• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Richard Dawkins - Der Gotteswahn

AW: Richard Dawkins - Der Gotteswahn

Zusatz: lese gerade, dass es 1-2 Tage dauert bis eine Sendung wie die von Kerner in der Mediathek aufzurufen ist.

M.
 
Werbung:
AW: Richard Dawkins - Der Gotteswahn

Gysi schrieb:
Lustig war, wie Jaschke Dawkins seinem etwas leidenschaftlicheren Vortrag "Unwissenschaftlichkeit" vorwarf und er selber im Ton der tiefen Überzeugung behauptete, die Moral käme von Gott, anders ginge es doch nicht...

Richtig, das wollte ich umbedingt noch erwähnen, weil mir dies wirklich unangenehm aufgestoßen ist. "Heeee, wollte ich schreien, ich bin also ein unmoralisches Wesen, da ich mich nicht zu einem Glauben bekenne."

Es ist eine der Überheblichkeiten aber auch der großen Dummheiten fast aller Glaubensrichtungen.

 
AW: Richard Dawkins - Der Gotteswahn

Richtig, das wollte ich umbedingt noch erwähnen, weil mir dies wirklich unangenehm aufgestoßen ist. "Heeee, wollte ich schreien, ich bin also ein unmoralisches Wesen, da ich mich nicht zu einem Glauben bekenne."

Es ist eine der Überheblichkeiten aber auch der großen Dummheiten fast aller Glaubensrichtungen.


Natürlich ist das auch Nonsens von Jaschke, der sonst aber normalerweise ganz vernünftig argumentiert. Er scheint allerdings nicht viel von Kant zu halten. Sonst würden wir ja - gäbe es Gott nicht, was ja sein kann - automatisch im Zustand der Gesetzlosigkeit und Amoraliät leben. Das wäre schon rein logisch völlig absurd, weil wir dann ja schon mangels Gottes im Zustand der "Dauersünde" leben würden. Nur stellt sich dann wieder die Frage, ob es ohne Gott und somit ohne Moral überhaupt "Sünde" geben kann. Will uns Jaschke also im Falle, daß es keinen Gott gibt, von der Sünde ein für allemal befreien? Keine Angst, ich habe nicht den Verstand verloren. Dieses seltsame Beispiel soll nur deutlich machen, daß "Moral" immer nur von Menschen und nie von Gott definiert und vor allem normiert wird. Der Mensch ist folglich auch selbst veranwortlich für seine Ethik. Und Moral gibt es mit oder ohne Gott. Der ganz große Fehler der Fundamentalisten ist ja gerade, daß sie ernsthaft und wider jede Vernunft davon ausgehen, die geschriebenen Worte seien unmittelbar Gottes Worte. Das große Unheil liegt doch gerade darin, wenn jemand von der Unfehlbarkeit bestimmter Dogmen ausgeht, seien sie nun die Gottes und seiner Verkünder oder die anderer Ideologien.

Eine andere Frage ist wieder, ob er glaubt, sich durch die Einhaltung bestimmter Regeln an Gottes Willen zu halten. Was also des einen soziales oder rechtliches Gewissen ist, bedeutet dem anderen sein Glauben. Setzt er sich hingegen unter Berufung auf die Bibel, den Koran o.ä. über geltendes Recht hinweg, wechselt er nur die eine von Menschen erstellte Kodifikation durch eine andere (ebenfalls von Menschen erstellte) aus.

Die Frage, ob es "gut" ist, kann in der Allgemeinheit ja nicht beurteilt werden, hängt z.B. davon ab, ob er in einem Rechtsstaat lebt oder nicht. Wenn z.B. ein Soldat die Erschießung unschuldiger Zivilisten verweigert, kann er sich durchaus auf Gott berufen. Oder auf sein Gewissen. Nicht aber (allein) auf ein geschriebenes Wort.

