden. Ich bin an deinem Standpunkt diesbezüglich ernsthaft interessiert...
Eine interessante Frage, in der Tat. Wie geht man damit um? Wie gehst du damit um und wie gehe ich damit um?
Wie gehen wir mit diesen Schrecken denn um? Oder mit Katastrophen in Gegenden, die weit weg von uns stattfinden? Die meisten Leute lesen davon in der Zeitung und sind furchtbar entsetzt, dass es so unmenschliche Dinge gibt. Und dann werden Statements geschrieben, Reden gehalten, empörte Aufrufe gestartet. Keiner wird davon wieder lebendig, und dort geht - eventuell nach einer kleinen (goodwill-show)-Unterbrechung - alles weiter wie vorher.
Nichts ändert sich dadurch, dass irgendwer irgendwo entsetzt ist; Irgendwer, den es nicht persönlich getroffen hat, der aber die moralische Einstellung hat, dass das nicht richtig ist, was da geschehen ist.
Aber was könnte ich tun, außer meine Betroffenheit kundzutun? Welchen Genozid könnte ich verhindern? Ich würde mich niemals daran beteiligen, ich drücke es auch aus, wenn mich jemand danach fragt, aber es gehört nicht zu meiner Wirklichkeit.
Ich glaube auch nicht, dass noch jemand überrascht ist, welcher grausamen Dinge die Menschen fähig sind, es sei denn, der/diejenige ist noch sehr jung. Ich habe in meinem Leben schon zu viele schreckliche Dinge gehört und gelesen, als das ich annehmen könnte, Menschen die zu "Schreckenstaten" fähig sind, sind "unmenschlich". Ich bin nicht mehr empört. Es ist schon zu oft geschehen und es geschieht immer wieder, trotz aller Aufrufe zur Abhilfe.
Und es geschieht auch deswegen immer wieder, weil gerade die Absicht, etwas "richtig" zu machen, so viel Fanatismus erzeugt, der die vermeintlich "falsch" Handelnden im schlechtesten Fall in Leid und Tod treibt.
Das "Leid der Welt" ist zu groß für einen einzelnen Rücken, für meinen sicherlich. Ich habe schon genug damit zu tun, mit dem umgehen zu lernen, was in meinem persönlichen Leben auf mich zukommt. Die Menschen, mit denen ich mein Leben teile, können auf meine Unterstützung zählen, da kann ich direkt und aktiv etwas tun, wenn mich jemand braucht und umgekehrt.
Ansonsten sehe ich keinen Handlungsbedarf.
Was aber nicht heißt, dass es nicht auch für manche Menschen eine Art Berufung ist (wie z.B. für Mutter Theresa, die fällt mir da spontan ein, oder Albert Schweitzer), auch irgendwo hinzugehen, wo sie gerne helfen wollen.
Das ist mMn aber dann keine Frage der Moral oder des Anstands, sondern eher ein persönliches Bedürfnis, einem "inneren Ruf" zu folgen.
herzlich
lilith51