Robin schrieb:
Theoretisch gebe ich dir Recht, diethelm.
theoretisch im naturwissenschaftlichen Sinn, oder im umgangssprachlichen Sinn, auf die „Wahrheit zu kommen, durch reines Nachdenken? Dann wäre so manche Theorie „grau“ und entspräche nicht der "Praxis".
Experimentelle Wissenschaften können zwar überaus komplexe Systeme bearbeiten, doch auf eine „reduktionistische“ Weise, insofern als zuerst versucht wird, einzelne voneinander unabhängige Parameter, die das System aufbauen, zu lokalisieren. Als zweites wird versucht, die Einflüsse der Änderung jedes einzelnen Parameters auf das System zu beobachten. In einem 3.Schritt wird versucht, diese „Summe der Einzelverläufe“ wieder zu einem Gesamtmodell zusammenzufassen. Die Zahl der benötigten Messpunkte steigt mit der Zehnerpotenz der unabhängigen Parameter. Natürlich wird versucht, durch „plausible Annahmen“ die Zahl der Messungen zu reduzieren, geht aber nicht überall. So würde eine wesentliche Verbesserung der lokalen Wettevorhersage eine Messdichte von 1 Wetterstation auf je 100 Meter benötigen.
Nun sind aber menschliche Gesellschaftssysteme noch um einiges komplexer. Vor allem, sie völlig auf ein rein mechanistisches System (in einen Ablauf von Ursache - Folge) zu reduzieren ist unmöglich, wenn auch Teile davon Ähnlichkeiten mit mechanischem Verhalten zeigen und daher auch analog betrachtet werden können.
Die einzigen Wissenschaften, die ohne zu "mechanisieren", mit der Komplexität der menschlichen Gesellschaft umgehen, sind Theologie und Philosophie und in gewisser Form die Geschichtswissenschaft, so sie sich von ihrer Herrschaft stabilisierenden Form lösen kann, in Ansätzen noch Sozialwissenschaften und Psychologie. Selbst die Rechtswissenschaften können Moral oder "Sinn" nicht Gesetzestexte auflösen.
Appelle an Vernunft und Moral werden nicht helfen.
Damit aber sagst Du, dass sämtliche ideellen Werte sich aus unserer Gesellschaft sich verabschiedet haben und nur Eigennutz zählt. Die zurzeit gängige Wirtschaftstheorie baut darauf auf.
Den "richtigen" Politiker zu wählen, wird auch nicht helfen.
Nun, der müsste erst einmal zur Verfügung stehen, dann sich noch der Wahl stellen und auch noch den hinreichenden Rückhalt haben, das „Richtige“ tun zu können!
Hier hat zumindest schon die Gesellschaftstheorie von der Naturwissenschaft profitiert: indem sie konstruktivistische Modelle der Gesellschaft entworfen hat - z.B. die Systemtheorie.
Die Systemtheorie leistet hervorragendes, wo sich gesellschaftliches Verhalten mechanisieren lässt, aber nur dort. Aber auch hier wird wieder Sinn und Moral aus der Betrachtung ausgeschlossen, auch hier kommen „Werte“ nicht vor.
Meine Meinung über das „Zusammenrücken“ von „Natur und Geisteswissenschaften“ habe ich schon gegenüber Marianne gesagt. Interdisziplinäre Zusammenarbit gab/gibt es ja immer. Eine „Gesellschaftstheorie“, die rein auf experimentellen Daten beruht, kann aber kein Gesellschaftsbild ersetzen, egal ob ein religiöses oder ideologisches, um eine utopische Vorstellung kommen wir da nicht herum. Ich meine, dass jedes Gesellschaftssystem auch einer metaphysischen (nicht unbedingt religiösen) und somit in der Folge einer politischen Begründung bedarf.
Den Mensch als mechanisches Spielzeug zu verstehen, wie Olympia in Hoffmans Erzählungen ist schon ein „alter Wunsch“, zu meinen dass die neuere Hirnforschung unsere Vorstellung vom Menschen dem näher bringt, ist aus meiner Sicht allerdings ein Irrtum.
diethelm