Gruß
Zwetsche
 
Der ganz große Fehler der Fundamentalisten ist ja gerade, daß sie ernsthaft und wider jede Vernunft davon ausgehen, die geschriebenen Worte seien unmittelbar Gottes Worte.
Den ganz große Fehler haben die Katholiken begangen, als die die Bibel als das Heilige und unfehlbare Buch postulierten. Die Fundamentalisten versuchen lediglich, die besser Gläubigen zu sein. Von einer Trennung der bösen Fundis von den lieben und aufrichtigen Kirchen halte ich nichts. Die Kirchen sind noch die Großkirchen, weil sie den Zeitströmungen und damit dem Willen des Volkes hinterherschleimen, um ihre Macht, ihre Kohle und nicht nicht auch noch die letzten Möglichkeiten zu verlieren, ihre abenteuerlichen Angstmärchen an die dummen Schafe zu bringen. Alle fuffzich Jahre seine religiösen Grundüberzeugungen (wie die Höllenlehre) über Bord zu schmeißen, zeugt nicht von einem überzeugenden Gottesglauben... Oder ist der Wahrheitsgehalt der Religion demokratisch abstimmbar? Die Fundis sind die geistigen Kinder ihrer Mutterkirchen, die so tun, als ob diese Bälger Aliens seien.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Richard Dawkins - Der Gotteswahn

Es ist aber ein Unterschied, ob Glauben ein Produkt logischer Reduktion ist oder ein Produkt eines vermeintlichen Wundererlebnisses! Und die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema lässt uns die Nichtexistenz Gottes zwar nicht beweisen, aber seine Existenz ist doch seeeehr unwahrscheinlich! Der theistische Gott, der unsere Gebete erhört und sich auch sonst um die menschlichen Belange kümmert und uns auch mal mit einem Weltkrieg oder einem Tsunami ärgert, ist zu 100 % ausschließbar. Der deistische Gott, der den Urknall angeleiert hat, aber seitdem arbeitslos ist, na, den schließe ich zu 99,999 % aus.

Gysi
Was kümmert's Gott, wen oder was du ausschließt?

Bemerkst du nicht, dass du Gottesbilder kreierst und diese Kreationen dann ausschließt? Das ist so keine wissenschaftliche Beschäftigung mit Gott.

Im Verlauf des Mittelalters erkannten die geistlichen Gelehrten, dass es keinen Beweis für die Existenz Gottes gibt. Die darauffolgende Panik, welche die Inquisition angeheizt haben dürfte, spricht nicht gerade für tiefen Glauben. Und alles zusammen mag Gelehrte dazu veranlasst haben, sich vom Glauben an Gott zu lösen.

Diese Lösung fand ihren Höhepunkt in der "Aufklärung", als man erkannte, dass es auch keinen Beweis gegen die Existenz Gottes gibt. Und einige Gelehrte reagierten ähnlich irrational wie seinerzeit die Geistlichen und erklärten die unhaltbare Hypothese, es gäbe einen Gott für Unsinn. Das löste wiederum religösen Fundamentalismus aus.

Eine logische Schlussfolgerung aus der Absenz beider Beweise kann doch nur sein: Wir wissen nicht, ob es Gott gibt.

Frankie hat es ausgesprochen, ich will es präzisieren: DIe einen glauben, dass Gott existiert, die anderen glauben, dass Gott nicht existiert. Beides ist einGlaube, beide Seiten setzen sich aus Gläubigen zusammen, und die Radikaleren beider Seiten verteidigen oft ihren Glauben mit vergleichbarer Vehemenz.


Weiters: Es ist ein Unterschied, ob man gegen Religion an auftritt oder gegen bestimmte Religionsgemeinschaften. Die Grausamkeiten, die im Namen Gottes volbracht wurden und noch werden, kommen nicht von den Religionen sondern von Menschen bzw. Menschengruppen, die Religion als Vorwand Gläubigen gegenüber benutzen oder als Rechtfertigung, ob wohl die meisten Religionen in irgendeiner Form das Gebot "Du sollst nicht töten." gemeinsam haben. Sie handeln eigentlich nicht im Geiste ihrer Religionen. Gäbe es andererseits keine Religionen und keine überirdische Verankerung dieses Gebots, was sollte dann Menschen daran hindern, Mitmenschen zu töten, wenn sie davon ausgehen können, nicht dafür bestraft zu werden? Nicht einmal drohende Strafen hindern viele Menschen an Untaten, die von der Religion und vom Gesetz her verboten sind.


Zusammenfasung:

1) Ob es Gott gibt oder nicht, wissen wir nicht wirklich, weil sich beides nicht beweisen lässt.

2) Die Grausamkeiten, die Menschen begehen, kommen nicht aus der Religion sondern von menschlichen Eigenschaften, die auch ohne Religionen ihren Ausdruck fänden.


