AW: Michael Schmidt-Salomon: "Jenseits von gut und böse"
Hallo MissVerstehen.
Zitat:
Zitat von Pirroge
Das ist doch bereits ein echtes Gegenargument.
Du hast ja das Empfinden, dass Du Dein Leben mehr oder weniger selbst in der Hand hast, selbst Entscheidungen triffst und so weiter.
Nach dem was Philosophen, Soziologen, Hirnforscher und Psychologen so herausgefunden haben, ist unser tatsächlicher Einflussbereich beschränkter als wir das wahrhaben wollen, aber nichts spricht dafür, dass wir wirklich rundweg determiniert sind.
Oh, das finde ich nicht. Wenn ich MSS lese, und seiner Argumentation folge, spricht eigentlich nichts dagegen, daß wir rundum determiniert sind.
Dem Gedankengang würde ich mich gerne widmen, bin aber darauf angewiesen, dass Du mir dabei auf die Sprünge hilfst, da ich das Buch nicht kenne.
Also, wenn Du magst…
Was nicht geht, ist, es im Einzelnen zu beweisen. Das ist schlichtweg unmöglich, da es sehr viele nicht mehr nachzuvollziehende Faktoren gibt, die dazu geführt haben, daß ich heute seit langem mal wieder anderthalb statt einem Brötchen gefrühstückt habe.
Aha.
Überzeugend klingt anders.
Ich denke wie MSS, daß alle unsere Handlungen und Meinungen usw Ursachen haben, die dazu geführt haben, daß wir so sind wie wir sind, und daß wir so handeln, wie wir es tun.
Naja gut, recht und billig, gibt es überhaupt jemanden der
das bestreiten würde?
Nur würde das eben vollständig verhindern, daß unser Ego mit dem Begriff Bewußtsein, bewußte Entscheidung, Persönlichkeit(sentwicklung) verbudnen wird.
Wir würden uns quasi nur noch selber beim Leben zuschauen.
Dabei sind wir doch nach Meinung anderer zentral dadurch definiert, dass wir Handelnde sind, die Gründe für unser Tun angeben können.
Ich würde zum Beispiel behaupten, dass ich Dir jetzt antworte, weil mich die Thematik anspricht. Das hat bestimmt damit zu tun, dass ich schon mal ein Buch (wenn auch nicht das) zum Thema gelesen habe. Das kann man nun weitertreiben, wenn man will, wichtig scheint aber für den freien Willen zu sein, ob ich meine mich prägenden Ursachen gemäß meiner Einsichten ändern kann.
Eigentlich
sollte ich mehr Sport machen, weniger rauchen, netter zum Nachbarn sein, nicht mehr beim Chef buckeln – und irgendwann macht man es dann, vielleicht.
Zitat:
Du kannst Dich ja von Gründen und Ansichten überzeugen lassen, also Deine Meinung in bestimmten Bereichen ändern.
Ja, aber nach ihm wäre das dann auch bloß wieder eine Folge dessen, daß mir eine bestimmte Argumentation entgegen kommt, daß mein Gehirn, wie es beschaffen ist, diese aufgreift und nach der Wichtung, die bei mir der Ratio gegenüber den Emotionen mehr Gewicht einräumt, überzeugend wirkt.
Dein Gehirn, oder Deine Lebenserfahrung?
Als was erlebst Du Dich denn, als Gehirn, oder als fühlendes und denkendes Wesen, mit einer Ich-Identität, einer Lebensgeschichte?
Es gibt eine gute, aber komplizierte philosophische Argumentation gegen diesen Neurodeterminismus, bist Du philosophisch vorbelastet?
Ansonsten läuft es auf die Frage hinaus, ob es möglich ist, die biologisch determinierenden Ursachen ohne Rest und Sinnverlust so darzustellen, dass diese alle Aspekte des Subjekterlebens einfangen.
Würdest Du nicht in einigen Fällen sagen, es sei ein Resultat Deiner ganz persönlichen Lebenserfahrung, dass Du heute so denkst und nicht anders?
Es könnte also sein, dass das Lachen eines Deiner Kinder Dir ein Glücksempfinden bereitet, das sich neuronal widerspiegelt. Gesetzt den Fall, man könnte dieses Glücksempfinden lokalisieren und imitieren, so, dass es Dir so erscheint, als hättest Du Kinder, die Dich öfter mal glücklich machen, würdest Du sagen, dass Du dann auf Deine realen Kinder ach verzichten kannst?
Denn was nach der MSS‘ Logik zählt, sind dann Hirnzustände und nicht reale Gegebenheiten.
