Lieber Robin,
Ich möchte nur kurz auf einige Punkte eingehen.
Robin schrieb:
Ist das ironisch gemeint?
Hm, eine schwierige Frage. Natürlich steckt eine gewisse Ironie in der Bezeichnung "Reinheit" und "Unbeflecktheit", es ist eine überspitzte Formulierung, die aber sehr ernst zu nehmen ist. Das Original steht für den ursprünglichen Schöpfungs- oder Zeugungsakt, der in seiner Reinheit unwiederholbar ist. Der Ursprung ist kein "reiner" mehr, sobald er als Übersetzung (als kontaminierende Wiederholung) begriffen wird (ich gebrauche Metaphern der Sexualität, um eine gewisse Unfruchtbarkeit bezüglich der Schöpfung von 'Originalen' zu demonstrieren - ein Paradox).
Robin schrieb:
Ich meine mit dem reinen unbefleckten Ursprung? Könnte man nicht einen Text auch schon als "zerstörte Gedankenwelt" begreifen, da ja der Text eine Übersetzung aus den Operationen eines Bewusstseins darstellt
"Zerstörte Gedankenwelt" ist interessant, suggeriert aber - wie du ja selbst merkst - einen unbefleckten Ursprung der 'vollständigen', 'unverletzten' Gedankenwelt vor der Verschriftlichung. Für mich ist Text eher eine Ruine.
Robin schrieb:
Bestimmte semantische Begrifflichkeiten ziemlich unvorbereitet einzuführen, kann aber "das Übersetzen" erschweren. Vielleicht sogar aus Eitelkeit meint man zu wissen, was gemeint ist, der Andere hat den Begriff aber einer anderen Schule entlehnt. Dann fallen dann Fragen wie "meinst du das im kant'schen Sinne....?" usw.
Ja, das könnte man meinen. Doch eigentlich ist jeder Text schwer zu übersetzen. Ich würde nicht behaupten, dass ein Text 'besser' verstanden wurde, wenn einer meint, die vorgelegten Begriffe mit Bedeutung auffüllen zu können, die er mit dem anderen - kongruent - teilt. Meist geschieht dann eben folgendes: "Meinst du das im kant'schen Sinne....?" und ein weiterer Kant-Exeget ist dann davon überzeugt, die absolute Herrschaft (das Verständnis, die Wahrheit) über die Texte, die mit der Metonymie 'Kant' in Verbindung gebracht werden, zu haben. Deswegen kann ich auch 'kaismoessner's Einschätzung von der Kleist'schen Fehlinterpretation nicht teilen (hat er Kant besser verstanden als Kleist?).
Robin schrieb:
Das hat nichts mit einer Biografie zu tun, dass ich den gelesen habe, sondern ist eine Art Redlichkeit der Vollständigkeit wie Fußnoten in einem wiss. Text. Wenn ich sie alltäglich verwende, sage ich eben nichts dazu. Nenn' es "Übersetzungserleichterung".
Ja, ich selbst habe auch meine Ansichten über das "wissenschaftliche" Zitieren. Ich habe teilweise meine Mühe damit. Denn wenn ich mit Anführungszeichen zitiere, gebe auch ich an (ich halte mich aber an eine Norm, konsequenterweise müsste ich das nicht tun). Alles andere ist sowieso völlig überflüssig ist, da ich aus bereits vorgebrachten Gründen unbefleckte Originale nicht einfach annehmen kann. Meine Gedanken sind Übersetzungen (ihr Ursprung liegt nicht in meiner Reichweite). Deswegen gehe ich der Argumentationsweise von Texten nicht unter dem Duktus nach, eine mögliche Intention irgendeines Autors erschliessen zu müssen.
Robin schrieb:
Er zeugt nicht nur, er setzt auch immer voraus.
Ja, bin ich deiner Meinung. 'Zeugen' ist aber ein sehr doppeldeutiges Verb! Schliesslich untersuche ich ja meist, was eben vorausgesetzt wird.
Robin schrieb:
Viel Energie geht verloren bei der Frage: Was wird hier vorausgesetzt? Darf ich so tun, als würde der Text "für sich" stehen?
Nein, der Text steht nie für sich. Das habe ich nun aber auch nicht behauptet... Einen Text zu isolieren bedeutete ja, man wüsste wo Anfang und Ende liegen und könne ihn nach geglückter Begrenzung richtig exegieren. Ich sperre mich nur ein wenig gegen die Meinung, dass Informationen über die Biographie eines Autors oder intertextuelle Verweise allgemein, die man aus welchen Gründen auch immer bevorzugen zu können glaubt, einer 'besseren' Interpretation dienen.
Robin schrieb:
Ich finde es schon ziemlich verwegen, das Problem abzustreiten, dass die Philosophie Kais unter der Vorraussetzung eingeführt wurde: Lies Evola und sieh' dir "The last Samurai" an, dann wirst du verstehen.
Das ist ein Problem. Es macht empfindlich. Die Frage ist nur, wofür. Für ein "besseres" Verständnis der Texte, die nachfolgen? Das bezweifle ich eben. Natürlich ist die Behauptung, Texte würden ausschliesslich nach der Lektüre Evolas (was auch immer das ist... eine Metonymie) und "The last Samurai" (?) 'verstanden', absurd. Wenn natürlich sämtliche Texte, die unter der Metonymie 'kaismoessner' gefasst werden können, mit solchen Absurditäten ähnlichen Stils aufwarten, kann man mit der Zeit durchaus sein Interesse verlieren (doch ist es durchaus möglich, dass das Versprechen des absoluten Verständnisses zu Beginn Neugierde geweckt haben kann - 'kaismoessner' ist Thema in diesem Forum, das darf man nicht vergessen) - bei mir ist das langsam aber sicher der Fall.
Robin schrieb:
Ich leite davon ab, dass ein seriöser idealistischer Philosoph sich weniger um einen idealen Jetzt-Zustand zu sorgen hätte - der ja nie zu erreichen ist - sondern sich um "Prozesse" Gedanken zu machen, kleinste oder größere Schritte, dann könnte er mehr bewirken.
Das könnte man eventuell sogar als moralischen Anspruch definieren - könnte er der Menschheit damit nicht mehr "dienen"?
Das ist eine gute Frage. Wer von uns weiss schon, wie er "der Menscheit" 'am besten' gedient haben wird? Auch ich beschäftige mich mit gesellschaftlichen Prozessen. Eine Frage der Übersetzung ist es, was wir mit unseren Erkenntnissen anstellen... Aber mir bereitet dieses Problem auch grosses Kopfzerbrechen, gebe ich zu.