PS: Frankie schrieb nicht von vermeintlichen Wundererlebnissen. Aber vielen Menschen genügte ein vermeintliches Wunder ebenso wie anderen eine vermeintlich wissenschftliche Aussage. Mir ist aufgefallen, das sowohl die heftigsten Verteidiger eines religiösen Weltbildes wie auch die eines naturwissenschaftlichen Weltbildes oft erstaunlich wenig vom jeweils von ihnen verteidigten Weltbild verstehen.
 
Die Grausamkeiten, die Menschen begehen, kommen nicht aus der Religion sondern von menschlichen Eigenschaften, die auch ohne Religionen ihren Ausdruck fänden.
Aber die Religionen halten mit ihrer göttlichen Kraft die Menschen auch nicht davon ab, als funktionierende Gemeinschaftswesen zu entgleisen. Und wem 72 Huris und das ewige Leben versprochen werden, der ist zusätzlich aufgepuscht. Immer wieder das selbe Beurteilungsraster: Gott ist gut, der Mensch ist scheiße; die Religion ist gut, die kann doch nichts dafür... die beißt nicht, die will doch nur spielen... Die Religion ist so schuldlos an seiner Wirkungskraft, wie das Heroin an der Drogensucht der Süchtigen ebenso schuldlos ist...
Mir ist aufgefallen, das sowohl die heftigsten Verteidiger eines religiösen Weltbildes wie auch die eines naturwissenschaftlichen Weltbildes oft erstaunlich wenig vom jeweils von ihnen verteidigten Weltbild verstehen.
Mir ist aufgefallen, dass die, die die Angstreligionen kommentarlos oder zumindest leidenschaftslos wirken lassen, nicht tolerant sondern ahnungslos sind, was ihre faschistoiden Strukturen und die Leiden betrifft, die diese Religionen produzieren...
 
vom "dumm halten" der religionen

Mir ist aufgefallen, dass die, die die Angstreligionen kommentarlos oder zumindest leidenschaftslos wirken lassen, nicht tolerant sondern ahnungslos sind, was ihre faschistoiden Strukturen und die Leiden betrifft, die diese Religionen produzieren...

hallo gysi,

ich möchte eigentlich nicht weiter auf das thema gott und meine persönliche sicht dieser kraft eingehen.
doch ich möchte ausdrücken, dass ich sehr gut nachvollziehen kann, was dir so gegen den kragen geht.
es ist das "dumm halten" des volkes, das tw. sogar aufgeputscht wird, damit es weiter gefügig gehalten werden kann.
es ist der umstand, dass dieses system von sehr vielen menschen noch gar nicht durchblickt wurde...oder ignoriert wird.
wenn es ignoriert wird, dann entweder, weil die auswüchse und die ausmaße dieser nicht erkannt werden...oder weil sich der mensch ohmächtig gegenüber diesen umständen wähnt.
ohnmächtig und allein gegenüber einer mauer aus torheit und unwissenheit.

ich kenne diese situation nur allzu gut und finde mich selbst doch immer wieder mit diesem thema konfrontiert.
und ich verstehe auch den zorn, den man dagegen haben kann.

lg kathi :)
 
AW: Richard Dawkins - Der Gotteswahn

Hallo Zwetsche und hallo in die kleine Runde,

Nun versuche ich aus meiner Sicht die gestrige Diskussion zu betrachten - wobei ich aber lieber mit einem sehr schönen Zitat aus WeltOnline anfange:

"Atheisten verbrennt man nicht mehr. Man schickt sie zu „Kerner“. Dort wurde am Donnerstagabend Richard Dawkins („Der Gotteswahn“) in die Mangel genommen. Aus Angst vor dem Gottseibeiuns waren gleich drei Gegner der Thesen des streitbaren Evolutionsbiologen eingeladen: der eloquente evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, der Ratzinger-Schüler und katholische Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, und Heiner Geißler von Attac. Es fehlten eigentlich nur des Proporzes wegen ein Rabbi und ein Imam."

http://www.welt.de/fernsehen/article1367402/Atheist_Dawkins_stellt_sich_Kerners_Tribunal.html


Wie war diese Diskussion? Derjenige der mir am besten gefiel, mit dem ich mich am meisten identifizieren kann nicht wegen der Inhalte, sondern wegen seiner sehr intelligenten, liberalen Haltung, war Heiner Geißler.