Nun ist nicht alles was wir erleben reale Gegebenheit, sondern da ist eine Menge Konstruktion im Spiel, nur wenn man die hirnphysiologischen (und –pathologischen) Endzustände als einzig relevant ansieht, wenn da also am Ende nur Trauer, Freude, Erregung oder was auch immer sonst steht, fällt aus dieser Perspektive betrachtet, das semantische und pragmatische Gefüge, das Netz von Überzeugungen, Gründen, praktischen Richtigkeiten usw. (das wir Alltag nennen) in sich zusammen, wir starren nur noch auf Neurotransmitterausstöße und wissen nicht mehr, ob das Glücksempfinden vom Kinderlachen oder der Bitterschokolade stammt.
Zitat:
Das meint auch Schmidt-Salomon, sonst hätte sein Buch, mit dem er ja andere überzeugen von seiner These überzeugen will, keinen Sinn, in der Philosophie heißt das performativer Selbstwiderspruch, und bedeutet, dass man sich praktisch anders verhält, als man theoretisch sagt.
Nach seinem Lebenslauf und seiner Beschaffenheit MUSS er quasi so ein Buch schreiben, er will missionieren, weil er gar nicht anders kann.
Das geht dann aber in die Richtung der von moebius erwähnten Doppelbindung.
Du kannst nur zustimmen, dass Du determiniert bist, oder Du hast es noch nicht begriffen, was aber zu erwarten war, da Du determiniert bist.
In der Wissenschaft weiß man, dass es ein Gütezeichen einer Theorie ist, dass sie prinzipiell falsifizierbar ist, dass heißt es muss gesagt werden, was der Fall wäre, wenn die Theorie nicht stimmt.
Ein (harter) Determinismus hat das Problem, dass er immer stimmt, prinzipiell nicht zu widerlegen ist und was, wenn man geschickt zu schreiben vermag dann vordergründig überzeugend klingt ist um den schweren Preis der Nichtwiderlegbarkeit erkauft, was ein wissenschaftliches Todesurteil ist.
Zitat:
Ein harter Determinismus würde sagen, dass es ohnehin kommt, wie es kommt, dann braucht man den Menschen einfach nur leben zu lassen.
Da grüble ich eben, wie es sich verhält:
das eine ist die Theorie (es kommt, wie es kommen muß), das andere die Praxis (es kommt, wie es kommen muß, aber WIR begreifen uns als selbständig denkende und handelnde Wesen und lehnen eine "Determinationsergebenheit" rundheraus ab).
(Ist der Unterschied klar geworden... *grübel*?
Ja, aber die stumme Behauptung dahinter ist, dass wir den Gedanken nicht ertragen können determiniert zu sein und uns deshalb fortwährend einreden, dass wir es nicht sind.
Zum Glück klären uns weisere Menschen gerne über diesen Umstand auf, was aber leider nichts bringen kann, da es eh kommt, wie es kommt und wir zur Einsicht, oder Unfähigkeit in dieselbe ohnehin gekommen währen. Kollateraler Nutzen für MSS ist der Erwerb aus dem Verkauf der Bücher, aber da es schlimmeres gibt als Bücher zu schreiben sei es ihm gegönnt.
Zitat:
Tun wir aber nicht, wir erziehen, strafen, therapieren, diskutieren.
Ja, weil wir nicht davon überzeugt sind, daß wir einfach laufen lassen. Wären wir es, würden wir anders handeln (??).
Was heißt hier einfach laufen lassen?
Es würde eine Menge Geld sparen, wenn wir das Straf- und Schulsystem einfach abschaffen, weil es ohnehin kommt, wie es kommt, das dumme ist nur, dass das was auf dem Papier noch hübsch klingt, im Alltag niemand glaubt.
Zitat:
Wenn gleich man manchmal den Eindruck haben darf, dass was Meinungen und Ansichten angeht, manche die Flexibilität eines Granitblocks haben, braucht man dennoch nicht zum Kulturpessimisten zu werden, zumindest nicht aus dem Grund.
Wenn es tröstet: auch die Granitblöcke KÖNNEN nicht anders...
Eben, hier wird die Einsicht, dass Menschen sich ändern können verbaut, zugunsten der öden Fabel, alles sei letztlich eine Art Gravitationsgesetz, Welterklärung auf dem Boden der Physik, nicht beachtend, dass Physik
zu betreiben eine soziale Praxis ist, die ein forschen wollendes Ich stillschweigend voraussetzt, Felsblöcke betreiben nämlich leider weder Wissenschaft noch Philosophie.