Die anderen Repräsentanten der beiden großen Kirchen, waren doch erstaunlich differenziert in ihren Aussagen, hauptsächlich der Bischof Huber.

Zwar verstehe ich, dass die fast schon fundamentalistischen Aussagen von Dawkins im Gegenzug zum deutlichen Fundamentalismus der christlichen Kirchen in den USA zu begreifen sind (Kreationismus, Intelligent Design, aber auch Dabbl Bush), aber ich kann damit wenig anfangen, weil mir jede Art von radikaler Aussage widerstrebt. Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass auch er in seiner Weise missioniert.
Meine Irritation dabei ist aber auf die Umstände zurückzuführen, dass ich nie mit radikalen religiösen Haltungen konfrontiert wurde, nicht im Elternhaus und nicht in meiner Umgebung. Ich denke oft daran zurück, und bin erst sehr spät sehr dankbar dafür.

Dass man von Seiten der Kirchenvertreter eindeutig die Existenz der Hölle verneinte, war ja auch überraschend.

Im großen Ganzen konnte man darüber hinwegsehen, dass Hans-Dampf-in-allen-Gassen, das oberflächliche und nervende Multitalent Kerner, der Moderator der Sendung war.

In der Mediathek ist die Sendung noch nicht zu finden, eine Wiederholung läuft heute Nacht um 2:55 Uhr.

Gruß von Miriam

Liebe Miriam!

Mist, ich hatte gerade einen langen Beitrag geschrieben. Alles weg und umsonst, nachdem ich mich zwischendurch nach einem link auf die Suche gemacht habe.
Ich habe die Sendung gesehen und stimme Dir in der Bewertung der Teilnehmer zu. Leider ist in der Diskussion der Ansatz Dawkins, auf die USA zu verweisen, als er erkennen mußte, daß sowohl Huber als auch Jaschke die Hölle längst abgehakt haben, nicht weiterverfolgt worden. Und so haben alle ihre unvereinbaren Standpunkte ohne dialektischen Zugewinn weiter geführt. Daß Dawkins den auf dem Gebiet weitaus intelligenteren Gesprächspartnern argumentativ nicht gewachsen war, war von vornherein klar, liegt in der Natur der Sache. Fundamentalismus ist einfach falsch.

Ich war trotzdem angenehm überrascht von der Diskussion, gemessen an dem, was sonst teilweise an Diskussionen im TV läuft (Nina Hagen z.B.).

Ohne hier für die Kirche Webung machen zu wollen, habe ich mir im Hinblick auf Deine Verwunderug zu den differenzierten Argumenten z.B. Hubers, erlaubt, mal folgenden Bericht hier abzubilden. Auch als Agnostiker kann ich den Argumenten nicht ihre Überzeugungskraft absprechen:

Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

"Unverzagt und ohne Grauen" - Die evangelische Stimme in Konflikten und Herausforderungen unserer Zeit



IV. Der Schöpfungsglaube als Thema neuer weltanschaulicher Konflikte
"Und sie bewegt sich doch! – Eppur si muove" – Galileo Galilei wird dieser Satz zugesprochen. Dass er ihn so nicht gesagt hat, gilt als sicher. Und doch markiert er einen symbolträchtigen Punkt im Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Galilei hatte den experimentellen Nachweis zu der These von Nikolaus Kopernikus geliefert, dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern umgekehrt die Erde um die Sonne dreht. Galilei geriet dadurch in einen heftigen Konflikt mit der kirchlichen Lehrmeinung seiner Zeit; er ertrug ihn dadurch, dass er seiner wissenschaftlichen Meinung abschwor. "Und sie bewegt sich doch!" ist so zu einem Satz des symbolischen Aufbegehrens geworden. Gerne wird er beispielhaft verwendet, um die vermeintliche Überlegenheit der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über kirchliche Glaubensansprüche zu dokumentieren.

Heute hat man manchmal den Eindruck, das Rad solle in die Zeit der Entdeckungen der "Himmelsphysik" zurückgedreht werden. Unter den Namen "Kreationismus" und "Intelligent Design" werden Debatten angestoßen, die längst überwunden schienen. Dabei wird mit biblischen Texten in einer Weise umgegangen, als habe es die Entwicklung der Theologie insbesondere in ihrer durch die Reformation angestoßenen wissenschaftlichen Gestalt nie gegeben. Das geschieht unter anderem auf die Weise, dass die biblischen Schöpfungsberichte zu einer quasiwissenschaftlichen Welterklärungstheorie gemacht werden.

Neuerdings ist versucht worden, das durch einen aufwändig gestalteten, von einem Muslim herausgegebenen, "Atlas der Schöpfung" zu untermauern.(19) In der Türkei, in Frankreich, Spanien und Belgien, nun auch in Deutschland ist dieser Atlas kostenfrei an Schulen und andere öffentliche Einrichtungen versandt worden. Jeweils auf einer Doppelseite wird das Foto eines Fossils neben das eines heute lebenden Vertreters jener abgebildeten Art gestellt. Diese Gegenüberstellung soll beweisen, dass diese Lebewesen vor Millionen Jahren bereits genauso existiert hätten wie heute; damit soll die Haltlosigkeit der Evolutionstheorie unter Beweis gestellt werden.

Der "Kreationismus" tritt mit der Forderung auf, dass in den Schulen nicht die Evolutionstheorie, sondern eine biblische Weltanschauung unterrichtet wird.(20) Der Glaube an den Schöpfer wird so zu einer pseudowissenschaftlichen Weltanschauung; dieser Glaube selbst soll nämlich das zutreffende Wissen über die Entstehung und Entwicklung der Welt vermitteln. Mit dieser Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung hat die Christenheit immer wieder Schiffbruch erlitten. Indem ein zur Weltanschauung missdeuteter Glaube an die Stelle der wissenschaftlichen Vernunft treten sollte, wurde in Wahrheit das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt. Deshalb ist aus Gründen des Glaubens ein klarer Widerspruch notwendig, wenn die biblischen Schöpfungserzählungen in einem solchen "kreationistischen" Sinn missbraucht werden.

Neuerdings wird der Evolutionstheorie auch eine Auslegung der Schöpfungslehre entgegengesetzt, der man den Namen "Intelligent Design" gibt.(21) Weil man die innere Folgerichtigkeit der Evolution nicht anders begründen könne, müsse man aus wissenschaftlichen Gründen, so wird gesagt, einen göttlichen Welturheber annehmen, der die Welt von Anfang an so intelligent konzipiert hat, dass es zur Entstehung des Lebens und zur Entwicklung des Menschen als der Krone der Schöpfung kam.

Damit wird freilich Gott den Ursachen in Raum und Zeit gleichgesetzt. Solchen Vorstellungen liegt eine Denkweise zu Grunde, die der Philosoph Immanuel Kant gerade überwinden wollte, als er erklärte, er habe "das Wissen aufheben" müssen, "um zum Glauben Platz zu bekommen".(22) Er meinte damit, dass er den Gottesbegriff aus der Umklammerung durch das an die Kategorien von Raum und Zeit gebundene Erfahrungswissen befreien musste, damit der Begriff Gottes als der alles umfassenden Wirklichkeit überhaupt wieder zur Geltung kommen konnte. Hinter diese Befreiung Gottes aus der Vorherrschaft des Erfahrungswissens fällt wieder zurück, wer die Notwendigkeit des Gottesbegriffs auf der Ebene des Erfahrungswissens festzuhalten oder zu beweisen versucht.

Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist dafür der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delusion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat.(23) Dawkins restauriert ein Weltbild, nach welchem Religion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu versichern versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg destruiert werden, dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufgebaut.(24) Dafür sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner; Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion überhaupt. Er verbindet – ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse Erziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche Gottesbild in einer Weise beschimpft, die historischen Sinn und moralische Proportion in gleicher Weise vermissen lässt.

Der grundlegende Fehler in dieser Debatte liegt darin, dass der Schöpfungsgedanke nicht als Thema des Glaubens, sondern des Wissens angesehen wird. Der Glaube richtet sich auf die Wirklichkeit im Ganzen; er hat es mit dem Grund der Welt wie meines persönlichen Lebens zu tun. Ihm verdanke ich die Weltgewissheit wie die Daseinsgewissheit, die meinem Leben Sinn verleihen. Unter Wissen dagegen ist in solchen Fällen das Erfahrungswissen zu verstehen, das wir mit den Mitteln von Beobachtung und Experiment erwerben. Dieses Erfahrungswissen ist an die Bedingungen von Raum und Zeit gebunden; der Glaube dagegen richtet sich auf die Wirklichkeit Gottes, die Raum und Zeit umgreift und übersteigt. Zwar bleibt der Glaube auf das Wissen bezogen, ja angewiesen. Aber er ist nicht mit ihm identisch – das ist der entscheidende Punkt. Glaube und Wissen sind also bewusst voneinander zu unterscheiden; sie treten aber damit nicht beziehungslos auseinander, werden also nicht voneinander getrennt. Weder ist die Bibel ein Naturkundebuch, noch vermag die Naturwissenschaft Aussagen über Gott zu machen. Gott ist kein naturwissenschaftliches Postulat. Wer Gott allein mit den Mitteln der Naturwissenschaft zu erfassen sucht, bringt sich um die Möglichkeit einer Begegnung mit dem befreienden Wort Gottes.

In diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich die Frage erörtert, ob im Biologieunterricht auf den biblischen Schöpfungsglauben und ob im Religionsunterricht auf die Evolutionstheorie Bezug zu nehmen sei. Am günstigsten wäre es ohne Zweifel, wenn das Verhältnis zwischen beiden Betrachtungsweisen in interdisziplinären Unterrichtsprojekten geklärt würde. Dann könnten biologische und theologische Perspektiven jeweils in ihrer Eigenbedeutung zur Geltung gebracht werden. Man könnte lernen, dass man die Beziehung zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen nur dann zureichend bestimmen kann, wenn man zuvor gelernt hat, sie voneinander zu unterscheiden. Das aber setzt voraus, dass sowohl hinsichtlich der biologischen als auch hinsichtlich der theologischen Fragen die gebotene Sachkenntnis gegeben ist. Das gilt auch für die Fälle, in denen im Biologie- oder im Religionsunterricht über das Verhältnis von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie gesprochen werden soll.

Wer aus biologischer Perspektive über den biblischen Schöpfungsglauben spricht, braucht dafür entsprechende theologische Kenntnisse. Insbesondere muss er es vermeiden, die biblischen Schöpfungserzählungen zu konkurrierenden Welterklärungsmodellen zu machen und das eine gegen das andere auszuspielen. Sowohl das Ergebnis: "Darwin beweist, dass es Gott nicht gibt", als auch das Ergebnis: "Gott beweist, dass Darwin Unrecht hat" wäre eine didaktische Fehlleistung. Ebenso klar ist, dass der Biologieunterricht die Grenze zur weltanschaulich-religiösen Bildung nicht überschreiten darf; er darf nicht unter der Hand zum Religionsunterricht – auch nicht in einem antireligiösen Sinn – werden.


Fußnoten:

19 Harun Yahya, Atlas der Schöpfung, Bd. I, Istanbul 2006.

20 Zur Diskussion in Deutschland vgl. als Beispiel: Ulrich Kutschera (Hg.), Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen, Münster 2007.

21 Als Beispiel nenne ich: William A. Dembski, Intelligent Design. The Bridge between Science and Theology, InterVarsity Press 1999.

22 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage, Werksausgabe hg. von W. Weischedel, Bd. 3, Frankfurt 1988, S 33

23 Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Berlin 2007. Vgl. auch Christopher Hitchens, Der Herr ist kein Hirte. Wie Religion die Welt vergiftet, München 2007.

24 Vgl. zu diesem und anderen Aspekten die eindrucksvolle Auseinandersetzung mit Richard Dawkins, die Alister McGrath vorgelegt hat: Alister McGrath / Joanna Collicutt McGrath, The Dawkins Delusion? Atheist fundamentalism and the denial of the divine, London 2007.


Gruß
Zwetsche
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Werbung:
@ gysi

Aaah, Kathi, das tut gut! Hatte ich gar nicht erwartet... :)

ach gysi, du alter haudegen, du!
hab dir doch schon einmal gesagt, dass uns beide viel mehr verbindet, als uns trennt!

...und deine kraft und energie gegen etwas aufzutreten, das andere nur in ohnmacht verfallen lässt, gefällt mir ja.
dass diese kraft dann auch ein paar andere trifft, die eigentlich auf deiner seite stehen, liegt wohl in der natur der sache. ;)

lg kathi :)
 
Zurück
Oben